Erneuerbare Zukunft

Die Redaktion befragt Branchenvertreter:innen zu den Herausforderungen der Energiewende.
Dezember 2021 Handelsblatt Zukunft Energie

»Es braucht politischen Willen zur Beschleunigung der Energiewende«

Dr. Simone Peter Präsidentin Bundesverband Erneuerbare Energie BEE

Die Ergebnisse der 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow haben eines ganz deutlich gezeigt: International reden ist gut, aber regional handeln noch besser. Denn trotz der Dringlichkeit, die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen, konnten sich die Staaten nicht auf entsprechende Maßnahmen einigen. Abgesehen von einigen Verpflichtungen und Zugeständnissen fehlte der gemeinsame Wille, um den notwendigen Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern und den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren in allen Sektoren zügig voranzubringen.


Und auch im Hinblick auf die aktuell rekordverdächtig hohen Energiepreise sind dringend Maßnahmen nötig, die den Klimaschutz ambitioniert voranbringen und gleichzeitig Versorgungssicherheit und bezahlbare Preise garantieren. Denn schon heute sind die Erneuerbaren kostengünstig, während die fossilen Energien die Preise in die Höhe treiben, was derzeit Privathaushalte und Unternehmen schmerzlich zu spüren bekommen.


Die neue Regierungskoalition in Deutschland ist deshalb gefordert, das Land auf den Pfad des einstigen Energiewendevorreiters zurückzubringen, das Stromsystem auf den wachsenden Anteil Erneuerbarer Energien umzustellen und mit einer Reform der Abgaben und Umlagen die Strompreise zu stabilisieren. Im Wärmesektor sind die Mehrkosten aufgrund einer CO2-Bepreisung entlang der Klimaziele durch eine direkte Rückerstattung an die Bürgerinnen und Bürger sozial abzufedern.


Gleichzeitig ist der bürgernahe und dezentrale Erneuerbaren-Ausbau voranzubringen und die Möglichkeiten von Erneuerbaren-Energien-Gemeinschaften auf regionaler Ebene zu nutzen. Die Verantwortung der Ampel-Verhandlungspartner für einen zukunftsfähigen Standort ist groß, denn die Klimakrise und internationaler Wettbewerb warten nicht.

www.bee-ev.de

Dezember 2021 Handelsblatt Zukunft Energie

»Für eine grüne Zukunft der Stahlindustrie«

Werner Diwald Vorstandsvorsitzender Vorstandsvorsitzender Deutscher Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband DWV

Innovative Wasserstofftechnologien eröffnen bei der Transformation der deutschen Stahlindustrie viele Chancen: zukunftsfähige Industriearbeitsplätze und das Erreichen der Klimaziele 2045. Die Clustermitglieder der DWV-Fachkommission HySteel, gefördert durch das BMU, erarbeiten eine Strategie für die Markteinführung einer emissionsarmen wasserstoffbasierten Stahlproduktion.


Die Nutzung von grünem Wasserstoff in der Stahlproduktion besitzt die größte Hebelwirkung zur Emissionsminderung: Je Tonne H2 können über 25 Tonnen CO2 vermieden werden. Hierfür ist der gesicherte wirtschaftliche Zugang zu grünem Wasserstoff durch den Aufbau umfangreicher Erzeugungskapazitäten unbedingt nötig. Bis 2030 stehen wichtige Investitionsentscheidungen in den Aufbau von Direktreduktionsanlagen an – mit Investitionen von etwa 30 Milliarden Euro in den kommenden Jahrzehnten.


Das Ziel ist es, dass durch geeignete Regulierungen eine marktwirtschaftliche Nachfrage nach grünem Stahl entsteht. Um vor dem EU-weiten Erlass investitionssicherer Rahmenbedingungen Entscheidungen zu treffen, sind die Unternehmen auf Förderung der Investitions- und Betriebskosten zum Beispiel über CCfD und nationale Förderprogramme angewiesen. Das H2Global Förderprogramm, das der DWV in Kooperation mit der GIZ und dem BMWi entwickelte, ist dafür die ideale Blaupause. Langfristig benötigt die Industrie marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen für einen fairen globalen Wettbewerb zwischen nahezu emissionsfreien und konventionellen Stahlprodukten, z.B. über die Einführung einer stufenweise ansteigenden Treibhausgasminderungsverpflichtung.


Das HySteel-Cluster (www.dwv-hysteel.de) arbeitet weiter am Abbau der herrschenden Barrieren, um grünen Stahl “Made in Germany” zu einer Benchmark zu machen.

www.dwv-info.de

Dezember 2021 Handelsblatt Zukunft Energie

»Vorsprung durch Wasserstoff«

Dr. Dietmar Kestner Geschäftsführer Verband für Anlagentechnik und Industrieservice VAIS

Strom aus erneuerbaren Energien ist in vielen Anwendungsbereichen anderen Energieträgern wirtschaftlich überlegen, trotzdem werden ergänzend flüssige und gasförmige Energieträger benötigt. Die klimafreundlichste Lösung ist grüner Wasserstoff, der durch Wasserelektrolyse aus erneuerbarem Strom erzeugt wird.


Für die deutschen Prozessindustrien ist die Umstellung auf den Energieträger Wasserstoff essenziell, um die Produktionsstandorte klimaneutral zu gestalten. In der Stahlproduktion liegt der Schlüssel zur Defossilisierung in der Substitution des Reduktionsmittels Koks durch Wasserstoff. In der chemischen Industrie ist die Substitution von Erdölfraktionen und die Bereitstellung synthetischen Naphthas entscheidend für die Dekarbonisierung. In der Glas- oder Keramikindustrie oder in der Wärmebehandlung von Metallen wird Wasserstoff in der Bereitstellung von Prozesswärme auf höchstem Temperaturniveau angewandt. Um die Stromversorgung weiterhin sicherzustellen, kann grüner Wasserstoff in windstillen Zeiten ohne Sonneneinstrahlung („Dunkelflaute“) das heute eingesetzte Erdgas direkt ersetzen. Die direkte Umwandlung von Wasserstoff in elektrischen Strom in einer Brennstoffzelle eignet sich auch für den Einsatz im Verkehr. Schließlich lassen sich aus Wasserstoff synthetische Kraftstoffe herstellen, die eine Nutzung im Flug- und Schiffsverkehr, aber auch in Verbrennungsmotoren erlauben.


Will Deutschland in der neuen Wasserstoffwelt führend sein, brauchen wir im eigenen Land Produktionsanlagen in nennenswertem Umfang, auch wenn der Importbedarf immens sein wird. Für notwendige Investitionen in Technologie und qualifizierte Menschen benötigt die Wirtschaft Planungssicherheit, Finanzmittel und Fairness im globalen Wettbewerb, aber vor allem schnelles Handeln. Nur so kann die Vision der Technologieführerschaft Wirklichkeit werden.

www.vais.de