Was bedeutet die Digitalisierung?

Die Redaktion befragt Akteure zu Chancen und Herausforderungen in der Gesundheitsbranche.
Oktober 2016 Die Zeit Zukunft Medizin

»Mit der Dynamik Schritt halten.«

Joachim M. Schmitt Geschäftsführer & Vorstandsmitglied; Bundesverband Medizintechnologie BVMed

In der MedTech-Branche schreitet die Entwicklung besonders schnell voran. Die Innovationszyklen sind sehr kurz – im Gegensatz zum Arzneimittelbereich. Rund ein Drittel der Medizinprodukte sind nicht älter als drei Jahre. Medizinprodukte werden stetig weiterentwickelt – unter aktiver Mitwirkung der Anwender, der Ärzte und Pflegekräfte.

Ein Beispiel dafür ist der minimalinvasive Herzklappenersatz: Hier gibt es nach zehn Jahren in der Anwendung bereits die vierte Klappengeneration, die stetig optimiert wurde. Das ist typisch für die Welt der Medizintechnologien. Besonders dynamisch ist auch die Digitalisierung. Hier eröffnet insbesondere der Bereich der Therapieempfehlungen durch Big-Data-Anwendungen großes Potenzial. Ein Beispiel aus der BVMed-Mitgliedschaft: Das Unternehmen Molecular Health bietet ein personalisiertes Krebsmanagement durch moderne Diagnostik-Software unter Einschluss der DNA-Sequenzierung von Tumorgewebe.

Die moderne Diagnostik-Software ermöglicht es, die molekularen und klinischen Patienteninformationen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Wirkmechanismen von Medikamenten abzugleichen und Krebskranken so potenzielle Behandlungsansätze transparenter und individueller zu veranschaulichen. Weiterhin bietet das Programm Zugang zu einem weltweiten Informationsnetzwerk über klinische Studien, den Zulassungs- und Entwicklungsstatus von Prüfpräparaten sowie relevante Risikofaktoren von sich bereits auf dem Markt befindlichen Medikamenten.

Die Herausforderung: die Daten sind da, aber sie sind derzeit nicht verfügbar. Wir müssen deshalb das Problem des Datenschutzes lösen und anonymisierte Patientendaten verstärkt für Versorgungsforschungsprojekte nutzen. Wir müssen die Chancen optimieren und die Risiken minimieren. Dann sind wir in der Lage, die Dynamik der Branche zu nutzen und Forschung rasch in die Praxis zu überführen, so dass sie den Patienten zu Gute kommt.


www.bvmed.de

Oktober 2016 Die Zeit Zukunft Medizin

»Wem nützt die Digitalisierung im Gesundheitswesen?«

Birgit Fischer Hauptgeschäftsführerin; Verband forschender Pharmafirmen; vfa

Bewährungsprobe für die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist der Patientennutzen. Er kann durch digitale Angebote gesteigert werden, etwa durch neue Formen der Information und Unterstützung.

 So entwickeln Pharma-Unternehmen zum Beispiel gerade die „Gebrauchsinformation  4.0“. Die ständige Verfügbarkeit für den Patienten und die ständige Aktualisierungsmöglichkeit für den Hersteller sind ein echter Fortschritt. Mittelfristig sollen Packungsbeilagen aus Papier durch ein elektronisches System abgelöst werden. Selbstverständlich gibt es dabei auch Lösungen für Patienten ohne Internetzugang.

Digitalisierung bringt also „buchstäblich“ mehr für Patienten. Damit sie ihr Qualitätspotential voll entfalten kann, braucht es die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure des Gesundheitswesens: Gemeinsam mit Pharmagroßhändlern und Apothekern haben forschende Pharma-Unternehmen „securPharm“ entwickelt. Bei securPharm drucken Arzneimittelhersteller auf jede Packung einen quadratischen Data Matrix Code, mit dem später in der Apotheke die Echtheit eines Medikamentes geprüft werden kann. Bei Unstimmigkeiten erhält der Patient eine andere Packung des gleichen Medikaments. Die beanstandete Packung wird einbehalten und der Fälschungsverdacht wird untersucht. Derzeit läuft der freiwillige Probebetrieb.

Die „Gebrauchsinformation 4.0“ wie auch „securPharm“ können dem Patienten in seinem Alltag mehr Freiheit und Sicherheit im Umgang mit Medikamenten geben. Das ist sicher erst der Anfang neuer digitaler Lösungen im deutschen Gesundheitswesen: Es geht also noch mehr. Dafür braucht es den Dialog mit Patienten, die Zusammenarbeit verschiedener Akteure des Gesundheitswesens und eine mutige Politik, die neues ermöglicht.

www.vfa.de

Oktober 2016 Die Zeit Zukunft Medizin

»Zwischen Digitalisierung und Schutzbedarf.«

Dr. med. Christoph F-J Goetz Leiter; TeleTrusT-AG „Gesundheitstelematik“

Digitalisierung verändert bekanntlich die Welt. Dies gilt auch für E-Health, also den Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen. Neue Möglichkeiten der elektronischen Vernetzung werden eröffnet und gleichzeitig enorme Begehrlichkeiten geweckt. Wohin die Reise zwischen tradierten ärztlichen Pfaden und moderner Selbstbestimmung führen wird, kann noch keiner wirklich vorhersagen. Doch jeder ahnt, dass die Auswirkungen massiv sein werden.

In diesem Spannungsfeld entsteht für personenbezogene Patientendaten und aggregierte Gesundheitsdaten eine empfindliche Kluft zwischen der ärztlichen Versorgung, dem Datenschutz und modernen Geschäftsmodellen. Ärztliche Dokumentation und Schweigepflicht der Versorger sind dabei schon so gefestigt, dass Digitalisierung nur noch Überschaubares ändern wird.  Datenschutz ist schon schwieriger. Zusammenführung oder Gemeinschaftsauswertung von zentralisierten Datenbeständen wirken äußerst komplex. Anonymisierte Daten im falschen Kontext lassen beispielsweise Einzelpersonen plötzlich wieder erkennen. Personenbezogene Daten für den einen medizinischen Zweck können für eine andere Auswertung unbrauchbar sein.

Gesundheitsdaten sind nicht einfach eine x-beliebig transportierbare Ware. Die Herausforderungen für die digitalen Strategien der Medizin mit ihrem Versorgungauftrag und den Datenprozessen der individuellen Gesundheitsversorgung waren noch nie größer. Jetzt, und nicht später, ist die Zeit abzustimmen, wie sich die moderne Gesundheitsversorgung mit ihren Vorstellungen von Datenschutz und Prozessketten gestalten lässt und welche gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür noch geschaffen werden müssen. Dies kann aber nur im Kontext jener Entscheidungen geschehen, zu denen unsere Gesellschaft im Umgang mit Digitalisierung und Big Data am Ende des Tages kommt.

www.teletrust.de