Die Europa-Cloud

Der Markt für Cloud-Computing wird von US-Unternehmen dominiert – zu fragmentiert der europäische Markt, zu spezialisiert die Anbieter.
Illustration: Sophia Hummler
Illustration: Sophia Hummler
Julia Thiem Redaktion

Allerdings arbeitet die EU mit Hochdruck daran, Datensouveränität wiederzuerlangen und den Anschluss nicht zu verpassen.

In der Formel 1 ist die Startreihenfolge ein erster Anhaltspunkt für den Favoriten eines Rennens. Immerhin hat sich dieser schon im Training gegen die Konkurrenz behaupten und sich die Poleposition sichern können. Allerdings geht es im Rennen selbst dann immer noch darum, einen guten Start hinzulegen, die Führung zu behaupten und diese dann auch noch über die vielen Runden zu halten. Und eingefleischte Fans der Formel 1 wissen: Hier kann sich viel tun. Ein Start-Ziel-Sieg ist eher die Ausnahme.


Für das europäische Cloud-Projekt GAIA-X und die europäischen Cloud-Anbieter lässt das Formel-1-Beispiel hoffen. Denn beim Cloud Computing sind die amerikanischen und asiatischen Anbieter bisher nicht nur von den vorderen Plätzen gestartet, sie dominieren seitdem das Rennen um Marktanteile. Europa macht hier zwar zunehmend Plätze gut, der jüngste Totalausfall des französischen Anbieters OVH – zwei Tage vor seinem geplanten Börsengang – zeigt jedoch, dass es noch ein weiter Weg ist, um im eigentlichen Wettstreit ganz vorne mitzufahren.


Im Augenblick teilen sich die drei US-Marktführer rund 61 Prozent des weltweiten Cloud-Geschäfts untereinander auf. Das Analystenhaus Canalys rechnet vor, dass die Ausgaben für Cloud Computing im zweiten Quartal dieses Jahres um 36 Prozent auf 47 Milliarden US-Dollar gestiegen sind. Die Poleposition hält dabei weiterhin Amazon Web Services mit einem Anteil an den Ausgaben von 31 Prozent und einem Wachstum von 37 Prozent auf Jahresbasis. Auf Platz zwei folgt Microsoft Azure mit einem Marktanteil von 22 Prozent. Google kann immerhin noch acht Prozent für sich beanspruchen, wobei dessen Cloudgeschäft laut Canalys im zweiten Quartal um 66 Prozent gewachsen ist.


Vor allem das Beispiel Google zeigt, dass das Rennen keinesfalls schon entschieden ist. Und wenn man den deutschen Mittelstand fragt, sind europäische Lösungen auch aus Sicherheits- und Datenschutzgründen mehr als willkommen. Zum einen hat sich die Nutzung der Cloud im Corona-Jahr 2020 noch einmal deutlich erhöht. 82 Prozent der Unternehmen nutzen Cloud Computing mittlerweile, während der Anteil im Vorjahr noch bei 76, vor fünf Jahren sogar nur bei 65 Prozent lag. Das ergab nun eine repräsentative Umfrage von Bitkom Research im Auftrag der Unternehmensberatung KPMG unter 556 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland. Für die Nutzer sind laut Umfrage dabei primär die Leistungsfähigkeit und Stabilität der Systeme (89 Prozent) sowie Vertrauen in die Sicherheit und Compliance des Anbieters (86 Prozent) wichtig. 75 Prozent der Befragten achten hauptsächlich darauf, dass die Rechenzentren im Rechtsgebiet der EU stehen.


Skepsis herrscht insbesondere auch gegenüber der Public Cloud, die einen schnellen und unkomplizierten Zugang zu neuen Technologien ermöglichen würde. Hier zeigt die Bitkom-Umfrage, dass die Sorge vor unberechtigten Zugriffen auf sensible Unternehmensdaten besonders ausgeprägt ist (75 Prozent), es aber auch die Unklarheit hinsichtlich der Rechtslage für Unternehmen nicht gerade einfach (67 Prozent) macht.


Genau hier will das europäische Vorzeigeprojekt GAIA-X Abhilfe schaffen und dank Open-Source-Software die Datensouveränität der Unternehmen stärken. Das Ergebnis wäre ein Sovereign Cloud Stack – eine Art technischer Unterbau von GAIA-X –, der datenschutzkonform, zertifiziert und vor allem kompatibel mit verschiedenen Anbietern ist. Damit wäre eine sichere und rechtskonforme Alternative zu den aktuell erhältlichen Lösungen aus den USA oder China geboten.


Allerdings hat das europäische Cloud-Projekt seinen ursprünglichen Zeitrahmen nicht ganz halten können. Ende 2020 waren erste Use Cases geplant. Mittlerweile steht das Projekt jedoch auf deutlich solideren Füßen und wird von zahlreichen Staaten und Unternehmen unterstützt – unter anderem auch von Deutschland. So hat die Bundesnetzagentur erst Ende Juni 2021 die Gewinnerkonsortien des GAIA-X Förderwettbewerbs veröffentlicht. In einer ersten Bewilligungstranche werden vom Bundeswirtschaftsministerium Fördermittel in Höhe von rund 122 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Ziel ist ein „Proof of Concept“ für elf Use Cases. „Alle ausgewählten Vorhabensskizzen sind qualitativ überzeugend und innovativ“, sagt Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur. „Es gibt viele Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die den Willen und das Potenzial haben, das Projekt GAIA-X schnell und flächendeckend in die Anwendung zu bringen.“


Zudem will die EU mit einem weiteren Projekt schnell skalierbare und interoperable Cloud- und Edge-Infrastrukturen im industriellen Maßstab schaffen. „IPCEI-CIS“ – Important Project of Common European Interest for Next Generation Cloud Infrastructure and Services – befindet sich aktuell in der Vorprojektphase. Das Fördervolumen beträgt alleine in Deutschland circa 750 Millionen Euro, womit die Bundesregierung neben Frankreich eine Vorreiterrolle im Projekt einnimmt.


Auch hier geht es vorwiegend darum, die europäischen Anbieter zu stärken. Davon gibt es einige, der Markt ist jedoch stark fragmentiert, einzelne Anbieter nur in bestimmten Teilbereichen konkurrenzfähig. Und weil die außereuropäischen Anbieter oftmals den europäischen Vorgaben und Standards nicht entsprechen, bleibt das Innovationspotenzial von Cloud-Anwendungen in vielen Bereichen ungenutzt.


IPCEI-CIS und GAIA-X sind somit wichtige Bausteine, um das europäische Digitalisierungspotenzial auf die nächste Stufe zu heben. Allerdings erinnert der Zeitplan für IPCEI-CIS maximal an ein Seifenkistenrennen und nicht an die Formel 1: Allein das Vorprojekt soll bis April 2022 laufen, die eigentliche Implementierungsphase dann voraussichtlich bis Dezember 2026. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Digitalisierung und neue Technologien Alltag, Wirtschaft und Gesellschaft verändern, nicht die allerbeste Voraussetzung, um im Kampf um die vorderen Ränge mitmischen zu können.

Nächster Artikel