Individuelle Lösungen

Familienfreundliche Jobs stehen ganz oben auf der Wunschliste von Angestellten – und können letztendlich auch dem Fachkräftemangel begegnen. Doch was können Unternehmen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie tun?

Illustration: Anastasija Kretzschmar
Illustration: Anastasija Kretzschmar
Petra Lahnstein Redaktion

"Wir bieten Ihnen nicht nur einen sicheren Arbeitsplatz und flexible Arbeitszeiten … in unserer unternehmenseigenen Kinderbetreuungsstätte sind Ihre Kinder im Vorschulalter bestens betreut …“: Immer mehr Unternehmen werben in ihren Stellenanzeigen mit Familienfreundlichkeit. Und das aus gutem Grund: Nicht nur, weil die Firmen dem zunehmenden Fachkräftemangel begegnen wollen, auch rund 85 Prozent aller Arbeitnehmer wünschen sich familienfreundliche Maßnahmen, selbst dann, wenn sie (noch) keine eigenen Kinder haben. Zu diesem Ergebnis kommt das IW-Personalpanel 2023, eine Befragung, die das Institut der deutschen Wirtschaft initiiert hat. Die Untersuchungen zeigen jedoch auch, dass die Wahrnehmung der Unternehmen in Bezug auf die Ausgestaltung ihres familienfreundlichen Ansatzes und die der Mitarbeiter auf eine tatsächlich gelebte familienfreundliche Unternehmenskultur auseinanderklaffen. Während beispielsweise rund 90 Prozent aller Unternehmen die Aussage „Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine Selbstverständlichkeit in unserem Unternehmen“ für zutreffend halten, stimmen die befragten Mitarbeiter diesem Satz nur mit 64 Prozent zu. Während ebenfalls fast 90 Prozent der Unternehmen der Meinung sind, dass Beschäftigte mit und ohne Familienpflichten gleiche Entwicklungsund Aufstiegschancen haben, sehen nur 73 Prozent der Angestellten dies so. Grund genug, sich den Begriff „Familienfreundlichkeit“ einmal genauer anzuschauen.
 

FLEXIBILITÄT ERWÜNSCHT


Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice-Optionen und Kinderbetreuungsmöglichkeiten in großen Unternehmen – oft sind es diese Stichworte, die im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf genannt werden. Manches Mal ergänzt um die Bereiche Elternförderung und Elternzeit sowie Informations- und Beratungsangebote. Aber was genau wünschen sich junge Eltern hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Was können Unternehmen tun? Hier zeigt die aktuelle Studie „Familienfreundliche Arbeitgeber – Die Attraktivitätsstudie“, die im Rahmen des Unternehmensprogramms „Erfolgsfaktor Familie“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von der Prognos AG erstellt wurde, bemerkenswerte Ergebnisse. Ein wesentlicher Faktor stellt insbesondere die Vermeidung von Betreuungsnotlagen dar. Konkret wünschen sich Eltern - die Möglichkeit, die Arbeitszeit bei Bedarf zu unterbrechen (65 Prozent), im Notfall flexibel sein zu können in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsort (62 Prozent) sowie den Urlaub flexibel planen zu können, damit keine Betreuungsengpässe entstehen (72 Prozent). Aufwendige, kostenintensive Maßnahmen wie eine betriebliche Kinderbetreuung und Ferienprogramme für Schulkinder betreffen hingegen nur eine kleinere Gruppe der Beschäftigten. Nur 16 bis 18 Prozent der Befragten wünschen sich dies.
 

