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Die Redaktion befragt Akteure aus der nachhaltigen Wirtschaft: Welche Herausforderung muss die neue Bundesregierung angehen?
September 2021 Handelsblatt Zukunft Deutschland

»Die Digitalisierung fokussiert und mit Vision und Tempo gestalten!«

Achim Berg / Präsident Bitkom

Am Anfang eine Zahl: 57. So viele Abteilungen, Unterabteilungen und Referate in Bundesministerien und im Kanzleramt trugen zum Ende dieser Legislaturperiode das Wort „Digital“ im Namen. Geholfen hat diese überbordende Menge jedoch nicht. Das digitale Deutschland liegt an vielen Orten noch im Dornröschenschlaf: In der Verwaltung rauchen die Faxgeräte und zu viele Schulen leben noch in der Kreidezeit.

Statt in Überkomplexität zu ersticken muss die neue Bundesregierung die Digitalisierung fokussiert und mit Vision und Tempo gestalten. Das geht nur mit einem Digitalministerium. Wir brauchen ein Ressort, das sich voll und ganz der Digitalisierung verschreibt. Das die Aufmerksamkeit der Bundeskanzlerin bzw. des Bundeskanzlers genießt und mit den nötigen finanziellen Mitteln aus dem Bundeshaushalt ausgestattet ist. Ein Digitalministerium braucht die Federführung bei digitalpolitischen Kernprojekten sowie echte Koordinierungsrechte gegenüber anderen Ressorts. Notwendig ist dafür ein Digitalvorbehalt. Das heißt: Analog zum Finanzvorbehalt müssen politische Vorhaben auf ihre Digitalisierungswirkung hin überprüft und im Bedarfsfall angepasst werden. Auch die Verantwortung für den Breitbandausbau, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, innovative Technologieprojekte und die Leitung des Digitalkabinetts sollte dem Digitalministerium obliegen.


Ob Verwaltung, Schule, Gesundheit oder Wirtschaft: Die Liste der digitalen Baustellen ist lang. Die Digitalisierung ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben für Deutschland und darf nicht weiter zwischen 57 Spezialabteilungen zerrieben werden. Wir brauchen klare Verantwortung in einem starken Ressort. Und eine entscheidungsfreudige, kompetente Persönlichkeit, die dieses Ressort mit Leben füllt.

 

www.bitkom.org

September 2021 Handelsblatt Zukunft Deutschland

»Digitaler Wandel schont unser Klima und ermöglicht wirtschaftlichen Fortschritt«

Lisa Ehrentraut / Teamleiterin Operations Bundesverband IT-Mittelstand

Durch die Corona-Pandemie hatte die Digitalisierung für viele doch noch an Spannung gewonnen: Vom langweiligen Dauerthema wurde sie zum entscheidenden Faktor unseres Lebens. Lange Zeit wurde der zähe Fortschritt bemängelt, nun konnte auch bei uns in Deutschland einiges auf einmal ganz schnell gehen. Mit der Digitalisierung gegen den Lockdown – und mit Blick auf die Rolle von Künstlicher Intelligenz beispielsweise bei der Impfstoffentwicklung sogar auch Digitalisierung im Kampf gegen das Virus selbst.


Einen solch rettenden Beitrag kann die Digitalisierung in Zukunft auch bei einer der größten Herausforderung unserer Zeit leisten – dem Klimawandel. Während Digitalisierung mit ihren energiehungrigen Rechenzentren und immer neuen, ressourcenschluckenden Endgeräten bisher eher als Teil des Problems gesehen wird, denken wir, dass der Digitalisierung in Zukunft vielmehr eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels zukommen wird. Ein offensichtlicher Beitrag sind die Einsparungen von Treibhausgasen durch die Möglichkeiten des Homeoffice und des damit einhergehenden, reduzierten Verkehrs. Doch das Potenzial der Digitalisierung geht noch viel weiter: Auch intelligente Netze in der Energieversorgung oder Simulationen über sogenannte digitale Zwillinge in der industriellen Fertigung können spürbar CO2-Emissionen einsparen.


Damit ist Nachhaltigkeit keineswegs ein Hemmnis für die Wirtschaft – im Gegenteil: Green IT ist ein Zukunftsmarkt, den es rechtzeitig zu erschließen gilt. Der digitale Mittelstand mit seiner Innovationskraft und Agilität ist ein bedeutender Beschleuniger bei der Entwicklung und Verbreitung nachhaltiger IT-Lösungen und daher ein unverzichtbarer Wegbereiter für einen digitalen Wandel, der unser Klima und unsere Umwelt schont und gleichzeitig wirtschaftlichen Fortschritt ermöglicht.

