Lagerkosten halbieren – so geht’s

KI in Produktion und Logistik steht noch ganz am Anfang. Aber es ist bereits abzusehen, welch enormes Potenzial sie entfaltet.

Illustration: Sophie Mildner
Illustration: Sophie Mildner
Axel Novak Redaktion

Zuckerbrot-und-Peitsche sind ein gängiges Führungsprinzip, auch in der Logistik. Mit dem vermehrten Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zeigt sich jedoch eine neue Facette: Mit mehr Effizienz und präziseren Prognosen bringt die KI vor allem die Chance für Unternehmen mit sich, den „Bullwhip-Effekt“ zu vermeiden. Denn dieser Effekt, das Schwingen der Peitsche, ist ein gefürchtetes Phänomen in der Logistik. Geringe Nachfrageänderungen auf der Verbraucherseite schaukeln sich in der Lieferkette zu großen Schwankungen auf, was zu Lagerengpässen oder teuren Überproduktionen führt. 

Eine Reihe von Faktoren, wie Kommunikationsprobleme oder inkonsistente Datenflüsse, führen zu diesem Effekt. Fehlinterpretationen von Bedarf oder Lieferkapazitäten lassen Angebot und Nachfrage auseinander klaffen, erläutert Eric Weisz, Geschäftsführer des österreichischen Start-ups Circly. „Mit unserer KI können wir aus alten Daten neue Erkenntnisse gewinnen, indem Verkaufsdaten mit externen Faktoren wie Wetter oder saisonalen Trends verknüpft werden“, so Weisz auf dem Logistikkongress im Oktober 2024 in Berlin. Das Tool helfe Logistikdienstleistern, Schlüsselinformationen wie Verkaufszahlen und Kundenverhalten für verlässlichere Prognosen zu extrahieren. So konnte ein Bierproduzent zur Fußball-WM 2022 durch KI die Abweichung in der Absatzprognose um sechs Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Methoden reduzieren.
 

KI IN DER PRODUKTION


In der gesamten industriellen Produktion wird KI vermehrt als Treiber für Effizienzsteigerungen gesehen. Professor Holger Hanselka, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, beschreibt in einem FAZ-Podcast generative KI als „enormen Beschleuniger“ – eine neue Basistechnologie, ähnlich umwälzend wie die Dampfmaschine bei ihrer Einführung. Er ergänzt jedoch, dass „wir eher langfristig als kurzfristig profitieren werden.“ Die Herausforderung besteht dabei häufig darin, KI-gestützte Systeme nicht nur zu implementieren, sondern sie kontinuierlich zu verbessern.

Große Unternehmen setzen KI längst erfolgreich ein. Der Industriekonzern Thyssenkrupp zum Beispiel bei der Planung von Lieferketten. Übliche Berechnungen, meist auf Excel-Basis, lieferten häufig keine validen Ergebnisse und Prognosen mehr, erklärt Reiner Kurzhals, Chief Product Officer der Thyssenkrupp Materials Service-Tochter Pacemaker: „Mithilfe modernster Technologie schauen wir nach Milliarden von Mustern aus der Vergangenheit und projizieren sie in die Zukunft. Die Kombination von internen Unternehmenskennzahlen und externen Daten wie dem Ölpreis, Wetterdaten und Wechselkursen, ermöglicht es uns, mit einer unglaublich hohen Genauigkeit von meist mehr als 90 Prozent verlässliche Prognosen aufzustellen. Anhand dieser Voraussagen können unsere Kundinnen und Kunden in der Industrie dann die Steuerung ihres Unternehmens ausrichten.“

Das Effizienzpotenzial durch KI in der gesamten Industrie ist enorm, sagt auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI): Vor allem in der Logistik hilft KI schon heute, Nachfrage und Angebot genauer vorherzusagen, was die Lagerhaltungskosten erheblich senken kann. Der BDI geht davon aus, dass diese Kosten durch präzisere Absatzprognosen fast halbiert werden könnten. In der Produktion wiederum könnten Anlagen um bis zu 20 Prozent besser ausgelastet werden. Und das maschinelle Lernen ermögliche nicht nur eine bessere Vorhersage von Maschinenausfällen, sondern auch eine optimierte Produktionsplanung, da Maschinen effizienter und länger genutzt werden können. Zudem könne durch die gezielte Zusammenarbeit von Robotern und Menschen die Produktivität um ein Fünftel erhöht werden, allein eine automatische visuelle Fehlererkennung in der Qualitätskontrolle könne den Ausschuss in einigen Bereichen um bis zu 30 Prozent reduzieren.

Auch die Automobilindustrie setzt zunehmend auf KI, um schneller und präziser zu reagieren. Der Automobilzulieferer Leoni zum Beispiel verkürzt durch KI die Vorlaufzeit für Angebote bei Kabelsätzen erheblich. Früher gaben Kunden dem Zulieferer Wochen Zeit, um ein Angebot zu erstellen, heute muss das wesentlich schneller erfolgen. Aufgrund umfangreicher Trainingsdatensätze kann die KI bei Leonie nun Produktionszeiten für Kabelsätze relativ genau vorhersagen – und damit die Angebotserstellung beschleunigen: „Im Kampf um jede Minute Produktionszeit hilft KI also schon einmal“, heißt es dazu im Firmenblog von Leoni. Nun will Leoni die KI nicht nur zusätzlich in der Qualitätskontrolle einsetzen, weil sie fehlerhafte Produkte schneller und präziser erkennen kann. Sondern die KI soll auch ihre eigenen Codes schreiben. „Es besteht die reale Chance, mit Hilfe von KI auch KI-Code zu generieren – und zwar deutlich schneller als bisher“, heißt es im Blog. 
 

LÖSUNGEN FÜR DEN MITTELSTAND


Längst nicht nur Großunternehmen profitieren von der maschinellen Intelligenz, auch der Mittelstand kann durch gezielte Automatisierungen in der Produktion und Logistik Effizienzgewinne erzielen. Das Zentrum für Künstliche Intelligenz an der Technischen Hochschule Nürnberg entwickelt praxisorientierte KI-Lösungen für kleine und mittelständische Unternehmen. „Mit Daten und entsprechenden Labels, also definierten Kategorien, die für konkrete Trainingsdaten wichtig sind, füttern wir die Systeme und entwickeln KI-Modelle, die Unternehmen dann direkt nutzen können“, erklärt Niels Oberbeck, Präsident der Hochschule. 

Auch hier gilt das Prinzip (Zucker-)Brot und Peitsche: Jüngst entwickelte das KIZ für einen Bäckereibetrieb einen sogenannten „Semmeldetektor“. Basierend auf einer Datenbank von 1.000 Brötchen-Bildern ist das System in der Lage, die Retouren an unverkauften Backwaren zu analysieren. So können Bäckereifilialen künftig mit den Sorten und Mengen beliefert werden, die die Kunden nachfragen. Für den Bäcker zahlt sich das Tool hochgradig aus: Er spart im Jahr einen mittleren fünfstelligen Euro-Betrag.

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