Technik für den Menschen

Die technologische Entwicklung treibt die Entwicklung der Medizin voran. Dabei wirkt die Digitalisierung wie ein Katalysator.
Hand
Illustration: Andrew Thorpe by Marsha Heyer
Mirko Heinemann Redaktion

Stellen Sie sich vor, es gäbe einen Computerchip, der Ihre Gedächtnisleistung signifikant erhöhen könnte. Es wäre nur eine kleine Operation nötig, um ihn ins Gehirn einzupflanzen. Wären Sie dabei? Nein? Mehr als Hälfte aller Deutschen sieht das anders. Sie könnten sich durchaus vorstellen, mit Implantaten ihren geistigen Fähigkeiten auf die Sprünge zu helfen. Überdies stehen sie auch dem Einsatz von Robotern, etwa in der Pflege, relativ aufgeschlossen gegenüber: Jeder vierte Deutsche könnte sich vorstellen, im Alter von einem Roboter gepflegt zu werden.


So viel Science Fiction-Affinität ist ungewöhnlich in der deutschen Bevölkerung. Doch der so genannte ZukunftsMonitor des Bundesforschungsministeriums ermittelte: Während doch recht viele Deutsche eine Skepsis gegenüber ressourcenverschlingenden Technologien entwickelt hat, ist die Begeisterung gegenüber technischen Entwicklungen in der Medizin ungebrochen. Die Studie basiert auf einer repräsentativen Befragung von TNS Emnid im Juli 2015. Die rund 1.000 persönlichen Interviews spiegeln die Einstellungen der Deutschen zu den Zukunftstechnologien in Gesundheit und Pflege wider.  


Vor allem junge Menschen sehen die Vorteile der Medizintechnik-Innovationen. Das gilt insbesondere für die so genannten Wearables, also Fitnessbänder und mobile Geräte, die Puls oder Schritte messen und Schlafrhythmus oder Kalorien aufzeichnen. 55 Prozent der Befragten stehen diesen Technologien positiv gegenüber. Ältere Menschen erhoffen sich von der Technik vor allem eine höhere Lebensqualität im Alter, weil sie sich vor Pflegebedürftigkeit, Altersarmut und lebensbedrohlichen Krankheiten fürchten. 51 Prozent befürworten die so genannte „Telepflege“.  


So viel Begeisterung für Medizin und Technik sorgt für einen Wachstumsschub, auch in der Industrie. Vor allem die Verbindung von IT und medizinischen Anwendungen feuert die Entwicklung an. Die Zahl medizinischer Apps nimmt täglich zu, die Expertentagung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte schätzt die Zahl dieser mobilen Programme auf 55.000, mit stark steigender Tendenz. Viele Apps richten sich nicht an Ärzte, sondern vorrangig an Patienten. Mehr und mehr kommen sie damit in die Lage, ihre eigene Gesundheit einzuschätzen,  sich über medizinische Sachverhalte zu informieren und so dem Arzt als „mündiger Patient“ gegenüberzutreten. Mit steigendem Alter werden diese Trends noch zunehmen. Wer heute ein Smartphone, einen Tablet-Computer oder eine Smartwatch nutzt, wird später erst recht auf digitale Hilfsangebote zurückgreifen.


Daneben spiegelt auch das Medica Health IT Forum die wachsende Bedeutung der IT in der Medizin. Das Forum findet im Rahmen der weltgrößten Medizinmesse Medica Mitte November 2015 in Düsseldorf statt und legt den Fokus auf die Telemedizin. Im selben Rahmen findet die Medica Education Conference statt – mit einem interdisziplinären Programm. Dem Konferenzmotto „Wissenschaft trifft Medizintechnik“ folgend sind die vier Tagesthemen so gewählt, dass sich eine enge Verzahnung zu den Medizintechnik-Neuheiten der Fachmesse ergibt. Schwerpunkte sind demnach Chirurgie und neue operative Techniken, Bildgebung, Endoskopie und Interventionen, Geriatrie, Ernährungs- und Palliativmedizin sowie Infektiologie, Entzündung und Labormedizin.


Die rapide steigende Zahl an Innovationen in der Medizin spiegelt sich in der Zahl der Patentanmeldungen. Hier bilden Medizintechnologien stetig das führende Technologiefeld. Nach Angaben des Europäischen Patentamtes in München führt die Medizintechnik die Liste der Technologiebereiche mit 11.124 weltweiten Patentanträgen, die beim Europäischen Patentamt eingereicht wurden, im Jahr 2014 an. Danach folgen erst elektronische Geräte, die digitale Kommunikation, Computertechnologien und das Transportwesen. An erster Stelle liegen die Europäer mit einem Anteil von 41 Prozent, die USA folgen erst mit 39 Prozent, wobei Europa um über drei Prozent zulegen konnte.


Als weiterer Motor des Fortschritts in der Medizin gilt die Biotechnologie. Die Industrie, vor 20 Jahren noch ein kaum sichtbares Nischensegment, ist inzwischen zu einer reifen Industrie herangewachsen. Jedes zweite Medikament stammt bereits aus den Laboren von Biotech-Unternehmen. In Deutschland fehlt es allerdings an Risikokapital, das zur Gründung innovativer Biotech-Firmen notwendig ist. Folge: Die Zahl der Unternehmen und der Umsatz gehen weiter zurück. Laut Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) sank die Zahl der Unternehmen von 407 im Jahr 2013 auf 401 im Jahr 2014. Im selben Zeitraum ging der Gesamtumsatz von 1,17 Milliarden Euro auf 1,15 Milliarden Euro zurück, gleichzeitig weiteten sich die Verluste um vier Prozent auf 356 Millionen Euro aus. Mut für die Zukunft machen dennoch mehrere Indikatoren, so die EY-Experten: Zum einen bauten die Unternehmen die Zahl der Mitarbeiter um vier Prozent auf 10.060 aus. Zum anderen stiegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) um fünf Prozent auf 812 Millionen Euro.


Die Begeisterung für medizintechnische Innovationen darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass es auch Ängste gibt. Dass Ärzte etwa in manchen Bereichen ihre Diagnose oder Therapie nur noch über Telekommunikationsmittel ausführen, sehen viele Deutsche laut Emnid-Studie kritisch. 52 Prozent der Befragten verbinden daher mit der Telemedizin eher Risiken. „Der ZukunftsMonitor zeigt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger sehr für die Gesundheitstechnologien von morgen interessieren. Ihre Sorge um mögliche Risiken belegt aber auch, dass es noch großen Forschungsbedarf gibt, um Fragen in der Anwendung zu klären und Vertrauen in neue Technologien zu schaffen“, erklärte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka dazu ganz richtig. Denn: „Technik muss den Menschen dienen.“

Erster Artikel
Medizin
Oktober 2023
Illustration: Olga Aleksandrova
Redaktion

Individuell behandelt

Jeder Krebs ist anders und nicht alle Betroffenen sprechen auf dieselben Medikamente an. Zielgerichtete Therapien sollen individuelle Behandlungen möglich machen.