Kompetenzen für den digitalen Wandel

Wie kann unser Bildungssystem auf eine zunehmend digitalisierte Welt vorbereiten? Dies war die zentrale Leitfrage der vierten Jahrestagung des Forums Bildung Digitalisierung – inzwischen einer der Leitkonferenzen zu diesem Thema.
Illustration: Julia Schwarz
Klaus Lüber Redaktion

Das deutsche Bildungswesen dürfte zu einem der komplexesten Systeme weltweit gehören. Vermutlich nirgendwo sonst sind so viele staatliche Akteure daran beteiligt, Gelder zu verteilen und Bildungsziele zu definieren. 16 zuständige Ämter auf Landesebene verantworten die Bildungspolitik unzähliger Kommunen, die als Schulträger wiederum den Handlungsspielraum einzelner Schulen setzen und auch deren jeweilige Bildungsaufträge nach speziellen Bedarfen festlegen.


Eines ist klar: Wer in einem solchen System substanzielle Veränderungen anstoßen will, hat gar keine andere Chance, als sämtliche Beteilig-ten an einen Tisch zu bringen. Das geht nur in partnerschaftlicher Zusammenarbeit, wie Olaf Köster-Ehling, Vorstand der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, schon zu Beginn der Jahreskonferenz 2019 des Forums Bildung Digitalisierung betonte. Jörg Dräger, Mitglied im Vorstand der Bertelsmann Stiftung, ergänzte, die Veränderungsprozesse zwischen den Trägern, dem Kreis, den Schulen zu begleiten, sei eine enorme Herausforderung. Insbesondere dann, wenn es darum gehe, die Chancen der Digitalisierung in der Bildung kenntlich zu machen.


Mit genau diesem Auftrag ist das Forum Bildung Digitalisierung, ein aktuell aus acht Stiftungen bestehendes Netzwerk, in dem sich neben Bertelsmann und Montag Stiftung auch die Deutsche Telekom Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung, Stiftung Mercator und Joachim Herz Stiftung engagieren, vor inzwischen vier Jahren angetreten, Impulse für eine Neujustierung des deutschen Bildungssystems zu setzen. Zunächst, indem man digitale Vorreiter unter deutschen Schulen unterstützte und miteinander vernetzte, dann aber zunehmend mit dem Anspruch, auch grundlegendere Fragen zu stellen. „Wie schaffen wir es, gute Beispiele stärker in das Gesamtsystem hinein wirken zu lassen?“, so Dr. Nils Weichert, Vorstand des Forums Bildung Digitalisierung.


Wie also schafft man es, die Vorteile der Digitalisierung für echte Innovationen in die Breite der Bildungslandschaft zu bringen, statt sich auf den Vorbild- und Multiplikatoreffekt einzelner Leuchtturmprojekt zu verlassen? Angesichts des beginnenden Rollouts des Digitalpakts und der von den meisten anwesenden geteilten Einschätzung, man wäre über die Frage des Ob digitaler Bildung längst bei der Frage des Wie angekommen, schien die Zeit reif, die Debatte um Digitalisierung in der Bildung qualitativ auf die nächste Stufe zu heben. Wir müssten damit aufhören, so die zentrale Aussage in vielen Keynotes, Panels und Workshops, die Digitalisierung lediglich als eine weitere Herausforderung anzusehen, die zu bereits bestehenden hinzukomme, sondern als Möglichkeit, diese zu bewältigen.


Wie sehr die Debatte immer noch von Missverständnissen geprägt ist, brachte Micha Pallesche, Schulleiter einer preisgekrönten „Smart School“ aus Karlsruhe auf den Punkt. Digitale Bildung, so Pallesche, die gebe es nämlich gar nicht. Sondern nur Bildung in einer digitalen Zeit. Und die habe im Kern vor allem mit Haltung und sozialer Interaktion zu tun. Ganz ähnlich äußerte sich Grünen-Politikerin und Leiterin des Projekts aula – Schule gemeinsam gestalten Marina Weisband, wenn sie zugab, im ganzen Diskurs um Digitalisierung im Grunde fast voll anschlussfähig an die Reformpädagogik der 1980er-Jahre zu sein. Schon damals wurde diskutiert, Schule müsse sich der Lebenswelt öffnen und gute Bildung sei vor allem Beziehungsarbeit. Um nichts anderes gehe es heute auch, so Weisband.


Besonders deutlich wurde diese Haltung bei der überraschend offen geäußerten Kritik am Digitalpakt der Bundesregierung, besonders dras-tisch vorgetragen von Stephan Dorgerloh, Ex-Kultusminister von Sachsen-Anhalt. Hier wurde, so Dorgerloh, 2016 im Hau-Ruck-Verfahren etwas beschlossen, wofür es kein Konzept gab – einfach, weil das Geld da war. Die FDP-Politikerin Katja Suding, deren Partei schon jetzt eine Nachschubfinanzierung fordert, beschrieb die Lage so: Wenn wir die Technik auch nutzen wollten, bräuchten wir zum Beispiel einen entsprechenden Support, um die Geräte zu pflegen, und vor allem qualifizierte Lehrer, die diese auch bedienen könnten. Dafür reichten die vorhandenen Mittel aber bei weitem nicht aus.


Wie denn wirksame Bildung in einer digitalen Welt ganz konkret aussehen könnte, zeigte vor allem der Impuls der viel gereisten Bildungswissenschaftlerin Anne Sliwka, Professorin an der Universität Heidelberg. Wir würden hierzulande noch viel zu stark in Dichotomien denken, etwa die Instruktion einer lehrerzentrierten Wissensvermittlung gegen die Ko-Kreation schülerzentrierter Gruppenarbeit. In Wahrheit, so Sliwka, gehe das eine gar nicht ohne das andere, wie sie an vielen internationalen Vorreiter-Schulen beobachten durfte. Die besten Unterrichtsformate, die sie gesehen habe, hatten neben den Freiräumen für die Schü-lerInnen immer auch eine starkes, instruktives Element. Zwar stimme es, dass sich unser Zugang zu Wissen auf radikale Weise demokratisiere. Aber man benötige auch enormes Vorwissen, um mit der hohen Verfügbarkeit an Material überhaupt sinnvoll arbeiten zu können.


Die auf der Konferenz an vielen Stellen geführte, eher von Risikoszenarien geprägte Debatte zur Rolle von LehrerInnen in einer digitalisierten Gesellschaft (drohende Ersetzbarkeit durch KI, gefühlte Degradierung als Lernbegleiter, etc.) dürftesolche Erkenntnisse in Zukunft enorm bereichern. Lehrerinnen und Lehrer werden schon bald bei weitem anspruchsvollere Jobs haben, als aktuell. Sie sind die Avantgarde der Wissensgesellschaft, diejenigen, die den Zugang zur Aneignung von Welt neu erfinden, so die Einschätzung der Bildungsforscherin.

Nächster Artikel