GESCHLECHTERUNTERSCHIEDE


Die Arbeitszeit reduzieren zu können, ohne negative Aufgabenveränderungen oder negative Folgen für die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten zu befürchten, die Möglichkeit, als Führungskraft in Teilzeit arbeiten zu können und das Arbeitspensum bei Bedarf reduzieren oder aufstocken zu können, sind weitere wichtige Bedürfnisse, die im Übrigen von Frauen häufiger genannt werden als von Männern. Und es gibt weitere unterschiedliche Präferenzen zwischen Männern und Frauen: Frauen benötigen häufiger die Möglichkeit, sich an externe Zeit-Taktgeber wie KITA und Grundschule anpassen zu können. Unternehmen können diesem Wunsch mit der Möglichkeit, Arbeitszeiten zu unterbrechen und etwa nach dem Abholen der Kinder von zu Hause weiterarbeiten zu können, gerecht werden. Darüber hinaus können sie die Mitarbeiter im Unternehmen dafür sensibilisieren, wichtige Meetings nicht in die klassischen Hol- und Bringzeiten von Betreuungseinrichtungen zu legen. Männer wünschen sich insbesondere eine flexible Gestaltungsmöglichkeit der wöchentlichen Arbeitszeit und des Arbeitsortes und vor allem mehr Verständnis dafür, dass sie Zeit für die Familie einplanen möchten.

Illustration: Anastasija Kretzschmar
Illustration: Anastasija Kretzschmar

GLEICHE CHANCEN


Auch unabhängig von Rolle und Geschlecht gibt es unterschiedliche Präferenzen: Während die einen sich für Flexibilität einsetzen und gerne in Kauf nehmen, dass sich Berufs- und Privatleben mischen, wollen andere Beruf und Familie strikter trennen. Letztere wünschen sich nicht die Möglichkeit, mobil arbeiten zu können – im Gegenteil: Sie bevorzugen den Betrieb als Arbeitsort (46 Prozent) und brauchen dafür zuverlässige Arbeitszeiten (21 Prozent). Unternehmen, die in die Familienfreundlichkeit ihres Unternehmens investieren wollen, sollten sich bewusstmachen, dass es nicht einen Kriterien- und Maßnahmenkatalog für alle geben kann, und stattdessen mit jedem (künftigen) Elternteil über individuelle Wünsche und Bedarfe offen und ehrlich sprechen.

Familienfreundlichkeit meint aber viel mehr als das Anbieten von Maßnahmen und Lösungen, um Betreuungsengpässe zu vermeiden: „Als ausgeprägt familienfreundlich werden Unternehmen bezeichnet, wenn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Selbstverständlichkeit ist und die gleichen Entwicklungs- und Aufstiegschancen für Beschäftigte mit und ohne familiäre Verpflichtungen bieten und deren Führungskräfte ihre Beschäftigten bestärken, familienfreundliche Maßnahmen in Anspruch zu nehmen […]“. Der Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit, der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegeben wird, formuliert diese Begrifflichkeit als Messkriterium.
 

LUFT NACH OBEN


Ein wertvoller Ansatz, wenn man bedenkt, dass bis heute rund 30 Prozent aller familienfreundlichen Angebote nicht in Anspruch genommen werden, „weil es von Kollegen und Führungskräften nicht gerne gesehen wird.“ Erst wenn im Unternehmen ein breites Verständnis für die Doppelbelastung von Eltern vorhanden ist, der kurzfristige Wechsel zu mobiler Arbeit ohne langwierige Freigabeprozesse und ohne Augenverdrehen möglich ist, wenn pünktlich Feierabend machen von Kollegen mit Kindern nicht mehr neidvoll kommentiert wird und wenn Sprüche von Führungskräften wie „Leider besteht mein Team zum Großteil aus Teilzeit-Muttis“ der Vergangenheit angehören. Erst wenn Führen in Teilzeit nicht mehr als „unmöglich“ bezeichnet und von Vätern nicht mehr wie selbstverständlich erwartet wird, dass sie weiterhin in Vollzeit arbeiten. Erst wenn Männer nicht mehr belächelt werden, wenn sie einen Termin verschieben, weil sie spontan ihr Kind betreuen müssen − erst dann wird sich ein Unternehmen zuRecht als familienfreundlich bezeichnen dürfen.

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