Wer auf der Autobahn A9 nördlich von München unterwegs ist, dem könnten dort seit dem vergangenen Dezember bisher unbekannte Verkehrsschilder auffallen. Um das Dreieck Holledau herum stehen sie – schwarzweiß, mit Quadraten und Viertelkreisen. Auge und Hirn scheitern daran, einen Sinn zu erkennen.
Wer sie allerdings lesen kann, das sind autonom fahrende Autos, die hier im Verkehr getestet werden. Die geometrischen Symbole sind Landmarkenschilder, die es den selbststeuernden Fahrzeugen erlauben, ihre Position zu bestimmen.
Fahrerlose Autos auf öffentlichen Straßen? Noch heute kommt so etwas vielen wie Science Fiction vor. Doch schon seit zwei Jahren ist die Strecke zwischen Ingolstadt und München für solche Erprobungen freigegeben. Seit kurzem sind mit der Region Wolfsburg und den Straßen rund um Karlsruhe zwei weitere Testfelder hinzugekommen. Auch in Berlin ist eine Testsrecke geplant. Es sind Hinweise auf eine bevorstehende Revolution des Verkehrs, wie wir ihn kennen. Und die Städtenamen verraten Autointeressierten, welche Unternehmen unter den Revolutionären sind.
Selbstfahrende Autos, die Vernetzung von Fahrzeugen miteinander sowie mit der Infrastruktur um sie herum, das sind die großen Themen. Und nicht zuletzt neue Antriebskonzepte. Denn vieles spricht dafür, dass der Verkehr der Zukunft zu immer größeren Teilen elektrisch rollen wird.
Elektro-Autos sind endlich konkurrenzfähig
Zwar hat es länger gedauert als Optimisten erwartet haben, bis das Thema E-Mobilität ins Rollen gekommen ist. Doch nun scheinen Antworten gefunden zu sein auf die beiden großen Herausforderungen: Reichweite und Lademöglichkeiten. Opel zum Beispiel verspricht für den kommenden, elektrisch angetriebenen Ampera-e bis zu 500 Kilometer Fahrt bis zur nächsten Ladesäule, beim VW e-Golf und beim i3 von BMW sind es 300. Und Experten sind sich einig, dass die kommende Generation diese Werte abermals steigern wird. E-Autos werden solchen mit Verbrennungsmotoren in absehbarer Zeit in nichts mehr nachstehen. Berufspendlern mit Steckdose in der Garage reichen auch die heutigen Werte schon locker. Und wer häufig weiter fahren muss, der kann zum Plug-In-Hybrid greifen, der ebenfalls an der Steckdose lädt und auch einige Dutzend Kilometer rein elektrisch schafft, bevor der Verbrennungsmotor übernimmt.
Schon heute finden sich solche Angebote in praktisch allen größeren Baureihen von Mercedes, BMW oder Audi, bei VW fahren Golf und Passat als Plug-In. Genutzt werden die Hybride immer mehr von beruflichen Vielfahrern, also von denjenigen, die vor einigen Jahren noch auf Dieselmotoren abonniert waren.
Und was das Laden angeht: Es geht immer schneller, an immer mehr Orten. Ladestationen für die Garage zuhause füllen die Akkus eines BMW i3 inzwischen in rund drei Stunden. Schnelllader an der Strecke können es in etwa einer Stunde schaffen, die Akkus eines e-Golf wieder zu 80 Prozent zu füllen – wer ab und zu eine Kaffeepause einlegt, kann in dieser Zeit den Strom für die nächste Etappe mitnehmen.
Der Raststättenbetreiber Tank & Rast baut solche Stationen gerade an allen seinen 400 Standorten auf. 5.000 weitere Säulen fördert das Bundesverkehrsministerium, ein Konsortium von Daimler, BMW, Ford und VW engagiert sich ebenfalls beim Aufbau eines Schnelllader-Netzes. Und: Porsche hat für 2019 einen Elektro-Sportwagen angekündigt, der 500 Kilometer Reichweite haben und binnen einer Viertelstunde zu 80 Prozent aufgeladen sein soll. Eine Messlatte, an der sich auch die nächsten Generationen anderer Hersteller orientieren werden – Werte, bei denen Benziner und Diesel nichts mehr besser können.
Das Auto findet die Ladestation selbst
Wo der nächste freie Schnelllader ist, das klärt das E-Auto übrigens im Hintergrund und sagt es dem Fahrer. Dank Vernetzung, dem zweiten großen Thema der laufenden automobilen Revolution: Das Smartphone via „Apple Carplay“ oder „Android Auto“ über den Wagen zu steuern, ist bei neuen Modellen schon fast Standard. Und schon heute tauschen Fahrzeuge so einiges an Daten mit ihrer Umgebung aus. So können Navigationssysteme auf Streckensperrungen und Staus reagieren, umgekehrt können im Fall eines Unfalls vollautomatisch Helfer gerufen werden.
