Energie für alle

Die Redaktion befragt Experten zu Chancen und Herausforderungen der Energiewende.
Juni 2019 Handelsblatt Zukunft Energie

»Die Energiewirtschaft wird zum Wachstumsmarkt«

Stefan Kapferer Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung BDEW

Atomausstieg, beschleunigte Energiewende und der Kohlekompromiss sind nur einige der gewaltigen Richtungsentscheidungen, die die Energiebranche massiv verändern. Sie alle erfordern von den Unternehmen, Geschäftsmodelle völlig neu zu denken. Gleichzeitig verändert sich auch der Energiemarkt selbst: Zu den etablierten Energieunternehmen stoßen neue Marktteilnehmer aus IT und Big Data, Automotive, Projektentwicklung und Wohnungswirtschaft. Die Energieunternehmen haben jedoch schnell verstanden, dass der gewaltige Transformationsprozess und die neue Dynamik auch einhergehen mit neuen Technologien, Investitionen und Geschäftsmodellen, kurz gesagt, mit der Chance für neues Wachstum.


Zu den wesentlichen Treibern gehören die Geschäftsfelder Erneuerbare Energien, Power-to-Gas und E-Mobilität. Denn spätestens seit der Androhung von Fahrverboten ist klar: Wir brauchen endlich eine spürbare Verkehrswende mit einem Fokus auf E-Mobilität. Die Energiewirtschaft spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie stellt die notwendige Infrastruktur bereit – von der einzelnen Ladesäule bis zum Smart Grid für Unternehmen und Kommunen. Bereits heute werden 75 Prozent aller öffentlich zugänglichen Ladepunkte von der Energiewirtschaft betrieben, viele davon mit 100 Prozent Ökostrom. E-Mobilität, aber auch der Wärmemarkt, lassen die Nachfrage nach grünem Strom steigen. Darüber hinaus hat auch die Politik die Zielmarke nach oben gesetzt: So soll der Anteil der Erneuerbaren am gesamten Stromverbrauch bis 2030 von 38 Prozent auf 65 Prozent steigen. Allein im Hinblick auf den Ausbaubedarf bedeutet das, dass wir die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien von heute etwa 120 GW auf bis zu 220 GW im Jahr 2030 steigern müssen. Hinzu kommen Folgeinvestitionen in Back-Up-Kapazitäten, Transportnetze und Flexibilitäten, um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden. Die Energiewirtschaft ist damit nicht nur eine Wachstumsbranche – sie wächst buchstäblich über sich selbst hinaus.

 

www.bdew.de

Juni 2019 Handelsblatt Zukunft Energie

»Digitalisierung macht das Stromnetz smart«

Achim Berg Präsident Digitalverband Bitkom

Damit die Energiewende gelingen kann, ist mehr Flexibilisierung im Stromsystem von entscheidender Bedeutung. Denn Netzstabilität zu überschaubaren Kosten lässt sich vor allem dadurch erreichen, dass man Stromnachfrage dem schwankenden Stromangebot durch Wind und Sonne anpasst. So können Haushalte und Unternehmen bei Bedarf ihre Stromnachfrage kurzfristig steigern oder aber auch Verbraucher abschalten. Dabei geht es natürlich nicht darum, dass plötzlich der Fernseher ausgeht, sondern es geht etwa um den Stromverbrauch beim Laden von Elektrofahrzeugen oder beim Heizen.


Dank der Digitalisierung bedeutet dieses Umdenken aber keinen Komfortverlust, denn die Geräte übernehmen diese Aufgabe selbsttätig und kommunizieren dazu mit dem Netz. Die Bürger profitieren sogar ganz direkt von dieser Entwicklung. Etwa über spezielle Tarife, die solches netz- und systemdienliches Verhalten beim Stromverbrauch belohnen. Damit dies möglich wird, muss das Energiesystem mit einer vollständig digitalen Infrastruktur versehen werden, zu denen auch intelligente Stromzähler gehören. Ein verbessertes Projektmanagement in der Abstimmung zwischen Behörden und der Branche ist nach der ausführlichen Debatte über IT-Sicherheit nun notwendig, damit der beginnende Smart Meter Rollout ein Erfolg wird.
Digitale Infrastruktur ist auch mit Blick auf die sich abzeichnende Mobilitätswende dringend notwendig. Strom wird damit eine noch größere Rolle in noch mehr Lebensbereichen spielen. Mit einer intelligenten Ladeinfrastruktur können zum Beispiel in Wohngebieten drei Mal so viele Elektroautos versorgt werden wie heute, ohne neue Stromkabel verlegen zu müssen.


In Zukunft sind die Verbraucher nicht mehr nur Kunden, sondern sie werden zu einem wichtigen Teil des Energiesystems – auch als Stromproduzenten und Betreiber von Speichern.

 

 

www.bitkom.org

Juni 2019 Handelsblatt Zukunft Energie

»Digitale Mobilitätswende: Herausforderung und Chance«

Mario Ohoven Präsident Bundesverband mittelständische Wirtschaft BVMW

Der rasante Fortschritt im Digitalisierungszeitalter und steigende Anforderungen an den Klimaschutz läuten eine neue Ära der Mobilität ein. Diese zeichnet sich durch zwei große Trends aus: Alternative Antriebe wie die Brennstoffzelle, batterieelektrische Fahrzeuge sowie synthetische und biogene Kraftstoffe bieten neue Möglichkeiten zur Reduzierung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor. Denn diese steigen trotz effizienterer Fahrzeuge wegen des wachsenden Verkehrsaufkommens weiter an.

 

Zum anderen fördert die Digitalisierung innovative Mobilitätsmodelle im Mittelstand. Dazu zählen betriebliches Carsharing, ein effizienteres Flottenmanagement sowie neue Geschäftsmodelle, etwa die Nutzung der Batterien von Elektrofahrzeugen zur Stromnetzstabilisierung. Beide großen Trends „Alternative Antriebe“ und „Digitalisierung“ werden durch innovative Technologien wie Transportdrohnen und Autonomes Fahren immer stärker miteinander verzahnt.


Alle diese Entwicklungen werden in den nächsten Jahren noch an Fahrt gewinnen und mit einer zunehmenden Verknüpfung der Sektoren Verkehr und Strom einhergehen. Die digitale Mobilitätswende stellt deshalb auch die Energiewirtschaft vor neue Herausforderungen: Erneuerbare Energien und Verteilnetze müssen ausgebaut und die richtigen Rahmenbedingungen für die Nutzung von Strom, Wasserstoff sowie synthetischer und biogener Kraftstoffe geschaffen werden. Nur dann kann eine klimafreundliche Mobilitätswende erfolgreich sein.


Ein unverzichtbarer Bestandteil ist die Digitalisierung. Mit ihrer Hilfe werden die schwankende Erzeugung der Erneuerbaren Energien und die neuen Energieverbraucher und -speicher intelligent miteinander vernetzt. Die Mobilitäts- und Energiewende stellt die mittelständischen Unternehmen vor neue Herausforderungen, bietet ihnen aber gleichzeitig große wirtschaftliche Chancen.

 


www.bvmw.de