Wandel in zwei Geschwindigkeiten

Die neuen Mobile Health-Care-Apps sorgen bei Kunden wie bei Investoren für Begeisterung. Etwas verhaltener verläuft die Digitalisierung in der Medizintechnik.
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Illustration: Wyn Tiedmers
Julia Thiem Redaktion

Telefonieren Sie noch oder ist Ihr Smartphone schon zu Ihrem persönlichen Therapiebegleiter geworden? Nach Schätzungen der Medizintechnikmesse Medica ist der Markt für mobile Health-Apps allein im vergangenen Jahr um bis zu 40 Prozent gewachsen. Kunden können mittlerweile aus rund 165.000 Anwendungen wählen.


Dabei kommen viele der Paradebeispiele der Branche aus Deutschland. Etwa das Hamburger Start-up Sonormed mit seiner Tinnitus-App „Tinnitracks“. Die rund 1,5 Millionen Deutschen, die laut Angaben der Tinnitus-Liga unter schwerem Tinnitus leiden, können ihr Leiden in Zukunft mit ihrem Smartphone und ihrer eigenen Musik therapieren. Die Software von Sonormed spielt in die Lieblingsmusik der Betroffenen einen individuell auf die Tinnitus-Frequenz abgestimmten Ton ein, der das nervende Hintergrundgeräusch überlagert und so unhörbar macht.  


Nicht nur viele Betroffenen äußern sich begeistert über die App – Sonormed-Gründer und CEO Jörg Land durfte sich bereits über viele Auszeichnungen freuen, darunter war auch der begehrte internationale Gründerpreis der diesjährigen Digitalkonferenz South by Southwest in Austin, Texas. Krankenkassen sehen mittlerweile ebenfalls die Vorteile der therapiebegleitenden Apps. Die Techniker Krankenkasse TK beispielweise übernimmt die monatlichen Kosten für Tinnitracks, wenn diese von einem HNO-Arzt verschrieben wurde.


Der derzeitige Boom der „App-o-theke“ hat viele Gründe. Zum einen ist das Smartphone nach Bitkom-Angaben für 65 Prozent der Deutschen ein ständiger Begleiter: Telefonnummern, Termine, Geburtstage; hier kommt alles zusammen. Und spätestens seit man mit Apps und so genannten Wearables wie Smartwatches sportliche Aktivitäten aufzeichnen und sich mit Freunden oder Kollegen vergleichen kann, ist auch die Hemmschwelle gesunken, Gesundheitsdaten zu sammeln und zu teilen. Die Chancen für gut gemachte Gesundheitsanwendungen sind also groß, was wiederum viele Investoren anlockt.


Nicht ganz so reibungslos hingegen erfolgt der digitale Vormarsch in der Medizintechnik. Zwar gibt es auch hier vielversprechende Ideen und Start-ups, etwa in der Implantationstechnologie, der Bewegungsmessung oder mit Navigationssystemen für Endoskope. Zudem können sie nicht so einfach kopiert werden wie Mobile Apps – ein Wettbewerbsvorteil. Dennoch sind die Investoren deutlich zurückhaltender. Medizintechnikprodukte sind komplexer, zudem stehen Ärzte der Digitalisierung skeptischer gegenüber als ihre Patienten – vor allem, wenn ein Start-up mit neuer Technik versucht, ihren Behandlungsablauf umzustellen. Bei aller Euphorie: Zur digitalen Medizin ist noch ein weiter Weg zurückzulegen.

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