 

www.bitmi.de

September 2021 Handelsblatt Zukunft Deutschland

»GAIA-X zielt darauf ab, einen Marktplatz für Cloud-Dienstleistungen zu schaffen.«

Kai Kalusa / Experte für Digitalisierung und politische Interessenvertretung VDMA

Mit Daten als Wirtschaftsgut werden neue Werte im Produktionsprozess geschaffen. Dies ermöglicht Unternehmen, Prozesse zu verbessern oder neue Kooperationen innerhalb von Wertschöpfungsnetzen eingehen zu können, die vorher nicht möglich waren. Die höchste Stufe ist, dass durch die Daten neue Geschäftsmodelle generiert werden können.


Entscheidend dafür, ob der potenzielle Mehrwert aus den Daten tatsächlich realisiert werden kann, ist ein intelligenter Umgang mit den Daten. Ein wichtiger Faktor zur Ausschöpfung der vorhandenen Potenziale ist der unternehmensübergreifende Austausch von Daten zur Bildung von sogenannten Datenökosystemen. Datenökosysteme zeichnen sich dadurch aus, dass mehrere Unternehmen an der digitalen Wertschöpfung beteiligt sind und sich neue Verwertungsmöglichkeiten in Form datengetriebener und kundenzentrierter Geschäftsmodelle ergeben, die ein Unternehmen allein nicht erbringen könnte. Hierbei ist es wichtig, dass die beteiligten Unternehmen die relevanten Daten untereinander verfügbar machen, damit am Ende auch alle profitieren können.


Wie können datenbasierte Geschäftsmodelle geschützt werden, bei denen es kein Dateneigentum gibt und Datensicherheit immer wieder herausgefordert wird? Diesen Widerspruch überwinden Unternehmen unter anderem durch technische Maßnahmen wie beispielsweise einen sicheren Datentransport.


Hier müssen Unternehmen auf neue Infrastrukturen setzen, die Transparenz in der Wertschöpfungskette schaffen. Unternehmen tun sich dabei schwer, den richtigen Cloud-Anbieter zu wählen. Da setzt GAIA-X an. GAIA-X zielt darauf ab, einen Marktplatz für Cloud-Dienstleistungen zu schaffen. Das Angebot basiert auf europäischen Werten, bei dem die Transparenz des Leistungsumfangs klar geregelt ist und bei dem Unternehmen die Wahl haben, wie sie modular die Services nutzen, einkaufen und orchestrieren.


www.vdma.org

September 2021 Handelsblatt Zukunft Deutschland

»Umweltschutz? Er wird Spaß machen!«

Kurt Sigl / Präsident Bundesverband eMobilität BEM e.V.

Deutschland ist ein Land, das seine Kraft aus der Gemeinsamkeit schöpft. Das wurde nach dem Fall der Mauer vor 31 Jahren deutlich und wird auch heute politisch und gesellschaftlich so fortgesetzt. Sei es die Fluthilfe nach den Unwettern in NRW und Rheinland-Pfalz in diesem Sommer oder das beständige Ringen und Nicht-Sprengen des Länderfinanzausgleichs – die Gemeinschaft ist am stärksten, wenn sie von vielen Menschen getragen wird. Gerade für große Projekte ist das wichtig, wie etwa für Wirtschaftsprojekte wie die Energie- und Verkehrswende. Das Ziel der Klimaverbesserung ist politisch gesetzt. Ja, dies ist ein staatlicher Eingriff, aber noch längst keine Diktatur. Deutschland hat sich wie fast alle europäischen Länder zur Reduzierung der Klimabelastungen entschlossen. Die Signale unserer Umwelt sind deutlich und die Länder reagieren verantwortungsvoll. Jetzt gilt es, die Ziele gemeinsam praktisch umzusetzen, in der täglichen Mobilität und dem Wechsel auf elektrisch betriebene Fahrzeuge. Mit dem neuen Antrieb sind sowohl technische als auch verbraucherseitige Umstellungen verbunden, etwa bei der Bedienung von eAutos und dem Laden von Strom. Hierfür wird es zahlreiche Neuheiten und Anleitungen geben, Freude und Frustration und die Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung. Ich kann Ihnen sagen, es wird Spaß machen. Das gilt für die digitale Anwendung, die vorsorgliche Planung von Strecken, die überraschende Geräuschlosigkeit, das tolle Drehmoment, der Platz im Fahrzeug bis hin zur günstigen Aufladung. Klar, bislang ist die Elektromobilität vielen unbekannt. Ein Abenteuer steht bevor. Aber eins, welches die Haushaltskasse deutlich entlastet. Und darüber freut sich das ganze Land.


