Dynamik durch Digitalisierung

Die Redaktion befragt Akteure zu den Innovationen in ihren Branchen.
Mai 2021 Handelsblatt Handel der Zukunft

»Die Zukunft heißt Zusammenwachsen von stationär und online.«

Stephan Tromp stellvertretender HDE-Hauptgeschäftsführer

Verlassene Innenstädte, leere Fußgängerzonen, geschlossene Ladentüren. Es sind diese Bilder, die für den Einzelhandel in Zeiten der Pandemie stehen. Doch auch wenn es in den Geschäften still war, brachte das den Handel nicht zum Stillstand. Ganz im Gegenteil. Händlerinnen und Händler nahmen die Herausforderung an und fanden kreative Lösungen. In Reaktion auf Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und ein verändertes Einkaufsverhalten erschlossen sie alternative Vertriebskanäle. Die vergangenen Monate waren damit dynamische Trendbeschleuniger, die den Handel für die Zukunft aufgestellt haben.
Das zeigt sich vor allem in der zunehmenden Verschmelzung von stationär und online. Eine strikte Trennung ist schon heute nicht mehr zeitgemäß. Vielmehr sind sich stationärer Handel und Online-Handel nach einem Jahr Corona-Pandemie so nah wie nie zuvor. Bei Services wie Click & Collect und Click & Meet gehen beide Konzepte Hand in Hand. Zudem haben viele lokale Handelsbetriebe in dieser Zeit ihre Online-Präsenz auf- oder ausgebaut. Sie verkaufen ihre Produkte über einen eigenen Online-Shop, sind auf Online-Marktplätzen vertreten und veranstalten Shopping-Events in den sozialen Medien.
Gleichzeitig halten neue Technologien Einzug in den Point of Sale. Von elektronischen Preisschildern über smarte Spiegel bis hin zu innovativen Checkout-Systemen. Die Digitalisierung ist im Geschäft vor Ort angekommen, während der Laden an der Ecke seinen Platz auch online findet. Das Zusammenwachsen von stationär und online ist kein Trend, sondern die Zukunft des Handels. Und die hat bereits begonnen. Der nächste Schritt ist nun die Rückkehr zu lebendigen Innenstädte, gut besuchten Fußgängerzonen und offenen Ladentüren. Danach fängt die Zukunft der Händlerinnen und Händler neu an.

www.einzelhandel.de

Mai 2021 Handelsblatt Handel der Zukunft

»Wer auf Shopping-Tour geht, erwartet Professionalität.«

Dr. Bernhard Rohleder Hauptgeschäftsführer Bitkom

Spätestens seit Corona ist klar: Eine gute Online-Präsenz ist für Einzelhändler kein Nice-to-have – sie ist Pflichtprogramm. Der Webshop ist unverzichtbar für alle, die ihre Bestandskundinnen und -kunden halten und neue Käufersegmente erschließen wollen. Um das Ob geht es dabei nicht mehr, es geht nur noch um das Wie. Der Rat lautet deshalb: Keine Bastelei! Wer heute auf Shopping-Tour geht, erwartet nicht nur, dass der technische Teil funktioniert – erwartet wird Professionalität. Insbesondere während der Corona-Krise sind die Ansprüche der Kundinnen und Kunden enorm gestiegen. Online-Shopping kann und muss Spaß machen, positiv überraschen, spielend leicht sein. Außerdem muss die Ware nach einem, spätestens zwei Tagen ankommen.
Wer diese Anspruchshaltung bedienen will, braucht einen State-of-the-Art-Shop und Technologiepartner, die ein Höchstmaß an Funktionalität, Verfügbarkeit und Sicherheit garantieren. Dank neuer Cloud-Angebote haben inzwischen auch kleine Geschäfte Zugriff auf beste E-Commerce-Lösungen. In der digitalen Einkaufswelt kann jeder in die 1A-Lage der Shopping-Mall vorrücken. Das Web kann auch kleine Händler auf Augenhöhe mit den Großen bringen.
Die bedeutendste Herausforderung des stationären Einzelhandels ist deshalb nicht der Online-Einzelhandel. Problematisch wird es, wenn der Handel aus der Wertschöpfungskette ausgeklinkt wird. Von der Ökobäuerin, die Lebensmittel im virtuellen Hofladen über die Theke reicht bis zum Autohersteller, der seine Fahrzeuge im Web verkauft und dann zum Kunden fährt: Wenn Hersteller die Endverbraucherinnen und -verbraucher auf direktem Weg adressieren, muss der Handel um seine Bedeutung kämpfen. Das ist die Herausforderung – und sie ist existenziell. Jetzt muss es für den Handel darum gehen, darauf eine Antwort zu finden.

www.bitkom.org

Mai 2021 Handelsblatt Handel der Zukunft

»Soziale Netzwerke drohen eigene Wirtschafts- und Zahlungs- kreisläufe zu betreiben.«

Manfred Wolff Vorsitzender Bundesverband der Dienstleister für Online-Anbieter BDOA e. V.

Geld ist was gilt bzw. was die Geldfunktionen erfüllt. Gelingt es der Zentralbank, Geld gleichermaßen zur soliden Wertaufbewahrung, als Recheneinheit, Tausch- und Wertausgleichsmittel zu etablieren, dann wird es akzeptiert. Ansonsten übernehmen andere Akteure die Geldfunktionen, etwa zur Spekulation oder Repräsentation. Im Eurosystem verfolgt die Europäische Zentralbank (EZB) neben der Geldwertstabilität zunehmend weitere Ziele, etwa die Rettung von Firmen und Geschäftsbanken oder neuerdings den Umwelt- und Klimaschutz. Digitales Geld könnte im Handel Smart Contracts und automatische Abos beschleunigen. Manche denken an programmierbares Geld, dessen Kaufkraft und Wert sich an das Verhalten der Inhaber anpasst. Vom Primat der Geldwertstabilität wären wir damit weit entfernt. Heute schon werden Geldfunktionen von sogenannten Schattenbanken bestimmt, auch Crypto-Assets wie Bitcoin & Co. spielen eine zunehmend wichtige Rolle. Es wäre sogar denkbar, dass Soziale Netzwerke in Zukunft eigene Wirtschafts- und Zahlungskreisläufe betreiben und sogar Rechtsstreitigkeiten intern regeln, was erheblichen sozialen Sprengstoff bedeuten würde.

Aktuell reagiert die EZB und plant zusammen mit den Geschäftsbanken ein zweistufiges Schema. Anders als 2008/10 vom BDOA als Virtual Micro Money für effizientere Kleinzahlungen konzipiert, könnte der Digitale Euro nun nicht das physische Bargeld 1:1 ergänzen, sondern sich als eToken aus Bar- und Giralgeld zusammensetzen. Es bleibt abzuwarten, ob dies durch Mehrwert die notwendige breite Akzeptanz im Rahmen der oben genannten Geldfunktionen finden kann. Eine Volkswirtschaft muss ihre Geldwirtschaft aber unter Kontrolle behalten, um ihre demokratische Legitimation weiter ausüben zu können. Hoffen und handeln wir gemeinsam, dass dies europäisch mit allen Anforderungen gelingt.

www.bdoa.de