Digitale Hoffnungsträger

Es herrscht Aufbruchsstimmung in der Energiebranche. Allerdings müssen bei der Befeuerung der Digitalisierung noch ein paar Briketts mehr aufgelegt werden
Julia Thiem Redaktion

Der 22. April ist der „Tag der Erde“, oder „Earth Day“. Ursprünglich von amerikanischen Studenten ins Leben gerufen, sollen an diesem Tag die Wertschätzung für unsere Planten, die Umwelt sowie ein verantwortungsvoller Umgang mit vorhandenen Ressourcen im Mittelpunkt stehen.


1993 kam der Earth Day auch nach Deutschland. Dies nahm der Energiekonzern Eon zum Anlass, die seitdem produzierte Menge grünen Stroms aus Wasser-, Wind- und Sonnenenergie zu berechnen. Das Ergebnis klingt beeindruckend: Ganze 2,3 Millionen Gigawattstunden sind schon zusammengekommen. „Mit dem bisher produzierten Strom aus regenerativer Energie könnten beispielsweise die fünf größten deutschen Flughäfen in Frankfurt, München, Düsseldorf, Berlin und Hamburg rund 1.000 Jahre lang mit Strom versorgt werden“, sagt Victoria Ossadnik, Vorsitzende der Geschäftsführung von E.ON Energie Deutschland. Den Stadtstaat Bremen könnte man ganze 222 Jahre mit dieser Menge grünen Stroms versorgen.
Aber: In Nordrhein-Westfalen mit seinen knapp neun Millionen Haushalten würden schon nach neun Jahren alle Lichter ausgehen. Dennoch ist es erfreulich, dass der Anteil erneuerbarer Energien seit der Einführung des Earth Day in Deutschland kontinuierlich steigt. Aktuell liegt er bei etwa 40 Prozent.


Für unsere Erde ist das definitiv eine gute Nachricht. Und der Anteil erneuerbarer Energien soll im Rahmen der deutschen Energiewende bis 2030 auf 65 Prozent ausgebaut werden. In drei Jahren sollen Kernkraftwerke bereits Geschichte sein. Bis 2038 soll dann auch das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen. Laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, BDEW, müssen damit allerdings innerhalb von knapp 20 Jahren 50 Gigawatt gesicherte Leistung aus dem System genommen und durch Windenergie, Solaranlagen, Speicher sowie klimafreundliche Gaskraftwerke ersetzt werden.

 

Neue Geschäftsmodelle entstehen

 

Um die Dimension einordnen zu können: Das entspricht mehr als der Hälfte der gegenwertigen konventionellen Kapazität. Für den Vorsitzenden der BDEW-Hauptgeschäftsführung Stefan Kapferer bedeutet das vor allem, dass die Zeichen für die Energiewirtschaft wieder auf Wachstum stehen: „In der Energiebranche wachsen Aufbruchstimmung und Optimismus. Die Unternehmen entwickeln neue Geschäftsmodelle und setzen verstärkt auf Kooperationen – sowohl mit Nachbarbranchen als auch mit anderen Energie-unternehmen.“


Dieser Optimismus ist allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn die Digitalisierung der Energiebranche an Fahrt aufnimmt – andernfalls ist die Energiewende kaum zu schaffen. Denn mit ihr geht eine Umstellung auf viele kleinere, dezentrale Energieerzeuger einher, deren Produktionsmengen zudem stärker schwanken. Deshalb ist es gerade für Netzbetreiber wichtig zu wissen, wann wie viel Strom fließt. Technisch ist das längst möglich. Und würde es nach dem Willen der EU gehen, würden bis 2022 auch die bisherigen schwarzen Stromzähler mit ihren kleinen Rädchen durch sogenannte Smart Meter ersetzt. Für Kunden bieten sie eine Menge Vorteile: Wäsche waschen, wenn der Strom besonders günstig ist? Den Strom der eigenen Solaranlage auf dem Dach dann einspeisen, wenn gute Preise erzielt werden können? Für die kleinen intelligenten Stromzähler kein Problem. Sie buchen für Verbraucher aber eben nicht nur den günstigsten Tarif oder optimieren den Verbrauch, sondern sind der vielleicht wichtigste Hoffnungsträger für die Energiewende. Denn wer intelligent misst, kann auch Kapazitäten intelligent steuern. Und das ist gerade bei volatilen Lasten wie die der Windkraft und Solarenergie eine der wichtigsten Voraussetzungen.

 

Smart Meter lassen auf sich warten

 

Eigentlich sollten große Verbraucher in Deutschland bereits 2017 mit Smart Metern ausgestattet werden. Der große Rollout lässt aber weiter auf sich warten. Grund sind die sogenannten Gateways, also die Zugänge, die den Zähler mit den Netzbetreibern und Stromlieferanten verbinden. Ihre Zulassung ließ bisher aufgrund der hohen Sicherheitsauflagen auf sich warten. „Das Wirtschaftsministerium muss den Rollout der intelligenten Messsysteme endlich zur Chefsache machen“, forderte Ende März deshalb auch Andrees Gentzsch, Mitglied der BDEW-Hauptgeschäftsführung auf dem Treffpunkt Netze des Verbands. „Sie sind der Schlüssel für intelligente Netzsteuerung, Elektromobilität, Smart Home Applikationen und vieles mehr.“


Was Gentzsch hier anspricht, sind ganz neue Geschäftsfelder für Energieversorger durch die Smart Meter. Es wäre künftig beispielsweise möglich, dass eine Art Hausalarm bei älteren Menschen ausgelöst wird, wenn sie nicht wie üblich morgens um acht ihre Kaffeemaschine einschalten – sprich sich an ihren Verbrauchsgewohnheiten etwas gravierend ändert. Für die Auswertung solcher spezifischen Daten müssten Kunden selbstverständlich auch eine ausdrückliche Genehmigung erteilen. Standardmäßig übermitteln die Smart Meter lediglich den Gesamtstromverbrauch über den Tag verteilt. Konkrete Kundenprofile lassen sich auf dieser Ebene noch nicht erstellen. Hier zeigt sich jedoch, wie weit außerhalb der eigenen Branchengrenzen die Energiewirtschaft neue Dienstleistungen und Produkte entwickeln könnte, wenn der Digitalisierungsgrad erst einmal ein bestimmtes Niveau erreicht.


Ein weiteres hoch aktuelles Buzzword, was derzeit in der Branche die Runde macht, ist die Blockchain. „Der Einsatz der Blockchain in einzelnen energiewirtschaftlichen Anwendungsfeldern kann unter wirtschaftlichen, technologischen und regulatorischen Gesichtspunkten einen Mehrwert für Unternehmen darstellen, wenngleich diese Dimensionen immer separat bewertet und gegeneinander abgewogen werden müssen“, lautet beispielsweise das Ergebnis einer Studie der Deutsche Energie-Agentur dena von Februar dieses Jahres. Darin werden unter anderem mögliche Anwendungsfälle analysiert. Denkbar wäre etwa ein Blockchain-basiertes Engpassmanagement. Es würde auf Verteilnetzebene die komplexe Kommunikation und Kooperation vieler Akteure und Assets unterstützen und Engpässe durch Lastverschiebung vermeiden. Allerdings, attestiert auch die dena, ist eine entsprechende digitale Infrastruktur in Form intelligenter Messsysteme dafür unbedingt Voraussetzung.

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