Die Projekte von Herstellern, Zulieferern und Forschungsinstitutionen zeigen, dass das erst der Anfang ist: In Zukunft könnten Fahrzeuge den nachfolgenden Verkehr vollautomatisch vor Glatteis oder Hindernissen auf der Strecke warnen. Die Datenbasis dafür geben Sensoren und Kameras an Bord heute schon her, die Informationen müssten nur ausgetauscht werden. Auch spezielle Warnschilder an Wanderbaustellen könnten ihre Standorte an Fahrzeug-Computer übermitteln, das brächte Sicherheit für Fahrer und Arbeiter.
Auch so etwas wird auf den Teststrecken von praktisch allen Herstellern und vielen Zulieferern erprobt. Wie auch Fußgänger und Radfahrer von all dem profitieren können, hat Zulieferer ZF mit Konzept „X2Safe“ demonstriert. Dabei laufen Standortübermittlung und Warnungen über eine Smartphone-App und machen jeden für die anderen im Verkehr sichtbar: Der LKW-Fahrer wüsste dann von dem Radler schräg hinter ihm. Und der wiederum würde, zum Beispiel per Vibrationsalarm, vor einer drohenden Kollision mit dem entgegenkommenden Kollegen hinter der nächsten Ecke gewarnt.
Digitalisierung rettet Menschenleben
Am Ende steht die Vision vom Verkehr als Matrix, in der vernetzte Systeme Fahrzeuge maximal effizient durch den Verkehr leiten, sie zum Beispiel im Stau automatisch so über die Spuren verteilen, dass alle mit minimaler Wartezeit davonkommen. Oder in der Ampeln den Autos davor verraten, wann sie umspringen, sodass pro Grünphase mehr Fahrzeuge durchkommen.
Rund 300 Menschenleben könnte eine solche elektronische Kommunikation im Verkehr pro Jahr in Deutschland retten, das hat Zulieferer Bosch in einer aktuellen Studie gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Prognos ermittelt. McKinsey ermittelte, dass 70 Prozent der Deutschen sogar bereit wären, für solche Dienste extra zu zahlen.
Denn neben der Sicherheit kann Vernetzung auch für eine Menge zusätzlichen Komfort sorgen: VW zum Beispiel hat jüngst das Konzept „VW-ID“ präsentiert, mit dem das eigene Profil, von Sitzeinstellung bis Lieblingssender, von Fahrzeug zu Fahrzeug mitgenommen werden kann – praktisch für Carsharing oder Flottenverkehr. Und mit der Telekom arbeitet man gemeinsam an der Vernetzung von Smart Car mit Smart Home. So könnten zum Beispiel Bilder von Überwachungskameras in Fahrzeugbildschirme eingespielt werden. In Sachen Anwendungen sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt.
Und nicht zuletzt helfen die Vernetzungen extrem beim Konzept des Autonomen Fahrens. Denn je mehr Informationen die Fahrzeugelektronik über alles erhält, was sich auf der Straße abspielt, desto präziser kann sie den Wagen durch den Verkehr steuern. Schon heute bieten zum Beispiel die Mercedes-E-Klasse oder der BMW 5er Assistenten, die auf der Autobahn in Standardsituationen gut allein zurechtkommen. Die „Phase 4“ – vollautomatische Fahrzeuge für Passagiere, die keinen Führerschein mehr zu haben brauchen, könnte nach Expertenschätzungen in etwa zehn Jahren erreicht sein.
Definitiv mehr als Science Fiction: Ende März hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das die Rahmenbedingungen für autonomes Fahren im öffentlichen Verkehr regelt. Um die ethische Dimension von computerisierten Entscheidungen auf der Straße kümmert sich eine Kommission, die im Sommer ihren Bericht vorlegen will. Wenn die technische Entwicklung soweit ist, dann will die Politik ihre Hausaufgaben erledigt haben.
Und fast nebenbei könnte die kommende technische Revolution auch dazu beitragen, den Verkehr und die Städte miteinander zu versöhnen: Elektroautos sind leise, sie stoßen keine Abgase aus, all das wird der Lebensqualität helfen. Auch stadtaktive Unternehmen wie Post oder Hermes beginnen Erfahrungen mit elektrisch angetriebenen Lieferwagen zu sammeln. Das Interesse bei Flottenbetreibern ist groß.
Und vom Datenaustausch profitieren auch Car-sharing oder vernetzte Mobilität: Die App „Here WeGo“ bezieht heute schon Nahverkehrsfahrpläne in die Navigation ein, mit dem von Daimler entwickelten „moovel“ lassen sich Carsharing-Autos, Taxis sowie Bahn- und Nahverkehrstickets via Smartphone buchen und bezahlen. So nimmt man das Auto dann, wenn man es braucht – und kann bei schönem Wetter per Mietrad in die City radeln.