Neue Gesundheitskultur

Die Redaktion befragt Experten zu den Voraussetzungen gesunder Arbeit.
Dezember 2016 Handelsblatt Das Neue Arbeiten

»Lernen bei der Arbeit ist ein entscheidender Gesundheitsfaktor.«

Kurt Gläser Stv. Vorstandsvorsitzender; BBGM e.V.

Auszubildende in metallverarbeitenden Berufen bekommen im ersten Lehrjahr eine Feile in die Hand gedrückt. Damit dürfen sie ausgiebig Werkstücke bearbeiten. Nach einer mehr oder weniger langen Lernphase erleben sie das positive Gefühl, etwas zu gestalten. Schnell lernen sie auch, Software so zu bedienen, dass Maschinen sie bei der Arbeit bestmöglich unterstützen. Noch. Denn in absehbarer Zeit entscheidet vielleicht die Software, was gemacht wird und nicht der Mensch. Dann ist es gut, wenn man zumindest versteht, warum die Software so entscheidet, wie sie es tut. Was hat das Ganze mit Gesundheit zu tun? Das World Wide Web war noch in den Anfängen, als Aaron Antonovsky sich mit „Mystery of Health“ beschäftigte. Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit waren für ihn zentrale Komponenten seines Modells der Salutogenese.

Seither gibt es viele Überlegungen, diese Prinzipien für die betriebliche Gesundheit nutzbar zu machen. Und nun kommen Industrie und Arbeit 4.0, begleitet von einem diffusen Rauschen des Nicht-Verstehens, des Ausgeliefertseins und der Unsicherheit, was tatsächlich kommt und wann. Das Bild einer maximal flexiblen Gestaltung der Arbeit wird gezeichnet und nicht nur die Arbeit, auch die Betriebe sollen sich entgrenzen. Wo soll dann ein Betriebliches Gesundheitsmanagement überhaupt noch wirken, wenn es kein Setting Betrieb mehr gibt?

Entsprechende Herausforderungen werden kommen. Die Nachricht ist: Die Entwicklungen können mitgestaltet werden. Der Bundesverband Betriebliches Gesundheitsmanagement e.V. (BBGM) wird seine Kompetenzen hierbei einbringen. Wir wissen, dass Lernen bei der Arbeit für den Menschen ein entscheidender Gesundheitsfaktor ist und für die Unternehmen künftig noch stärker der Schlüssel zum Erfolg. Also gilt es, das Thema Lernen & Gesundheit voranzutreiben. Dazu gehört auch, dass Führungskräfte lernen, sich selbst gut zu managen, um mehr Zeit zum Führen und für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden zu haben. Denn diese Rolle nimmt ihnen keine Software ab.

www.bgm-bv.de

Dezember 2016 Handelsblatt Das Neue Arbeiten

»Nur 30 Prozent der Mittelständler beschäftigen sich mit Fragen der Betrieblichen Gesundheitsföderung.«

Mario Ohoven Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW)

Fallen Mitarbeiter durch Krankheit aus, stellt dies gerade kleine Betriebe vor erhebliche Probleme – bis hin zum Produktionsausfall. Gesamtwirtschaftlich gesehen, kosteten 543 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage deutsche Unternehmen im Jahr 2014 rund 90 Milliarden Euro. Zwar ist die Anzahl der krankheitsbedingten Ausfallzeiten mit durchschnittlich 19,5 Tagen pro Mitarbeiter in den letzten Jahren weitgehend konstant geblieben, allerdings verzeichnen insbesondere ältere Mitarbeiter längere Ausfallzeiten.

