Die EuroBlech ist eine Messe, die nur für ein ausgewähltes Publikum zum Magneten wird. Zu Unrecht? Wie so oft in der deutschen Wirtschaft beginnen die großen Veränderungen diskret im Kleinen, unbemerkt vom Mainstream. So auch auf der EuroBlech 2018, der internationalen Technologiemesse für Blechbearbeitung, die in Hannover stattfand: Dort präsentierte der Maschinenbauer Trumpf den TruLaser Center 7030. Die vollautomatisierte Anlage verwandelt den klassischen Laserbearbeitungsprozess bei der Blechverarbeitung dank digitaler Verfahren in einen effizienten und schnellen Fluss von der Anlieferung bis zum Ausstoß fertiger, maßgeschnittener Produkte. Für den Hersteller Trumpf ist die Maschine der bahnbrechende Auftakt für ein „cyber-physikalisches System“ in der Metallindustrie.
Wer weiß, in wie vielen Bereichen Bleche eingesetzt und verarbeitet werden, der ahnt, welch einen Umschwung solche Systeme für die industrielle Fertigung in Deutschland bedeuten.
Was wie ein reines Produkt der Ingenieurskunst wirkt, ist nämlich mehr oder weniger die logische Folge der konsequenten Digitalisierung von Wertschöpfungsketten. Denn solche cyber-physikalischen Systeme – abgekürzt CPS – bestehen aus vielen verschiedenen Komponenten oder Systemeinheiten, die über eine Infrastruktur miteinander verknüpft und gesteuert werden. Diese Infrastruktur wiederum besteht je nach Anforderung aus Maschinen, Robotern und Rechnern, sowie Chips, Sensoren, IoT-Geräten und Antriebselementen – und natürlich aus weiteren Anlagen im jeweiligen industriellen Umfeld, zum Beispiel Fördertechniken im Warehouse.
Was einst die Industrie 4.0 als Begriff umriss und die Smart Factory später in die Welt der Produktion führte, findet seine konzeptionelle Vollendung im CPS. Neue digitale Verfahren erweitern die Vernetzung und Verarbeitung von Daten. Leistungsfähige Netze, Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen sind die Folge. In einem künftigen cyber-physikalischen System treiben diese Elemente den technologischen Wandel der industriellen Fertigung noch schneller voran, denn alle Fertigungsschritte sind perfekt aufeinander abgestimmt. Im Unterschied zur statisch-analytischen Auslegung der Industrie 4.0 gehen cyber-physikalische Systeme über die reine Informationsverarbeitung hinaus und entwickeln aus den Eigenschaften und Beziehungen der einzelnen Komponenten untereinander das Gesamtsystem weiter.
Solche Systeme haben über die Welt der Fertigung hinaus Bedeutung. Denn künftig werden sie noch viel stärker in unser Leben eingreifen – ob wir das wollen oder nicht. Denn in der effizienzgetriebenen Welt von Morgen verbinden CPS die digitale Welt der Daten und Informationen schnell und effizient mit unserem Befinden oder Status – im Gesundheitswesen, in der Energieversorgung oder im Verkehr: Heute gibt es Navigationssysteme, die Verkehrsinformationen aus aktuellen Bewegungsprofilen und Mobilfunkdaten nutzen, um bessere Routen vorzuschlagen. Künftig werden diese Systeme nicht mehr nur vorschlagen, sondern aktiv steuern und eingreifen.
Oder in der Logistik: Um die immer „individuelleren“ Wünsche des Endkunden auf industriellem Niveau stillen zu können, müssen die Logistiker mit der kleinsten Materialeinheit rechnen, der Losgröße 1. Diese wird zum bestimmenden Element der Produktion: Unter vielen tausend Varianten kann sich der Endkunde sein Produkt so konfigurieren, dass es rein rechnerisch gesehen bei einer großen Variantenvielfalt vermutlich kein gleiches Produkt auf der Erde gibt. Losgröße 1 verlangt ungeheure Anstrengungen der Planer, die nun mit CPS erfüllt werden könnten.
Allerdings sind die notwendigen Voraussetzungen für solche Systeme noch nicht wirklich gegeben. Denn es geht nicht nur um die Innovationsfähigkeit und das Mindset der Unternehmen, sondern auch um den aktuellen Einsatz der Digitalisierung, zum Beispiel bei IoT-Lösungen. Das Potenzial des Internet of Things haben schon viele industrielle und industrienahe Unternehmen in Deutschland erkannt, vor allem Großunternehmen aus der Fertigung. Doch drei Aspekte bremsen künftige CPS.
Zum einen die Neuauflage der strategischen Ausrichtung von Unternehmen. Der Einsatz hocheffizienter Systeme im Unternehmen verändert die Wertschöpfung. Langfristig sinkt in vielen Firmen der Anteil der Produktion an der Gesamtwertschöpfung, während der Anteil software-basierter Dienstleistungen steigt. Die Mitarbeiter müssen sich entsprechend weiterentwickeln oder in andere Bereiche des Unternehmens wechseln.
Zum anderen sollte die Sicherheit der Daten für viele Führungskräfte bei ihren strategischen Investitionsentscheidungen essenziell sein – ob von Mitarbeitern, des Betriebs oder der Kunden und Zulieferer. Doch immer ausgeklügeltere Angriffe ließen die Bedrohung in den vergangenen Jahren deutlich zunehmen, bei gleichzeitig stärkerer Vernetzung und Digitalisierung. Viele Führungskräfte weichen Cybersicherheitsrichtlinien auf oder ignorieren sie, wie eine Studie des rumänischen Herstellers von Antiviren-Programmpaketen Bitdefender zeigt. Andere scheuen einfach den Weg in die Digitalisierung, weil sie das Thema überfordert.
Und schließlich ist die technische Infrastruktur für cyber-physikalische Systeme mit 5G und dezentralem Edge Computing entscheidend. Diese aber ist in Deutschland viele Jahre lang sträflich vernachlässigt worden. Nun hat der Ausbau der TK-Netze begonnen und die Bundesregierung ist zumindest in einem Aspekt weiter – bei den Frequenzgebühren: Wenn ein Unternehmen ein 5G-Netz auf dem Betriebsgrund errichten will, dann muss es solche Gebühren zwischen ein paar hundert und einigen tausende Euro bezahlen, je nach Größe des Grundstücks, Dauer und Bandbreite.
Das will die Hannover Messe nutzen – auch für die EuroBlech 2020: Ein eigenes 5G-Netz soll den Messebesuchern auf dem ein Quadratkilometer großen Gelände voll automatisierte Verfahren nach dem neuesten Stand der Technik zeigen: CPS live!