Mut zur Veränderung

Digitalisierung ist wichtig, finden alle Unternehmer. Nur nicht, wenn sie das eigene Geschäftsmodell infrage stellt.
Illustration: Luisa Jung 
by Marsha Heyer Illustratoren
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Mirko Heinemann Redaktion

H and aufs Herz: Macht Ihnen die Digitalisierung manchmal Angst? Nein, gemeint sind jetzt keine Bedrohungen durch sinistre Hackertypen von der Achse des Bösen. Die in Atomkraftwerke eindringen oder Fake News verbreiten, um Schaden anzurichten. Gemeint sind auch nicht Datendiebe und Cyberkrimelle, die Passwörter ausspionieren oder Patente entwenden wollen. Es geht vielmehr ganz allgemein um alle Veränderungen, die den unternehmerischen Alltag betreffen. Darum, dass immer mehr Tätigkeiten auf die virtuelle Ebene wandern. Dass Konkurrenten plötzlich mit der Begründung „Disruption“ verschwinden. Darum, dass der Druck auf Manager wie Angestellte wächst, sich und ihr Unternehmen ganz neu auszurichten, damit die viel zitierten Chancen der Digitalisierung möglichst effizient ausgenutzt werden können.

„Change Management“ nennt sich das, wenn Unternehmer dem schnellen technologischen Wandel nicht hinterherrennen, sondern ihn aktiv gestalten. Der hier herrschende Druck zeigt sich derzeit in der wachsenden Zahl von Restrukturierungsfällen bei deutschen Industrieunternehmen, den die Unternehmensberatung Roland Berger in ihrer Restrukturierungsstudie 2016 verzeichnet. Danach sei die Digitalisierung und die durch disruptive Innovationen erhöhte Wettbewerbsintensität Haupttreiber von Restrukturierung in Unternehmen. Besonders betroffen seien die Energiewirtschaft, die Automobilbranche und die Konsumgüterindustrie. Im Fokus der Restrukturierungen: „Geschäftsmodelle“ und „Wertschöpfungsstrategien“. Klassische Fälle für die Digitalisierung.  

Die betrifft Mittelständler genauso wie Konzerne. Nur waren Mittelständler bisher auffällig zurückhaltend beim Thema Digitalisierung, was nicht zuletzt mit den hohen Kosten zu tun hat, etwa bei der Umrüstung der Produktion auf Industrie 4.0. Das Bild hat sich aber offenbar gewandelt. Die PwC Unternehmensberatung sieht in ihrer aktuellen Befragung unter 220 Geschäftsführern und Vorständen von Familienunternehmen und mittelständischen Gesellschaften große Einigkeit: Digitalisierung ist der Trend, der sie 2017 am meisten beschäftigen wird.

Komplizierter wird es bei der Frage, welche Rolle die Digitalisierung im Unternehmen spielen soll. Da ist nämlich die Hälfte der Mittelständler der Ansicht, es reiche aus, Produkte zu digitalisieren und ihre Mitarbeiter intensiv weiterzubilden. Das eigene Geschäftsmodell will die Mehrheit der Familienunternehmer hingegen nicht antasten. Nur 40 Prozent sind bereit, es auf den Prüfstand zu stellen. Ganz falsch, findet Peter Bartels, PwC-Vorstandsmitglied und Leiter Familienunternehmen und Mittelstand: „Wenn mittelständische Unternehmen die digitale Transformation erfolgreich bewältigen wollen, müssen sie aber gerade bei ihren Geschäftsmodellen ansetzen. Digitalisierung bedeutet Disruption.“ Längst gehe es nicht mehr darum, ein Produkt graduell immer weiter zu entwickeln, sondern sich zu fragen: „Verdiene ich in Zukunft mit dem Produkt überhaupt noch Geld – oder vielleicht mit dem dazugehörigen Service? Verkaufe ich Produkte überhaupt noch – oder schaffe ich vielleicht eine Plattform, über die ich sie verleihe?“

Das hat sich etwa der börsennotierte Stahlhändler Klöckner & Co ebenfalls überlegt. Weil in den Kernmärkten Europa und Nordamerika seit Jahren eine hohe Überkapazität herrscht, ist der Konkurrenzdruck unter den Metallhändlern hoch. Zudem sei die Liefer- und Leistungskette in der Stahlindustrie heutzutage „hochgradig ineffizient“, heißt es bei Klöckner. Viele Transaktionen würden noch per Telefon, Fax oder E-Mail abgewickelt.

Im Rahmen der Strategie „Klöckner & Co 2020“ digitalisiert das Unternehmen daher sukzessive seine Liefer- und Leistungsketten. Das Ziel ist die Entwicklung einer internetbasierten Plattform für den Stahlhandel. Mit einem durchgängig digitalen Order- und Produktionsmanagement möchte der Konzern hohe Lagerkosten abbauen sowie die Prozesskosten verringern. Um den Wandel des Geschäftsmodells möglichst innovativ zu gestalten, hat der Stahlhändler eigens ein Start-up-Unternehmen ins Leben gerufen: kloeckner.i residiert in Berlin, um, wie der Konzern sagt „weit genug von Klöckner entfernt zu sein, um eigenständiger, als es innerhalb von Klöckner möglich wäre, digitale Tools und Plattformen agil zu entwickeln.“ Zum anderen sei kloeckner.i eng genug mit dem Haupthaus verbunden, um das Stahldistributions-Know-how sowie die Kunden- und Lieferantenbeziehungen für den Aufbau der Plattformen zu nutzen. Schon im Jahr 2019 will Klöckner über die Hälfte des Konzernumsatzes online erzielen.

Und wie offen sind die Mittelständler? Um deren Bereitschaft für den digitalen Wandel auf den Prüfstand zu stellen, hat PwC 220 Mittelständler vor eine fiktive Situation gestellt: Sie hätten zu Weihnachten eine siebenstellige Summe geschenkt bekommen. Was würden sie damit machen? 62 Prozent würden das Geld in bessere IT und die IT-Sicherheit fließen lassen. Damit ist die IT deutlich wichtiger geworden: In der Vorjahresstudie hätten nur 49 Prozent der Befragten das Geld dafür ausgegeben. Die nächsten Punkte auf der Wunschliste: Innovation/Forschung und Entwicklung, dann folgt die Digitalisierung des Unternehmens (58 Prozent). Diesen Punkt hatten 2015 nur 38 Prozent angegeben. Das Digitalisierungsthema verzeichnet also den größten Sprung.

Gefragt nach den Eigenschaften, die ein Mittelstands-Manager mitbringen sollte, um die Digitalisierung im eigenen Unternehmen erfolgreich umzusetzen, gaben knapp zwei Drittel der Befragten „Innovationsfähigkeit“ an. Auf Platz 2 landete „Kreativität“, und erst auf dem dritten Rang folgte „Veränderungsbereitschaft“. Für Peter Bartels von PwC zeugt die Reihenfolge davon, dass vielen Unternehmern immer noch nicht ganz klar ist, wie scharf der Wind des Wandels weht. Er hält gerade den Willen zur Veränderung für „zentral, um die Digitale Transformation voranzutreiben.“ Bartels: „Für fast ebenso wichtig halte ich Schnelligkeit und Mut, die bei unserer Befragung nur von 37 Prozent der Befragten für notwendig erachtet werden.“

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