Energie neu denken

Die Redaktion befragt die Branche zu den Perspektiven für eine nachhaltige Energiewende.
Juni 2021 Handelsblatt Zukunft Energie

»Mit neuen Kooperationen altes Schwarz-Weiß-Denken überwinden«

Kurt Sigl Präsident Bundesverband eMobilität BEM

Transformationen sind keine einfache Sache. Erst recht nicht in komplexen Industrien, wo viele Geschäftsmodelle und Wirtschaftsstrukturen mit fossiler Energie und fossilem Antrieb verbunden sind. Derzeit erleben wir einen Abwehrkampf gegen die Veränderung CO2-freier Wirtschaftsproduktion. Die Initiative Soziale Marktwirtschaft stellt sich mit einer Kampagne gegen den Klimaschutz als „Staatsreligion“.

Der Chef der IGBCE warnt vor neuem Klima-Prekariat, und die Spitzenkandidatin einer Oppositionspartei wird nach Strich und Faden mit Vorwürfen oder wahlweise Falschnachrichten überzogen. Nichts davon trägt zur Energie- und Verkehrswende bei. Es macht dafür deutlich, dass Ängste bestehen vor Verlusten und die Chancen der ökologischen Produktion noch zu ambivalent erscheinen. Im Reflex werden die Unterschiede betont, die Gräben vergrößert, das Schwarz-Weiß-Denken ausgebaut. Dabei gibt es wunderbare Beispiele, wo „alte“ Akteure „Neues“ vorantreiben und schon längst auf buntem Erfolgskurs damit sind. Pionier-unternehmen wie AL-KO, Huber Automotive oder e-troFit kommen aus dem ingenieurgetriebenen Maschinenbau und beschäftigen sich seit Jahren mit der Elektromobilität am Fahrgerät. Unternehmen wie The Mobility House, Parkstrom oder Wallbe arbeiten an den Schnittstellen zur Erneuerbaren Energie, den wechselseitigen Lademöglichkeiten und der Optimierung des Energieeinsatzes. Und wiederum andere Unternehmen bemühen sich um die digitale Verständlichkeit, die Vereinfachung für die Endkunden und Verbraucherinnen. Der Schlüssel des Erfolgs liegt in den neuen Kooperationen und Allianzen. Die Elektromobilität steht für neue Verknüpfungen: Elektrische Energie laden statt Benzin und Diesel tanken – Sharing statt Eigentum – digital statt analog – regional verfügbare Energie statt Kraftstoffimport – Ressourceneffizienz statt Verschrottung – und vieles mehr.

www.bem-ev.de

Juni 2021 Handelsblatt Zukunft Energie

»Strommarkt auf Erneuerbare Energien ausrichten«

Dr. Simone Peter Präsidentin Bundesverband Erneuerbare Energien

Während die Erneuerbaren Energien zur tragenden Säule unseres Strommarktes geworden sind und im Jahr 2020 bereits 47 Prozent des Bruttostrombedarfs deckten, hinkt der Strommarkt dieser Entwicklung hinterher. Er behindert mit seiner an Großkraftwerken orientierten Systematik und seinem Gestrüpp aus Abgaben und Umlagen faire Wettbewerbsbedingungen für Erneuerbare Energien. Denn obwohl deren Stromgestehungskosten kontinuierlich sinken, steigt die EE-Umlage für Privathaushalte sowie kleine und mittlere Unternehmen. Dadurch erhöhen sich auch die Risiken und Kosten für Betreiber von Ökostromanlagen. Der Hintergrund ist, dass sinkende Großhandelspreise die Differenz zwischen dem Marktwert des erneuerbaren Stroms und der Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) erhöhen. Diese muss über die EEG-Umlage ausgeglichen werden. Die Wirtschaftskrise infolge der Corona-Pandemie verschärfte dieses Paradoxon aufgrund gesunkener Stromverbräuche.

Auch die Befreiung von der EEG-Umlage, sowohl von stromintensiven Unternehmen als auch des Eigenverbrauchs der konventionellen Energien, lässt die Umlage anwachsen. Dabei hätte man diese Wirtschaftsförderung schon längst aus dem Bundeshaushalt finanzieren können. Auch das Problem der ansteigenden negativen Strompreise muss gelöst werden. Um sie zu begrenzen, sind Anreize für eine Flexibilisierung von Stromangebot und -nachfrage zu setzen und Speicher auszubauen. Damit kann auch der wachsenden Bedeutung der Sektorenkopplung – von Wärmepumpen über E-Autos bis zu grünem Wasserstoff - und mehr Bürgernähe Rechnung getragen werden. Vorschläge, die einen Systemwechsel bei der Finanzierung der Erneuerbaren herbeiführen wollen, müssen den klimapolitisch notwendigen Ausbau der Erneuerbaren und das Repowering von Anlagen mitdenken.

www.bee-ev.de

Juni 2021 Handelsblatt Zukunft Energie

»Grüner Wasserstoff – unverzichtbar für eine versorgungssichere Energieversorgung«

Werner Diwald Vorstandsvorsitzender Deutscher Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (DWV)

Grüner Wasserstoff bietet einzigartige industriepolitische Chancen und steht für Klimaschutz, generationsübergreifende soziale Gerechtigkeit und volkswirtschaftlichen Wohlstand. Mit der Ansiedlung von Brennstoffzellen- und Elektrolysefertigungen können in Deutschland zehntausende Arbeitsplätze bis 2030 geschaffen werden.

Die Chemie- und Stahlbranche werden zukünftig auf grünen Wasserstoff angewiesen sein, um die Klimaziele zu erreichen. Im Verkehr- und Wärmesektor sind Wasserstoff und Brennstoffzellen die emissionsfreien Lösungen, die den Nutzungsansprüchen gerecht werden. Es gilt zudem, den ideologischen Widerstand gegen synthetische Kraftstoffe für die Bestandsflotte hinter sich zu lassen. Die Wahrheit ist, dass die Verkehrsklimaziele 2030 nur so zu erreichen sind.

Klare gesetzliche Rahmenbedingungen für den nationalen Ausbau der Erneuerbaren Energien und grüner Wasserstofferzeugungsanlagen sind dafür zwingend notwendig. Gleiches gilt für den Aus- und Umbau der Gasinfrastruktur, für die Beimischung von Wasserstoff und den reinen Wasserstofftransport.

Deutschland wird zudem auf den Import enormer Mengen an grünem Wasserstoff angewiesen sein. Daher gilt es, jetzt eine europäische Wasserstoffunion und internationale Wasserstoff-Energiepartnerschaften politisch zu gestalten.

Grüner Wasserstoff hat wie kein anderer Energieträger das Potenzial, Klimaschutz und wirtschaftlichen Wohlstand miteinander zu vereinen. Es gilt, jetzt konsequent zu handeln!

www.dwv-info.de