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung stehen besonders die Mittelständler vor großen Herausforderungen. Sie können im Wettbewerb mit großen Unternehmen nur als attraktive Arbeitgeber Fachkräfte gewinnen und binden. Umso mehr gilt es, die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter so lange wie möglich zu erhalten. Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) helfen den Klein- und Mittelbetrieben dabei, diese Herausforderungen zu meistern. Während Großunternehmen ganz andere personelle und finanzielle Ressourcen haben, um gesundheitsfördernde Vorhaben strategisch zu planen und umzusetzen, steht das Thema in kleinen Betrieben vielfach (noch) hinten an. Nur 30 Prozent der Mittelständler beschäftigen sich mit Fragen der BGF. Notwendig sind deshalb praxisnahe Lösungen mit organisatorischen Rahmenbedingungen, die auch für kleine Unternehmen ohne eigene Personalabteilung umsetzbar sind.

Im Projekt GeMit, gefördert im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) des Bundesarbeitsministeriums, entwickelte der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) gemeinsam mit dem Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung den INQA-Check „Gesundheit“. Der Check ist ein kostenloses Selbstbewertungsinstrument für mittelständische Unternehmen und bietet einen guten Einstieg in die Thematik. Mit dem Konzept der überbetrieblichen Gesundheitsförderung in Nachbarschaften wurde im Projekt überdies ein Modell entwickelt, das vor allem kleineren Betrieben Unterstützung bietet. Der BVMW geht auch bei der BGF mit gutem Beispiel voran.

www.bvmw.de

Dezember 2016 Handelsblatt Das Neue Arbeiten

»Individuelle Maßnahmen, wie Fitnesskurse, Massagen und der Appell zu gesundem Verhalten greifen zu kurz.«

Dr. Natalie Lotzmann Leitung Gesundheitsmanagement; SAP SE und Themenbotschafterin; INQA

Digitalisierung, demografischer Wandel, Fachkräftemangel – die Arbeitswelt verändert sich. Das betrifft nicht nur die Umstände, sondern auch die Einstellung der Menschen zur Arbeit. Zunehmend heterogene Wertevorstellungen, Bedürfnisse und Ideale von „guter Arbeit“ sind neue Herausforderungen. Um im Wettbewerb um Fachkräfte bestehen zu können, müssen Betriebe die Vielzahl der Mitarbeiterbedürfnisse kennen und sich daran orientieren.

Gesundheit und Wohlbefinden sind dabei die übergeordneten Werte, die für alle Beschäftigten von Bedeutung sind. Sie bilden die Voraussetzung für Motivation und Leistungsbereitschaft und sind damit ein entscheidender wirtschaftlicher Faktor, der nicht nur dem demografischen Wandel Rechnung trägt. Der Zusammenhang zwischen gesunder Unternehmenskultur und der Profitabilität ist mittlerweile berechenbar. SAP veröffentlicht seit Jahren seinen Gesundheitskulturindex und berechnet seinen monetären Einfluss auf den Geschäftserfolg. Damit ist das Thema Gesundheitskultur zu Recht in die unternehmenswichtigen KPIs aufgerückt. Um eine gesunde Kultur herzustellen, greifen individuelle Maßnahmen, wie Fitnesskurse, Massagen und der Appell zu gesundem Verhalten jedoch zu kurz. Angesichts der Belastungen der neuen Arbeitswelt, muss ein gesundes Arbeitsumfeld geschaffen werden – aus gesunden Strukturen und Prozessen, gesunder Führung sowie einem gesunden Miteinander.

Sie wollen wissen, wo Sie mit Ihrem Unternehmen stehen? Die Offensive Mittelstand hat im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit einen einfachen und effektiven Selbstcheck „INQA-Check Gesundheit“ entwickelt. Wer darüber hinaus sein Unternehmen in Gänze auf die Zukunftsfähigkeit professionell überprüfen will, dem sei das das „Audit Zukunftsfähige Unternehmenskultur“ empfohlen. Hier werden in einem bewährten Prozess Arbeitgeber, Beschäftigte sowie Betriebs- und Personalräte für die Herausforderungen der Arbeitswelt von morgen sensibilisiert und dabei unterstützt, diesen aktiv zu begegnen – um auch in Zukunft attraktiv, innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben.

www.inqa.de