Neue Arbeitskultur

Die Redaktion befragt Experten zu den Chancen und Herausforderungen des Arbeitsmarktes
September 2017 Handelsblatt Das neue Arbeiten

»Warum sollte Arbeit nicht besser und menschengerechter gestaltet werden können?«

Dr. Ingo Weinreich Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Betriebliches Gesundheitsmanagement (BBGM)

Über viele Jahrhunderte wurde Arbeit mit Mühsal und Plackerei assoziiert. In dieser Ausgabe wird sicherlich viel über „Employer Branding“, „Smart Workspace“, „Talent Management“, „Work Ability“ oder „Flow“ geschrieben. Das suggeriert, dass Arbeit heute eher etwas Leichtgängiges, Schönes – auf jeden Fall Erstrebenswertes ist. Oder zumindest zu dem gemacht werden kann.  Fragt man die Beschäftigten von heute, ergibt sich leider ein anderes Bild. Die Mehrheit klagt über zunehmenden Stress, fehlende Perspektive, eingeschränkte Work-Life-Balance und mangelnde Orientierung.

Offensichtlich gab es lediglich eine Verschiebung des Mühsal vom Acker hin zu den Kathedralen der „New Economy“. Ich möchte soweit gehen, zu behaupten, dass Arbeit niemals zu dem werden kann, was wir da erhoffen. Zu schnelllebig sind die Anforderungen des Marktes (fehlende Kontrollerlebnisse), zu beliebig die Arbeitsbeziehungen (fehlende Bindung), zu gering die Aussichten auf langfristigen Erfolg (fehlender Selbstwert) und zu selten die Erlebnisse echter Hingabe und Arbeitsfreude (fehlende Lusterlebnisse).

Dass wir heute jedoch genau über diese Dinge sprechen zeigt den Entwicklungssprung an. Warum eigentlich nicht? Warum sollte Arbeit nicht besser und menschengerechter  gestaltet werden können?  In Zeiten der Umkehr von einem Angebotsmarkt (zu viele Arbeitskräfte) hin zu einem Nachfragemarkt (zu viele Arbeitsangebote) stehen die Zeichen günstig für so eine Diskussion. Diese seltene Chance sollte genutzt werden. Die Gewinner werden Unternehmen sein, die das begreifen und ernsthaft umsetzen. Gewinner werden auch jene ArbeitnehmerInnen sein, die ihre eigentlichen Bedürfnisse erkennen, angemessen verbalisieren und durchsetzen können. Der Bundesverband Betriebliches Gesundheitsmanagement e.V. (BBGM) als unabhängiger Fachverband unterstützt diese Entwicklungen.

 

www.bbgm.de

September 2017 Handelsblatt Das neue Arbeiten

»Digitalisierung ist nicht nur ein Stressfaktor, sondern eine wichtige Chance für qualitatives Arbeiten.«

Dr. Natalie Lotzmann Leitung; Gesundheitsmanagement SAP SE und Themenbotschafterin von INQA

Mit der Digitalisierung verschwimmt oft die Grenze zwischen Privatleben und Arbeit: Nach dem Feierabend oder im Urlaub noch einen Blick in die Arbeitsmails zu werfen, gehört für viele zum Alltag. Der Druck ständiger Erreichbarkeit kann jedoch auch ein Gesundheitsrisiko darstellen. Steigende Flexibilitäts- und Leistungsanforderungen und der Mangel an Ausgleichstrategien führen zu einem Anstieg von Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen.

Um die Gesundheit am Arbeitsplatz auch angesichts einer älter werdenden Belegschaft sicherzustellen, müssen Geschäftsführung und Beschäftigte gemeinsam Strategien zur Bewältigung von Stress und zur Organisation von Arbeit im digitalen Wandel entwickeln. Gesundheit ist dabei als Bestandteil eines ganzheitlichen Personalmanagements zu sehen, das auch eine mitarbeiterorientierte Unternehmens- und Führungskultur einbezieht.

Die Haltung der Führungskräfte ist dabei entscheidend: Gleichgültigkeit und ungefilterter Druck werden von Mitarbeitenden ebenso registriert wie Anerkennung, Wertschätzung und sichtbare Investitionen in das Wohlbefinden der Mitarbeiter. Dazu gehören ergonomische Arbeitsplätze, eingehaltene Sicherheitsvorschriften, eine funktionierende technische Infrastruktur, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und eine flexible Arbeitszeitgestaltung. Denn: Digitalisierung ist nicht nur ein Stressfaktor, sondern eine wichtige Chance für qualitatives Arbeiten. Denn sie ermöglicht flexible Arbeitsmodelle oder auch Assistenzsysteme, um die Arbeit zu erleichtern. Dazu fördert die Initiative Neue Qualität der Arbeit betriebliche Experimentierräume, unterstützt Betriebe mit dem Check „Gesundheit“ und dem Projekt Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt, begleitet aber auch langfristig durch das Audit „Zukunftsfähige Unternehmenskultur“ oder das ESF-Förderprogramm unternehmensWert:Mensch.

 

www.inqa.de

September 2017 Handelsblatt Das neue Arbeiten

»Nur 30 Prozent der Mittelständler beschäftigen sich mit Fragen der Betrieblichen Gesundheitsföderung.«

Mario Ohoven Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW)

Nicht Angst vor, sondern Freude auf – das sollte auch für Arbeit 4.0 gelten. Deutschland weist die dritthöchste Roboterdichte der Welt auf und hat dennoch einen neuen Beschäftigungsrekord aufgestellt. Neue Automatisierungsansätze der Industrie 4.0 setzen auf die Kombination spezifisch menschlicher und maschineller Stärken. Menschliche Arbeit wird dabei nicht ersetzt, sondern unterstützt. Das erhöht die Arbeitsproduktivität. Durch die fortschreitende Automatisierung werden Berufe in der Regel nicht entfallen, sondern sich verändern. Ein positives Beispiel dafür aus der jüngeren Vergangenheit ist der Kfz-Mechaniker. Aus dem traditionellen „Schrauber“ entwickelte sich aufgrund technischer Innovationen der Kfz-Mechatroniker. Zu Recht beschreibt der Sachverständigenrat in einem Gutachten die Angst vor „Horrorszenarien, in denen ganze Berufe ersatzlos verschwinden, als unbegründet“.

Die Digitalisierung bringt einen enormen Wandel für alle Lebens- und Arbeitsbereiche mit sich. Dabei kann es von Vorteil sein, wenn Maschinen im Schichtbetrieb arbeiten. Arbeit 4.0 ermöglicht es, mehr Flexibilität in den Arbeitsablauf zu bekommen, indem beispielsweise die Maschinen auch aus der Ferne gesteuert oder überwacht werden können. Gerade für den Mittelstand bietet die digitale Vernetzung enorme Potenziale, wie die Möglichkeiten der individuellen Fertigung. Im Mittelstand gibt es vor allem viele enge Kundenbeziehungen, genau diese werden bei kleineren Betrieben geschätzt. Durch Digitalisierung können sie noch intensiviert werden. Hinzu kommen enorme Einsparmöglichkeiten durch frühzeitige Wartungsarbeiten.

Mittelständler brauchen Beispiele, an denen sie sich orientieren können, die ihnen von den Ressourcen, finanziellen Mitteln oder der Betriebsgröße her vergleichbar sind. Wir als BVMW unterstützen sie dabei, beispielsweise durch das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Berlin. Dort erfahren die Unternehmer praxisnah, wie sie von Arbeit 4.0 profitieren können.

 

www.bvmw.de