Wenn der Markt abhebt

Der Online-Versand von Lebensmitteln gilt als neuer Boom-Markt. Noch ist der Anteil am Gesamtumsatz relativ gering, doch das schiere Marktvolumen der Branche birgt ein gewaltiges Wachstumspotenzial.
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Illustration: Wenran Xu
Mark Falter Redaktion

Oliver Samwer gilt als Pionier in der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle. Mit seiner Berliner Firma Rocket Internet war er zum Beispiel maßgeblich an der Gründung des Online-Versandhauses Zalando beteiligt. Nun hat Samwer den nächsten großen Trend ausgerufen. Nach Mode, Schuhen und Möbeln, so kündigte der Rocket-Chef Anfang des Jahres an, werde sich der Online-Handel mit frischen Lebensmitteln zum nächsten großen Boom-Markt entwickeln.


Interessanterweise ist auf dem deutschen Markt für Online-Handel bislang nur wenig zu spüren von Samwers Vision. Die aktuellen Zahlen jedenfalls lassen noch keinerlei Boom erkennen, eher im Gegenteil. Laut einer Studie von Ernst & Young gaben die Deutschen im vergangenen Jahr rund 175 Mrd. Euro für Lebensmittel aus – gerade einmal 0,5 Mrd. Euro davon entfielen auf den Vertriebsweg Internet. Das ist ein Marktanteil von schlappen 0,3 Prozent. Zum Vergleich: Die Marktanteile der Online-Plattformen bei Waren wie Bücher, Musik, Elektronik oder Spielzeug liegen aktuell teils über 50 Prozent.


Und selbst diese ansehnlichen Zahlen können nicht über eine für viele Online-Händler etwas unbequeme Wahrheit hinwegtäuschen: Die meisten Deutschen sind, trotz des immer wieder ausgerufenen E-Commerce-Booms, nach wie vor ausgesprochene Einkaufstraditionalisten. In einer aktuellen internationalen Vergleichsstudie der Nielsen-Marktforschung gaben nur 17 Prozent der Deutschen an, dass sie Waren des täglichen Bedarfs online kaufen. In China, dem aktuellen E-Commerce-Weltmeister, ordern 37 Prozent der Verbraucher regelmäßig Lebensmittel, Tierfutter oder Drogerieartikel per Laptop oder Smartphone. Im europäischen Durchschnitt sind es immerhin 26 Prozent.


Der Grund für die Zurückhaltung der Deutschen ist offensichtlich: Fast die Hälfte (47 Prozent) gaben bei der Befragung an, sie empfänden den Gang in den Supermarkt oder zum Discounter als „angenehme“ oder gar „sehr angenehme“ Beschäftigung. Dessen sind sich auch die Online-Anbieter selbst bewusst. Für viele Verbraucher gehöre der Einkauf einfach zum eingefahrenen Tagesablauf, so Conrad Bloser, Mitgründer des Bringdienst-Start-ups Shopwings, gegenüber der WELT. Die meisten Verbraucher wollten die Lebensmittel selbst auswählen, die Paprika oder Mango selbst in der Hand halten.


Allerdings gibt es Anzeichen, dass sich diese Einstellung schon bald ändert. Einkaufsverhalten, auch zu diesem Ergebnis kommt die Studie, ist eine Frage der Generationen. Unter den Jüngeren bis 34 Jahre bestellen im internationalen Durchschnitt bereits jetzt 30 Prozent Lebensmittel zur Lieferung nach Hause, weitere knapp 60 Prozent denken darüber nach.


Und hier kommt auch wieder Oliver Samwer ins Spiel. Gerade weil der aktuelle Marktanteil noch so gering ist, ist das Steigerungspotenzial im E-Food-Markt enorm. Bei vielen Unternehmen, nicht nur bei Start-ups, sondern auch bei klassischen Supermarktketten, ist die Prognose des Rocket-Chefs längst Teil der strategischen Planung. Man experimentiert, um dabei zu sein, wenn der Markt abhebt. Aktuelle Beispiele sind Rewe mit seinem Lieferservice, Kaiser's mit Bringmeister oder die zur Bünting-Gruppe gehörende Firma MyTime.

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