www.bem-ev.de

September 2021 Handelsblatt Zukunft Deutschland

»Energiewende für Modernisierung des Wirtschaftsstandorts voranbringen«

Dr. Simone Peter / Präsidentin Bundesverband Erneuerbare Energien BEE

Die Klimakrise ist real – das haben nicht nur wir in Deutschland, sondern viele Regionen der Welt mit Überflutungen, Hitze und Bränden schmerzlich in diesem Jahr erleben müssen. Trotzdem ist die Tragweite dieser Krise noch nicht in politisches Handeln übersetzt worden, denn neben der Stärkung des Katastrophenschutzes und der Klimawandelanpassung muss es auch um ambitionierten Klimaschutz gehen. Der einstige Energiewendevorreiter Deutschland kann zeigen, dass Klimaschutz, Innovation und Wertschöpfung zusammengehen. Dazu braucht es vor allem den verstärkten Ausbau der Erneuerbaren Energien, um den steigenden Bedarf an grüner Energie in den Sektoren Strom, Wärme, Mobilität und Industrie zu decken.


Es geht um nichts weniger als um eine Trendumkehr, denn in den letzten zehn Jahren gingen in der Erneuerbaren Branche rund 100.000 der 400.000 Arbeitsplätze verloren. Die energie- und industriepolitischen Weichen verhinderten wichtige Investitionen und Innovationen, die auch das damit einhergehende volkswirtschaftliche Potential schmälern. Um Versorgungssicherheit, Klimaschutz und regionale Wertschöpfung nachhaltig zu sichern, muss ein 100-Tage-Programm einer neuen Bundesregierung den Pfad für die Entfesselung der Erneuerbaren Energien im Stromsektor legen, allen voran Windenergie und Photovoltaik. Aber auch Bioenergie, Geothermie und Wasserkraft müssen ihre Potentiale einbringen, sowie die Erneuerbaren Wärmetechnologien und Treibstoffe ihren Beitrag zur sauberen Energieversorgung leisten.


Die Bürgerinnen und Bürger haben ihre Entscheidung am Wahlsonntag getroffen. Jetzt ist zügig eine handlungsfähige Regierung zu bilden, die den Zukunftsstandort Deutschland auf Basis eines nachhaltigen Energiesystems gestaltet. Die Erneuerbare-Energien-Branche steht in ihrer Schlüsselrolle für Klimaschutz und Innovation bereit.

 

www.bee-ev.de

September 2021 Handelsblatt Zukunft Deutschland

»Wirtschaft braucht stabile Rahmenbedingungen – auch beim Klima.«

Dr. Katharina Reuter / CEO Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft

Die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland hängt ganz massiv an der Klimafrage. Denn die Klimakrise gefährdet unseren Wirtschaftsstandort.

Klimaschutz ist Langfrist-Ökonomie. Daher fordern immer mehr Unternehmen und zukunftsorientierte Wirtschaftsverbände eine wirksamere, ambitioniertere und schnellere Klimaschutzpolitik. Die neue Bundesregierung muss dafür den Rahmen setzen: Mit einer lenkungswirksamen CO2-Bepreisung, einem Klima-Check für alle Gesetzes- und Investitionsvorhaben und dem Energiewende-Booster. Und ja, auch die klimaschädlichen Subventionen gehören endlich abgeschafft – und die vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Klimaziele erreichen wir nur mit einem schnelleren Kohleausstieg bis 2030.


Klimaschutz ist eine wirtschaftliche Chance. Für zukunftsfähige Arbeitsplätze, smarte Technologien und innovative Geschäftsmodelle. Der Markt zeigt, dass die nachhaltige Wirtschaft längst der Nische entwachsen ist. Die Zukunftswirtschaft steht für mehr als 8 Millionen Arbeitsplätze und über 1 Billion Euro Jahresumsatz. Allein die Bio-Branche stellt 300.000 Arbeitsplätze, davon ein Großteil in den 15.000 Unternehmen der Verarbeitung, der Gastronomie und des Handels bei einem Umsatz von 15 Milliarden Euro.


Innovative Zukunftswirtschaft und Gelingensbeispiele gibt es im Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft: Sei es die ökologische Suchmaschine, die bereits zu 200 Prozent erneuerbar arbeitet. Der mittelständische Bäcker, der schon vor mehr als 10 Jahren auf E-Mobilität und Sektorkopplung gesetzt hat. Die ethisch-ökologische Bank, die der EU-Taxonomie um 40 Jahre voraus war und die sozial-ökologischen Unternehmen der Zukunft finanziert.


Sie alle zeigen: Unternehmen können Teil der Lösung sein – und nicht Teil des Problems.

 

www.bnw-bundesverband.de