Anpacken, jetzt!

Die Redaktion befragt Akteurinnen und Akteure zu drängenden Themen der Zeit.
Dezember 2022 Handelsblatt Perspektiven 2023

»Maßnahmen für mehr Chancengleichheit in der Arbeitswelt«

Elisabeth Bartke Managerin Themen und Produkte Deutsche Gesellschaft für Personalführung

In den vergangenen Jahren wurde die Einführung der Frauenquote kontrovers diskutiert. Das eigentliche Anliegen der Initiative rückte dabei oftmals in den Hintergrund: Chancengleichheit. Beides steht zwar miteinander in Beziehung, doch bedingt das eine nicht zwangsläufig das andere. Denn nur weil die Politik Unternehmen zu einer höheren Beteiligungsquote von Frauen auf Vorstandsebene bewegen will, entwickelt sich daraus nicht automatisch eine Kultur der Chancengleichheit. Gegenteiliges scheint der Fall: Unternehmen erreichen die 30-Prozent-Marke und geben sich damit zufrieden. Auch die ESG-Kriterien ändern daran wenig, weil sie nur schwerfällig umgesetzt werden und in der Personalarbeit nicht vorgeschrieben sind. Generell werden Personalmanager:innen verhältnismäßig selten in die strategischen Grundsatzfragen von Unternehmen eingebunden, wenngleich gesellschaftspolitische Fragestellungen HR-Expertise verlangen. Dennoch kann HR Female Empowerment aktiv fördern.

Eine Möglichkeit bilden unternehmensinterne Netzwerke von Frauen, die sich über Hierarchieebenen hinweg gegenseitig unterstützen. Damit wird dem Vorurteil des „Queen-Bee-Syndroms“ entgegenwirkt, welches besagt, dass Frauen in Führungspositionen dazu neigen würden, den Karriereaufstieg anderer Frauen zu behindern. Evidenzbasierte Studien haben das Phänomen inzwischen zwar entkräftigt, doch das perpetuierte Bild angeblicher „Stutenbissigkeit“ hält sich hartnäckig und kann der Unternehmenskultur schaden.

Einen anderen Weg zu mehr Chancengleichheit zeigt eine aktuelle Studie aus Australien: „Opt-out“ anstelle von „Opt-in“. In diesem Modell werden bei Auswahlverfahren alle qualifizierten Mitarbeitenden in den Auswahlprozess einbezogen, die sich nicht bewusst dagegen entscheiden. Gerade Frauen hilft diese Regelung, weil damit die mentale Hürde zur Bewerbung herabgesenkt wird, die nachweislich den Gender-Gap beim „Opt-in“-Modus verursacht.

www.dgfp.de

 

Dezember 2022 Handelsblatt Perspektiven 2023

»Moderner Staat: Grundlage für eine erfolgreiche Wirtschaft«

Marc S. Tenbieg Vorstand Deutscher Mittelstandsbund

Der deutsche Mittelstand hat in diesem Jahr einmal mehr seine Widerstandskraft unter Beweis gestellt. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) leiden besonders unter den explodierenden Energiepreisen und der hohen Inflation. Der Fachkräftemangel und die schlechte digitale Infrastruktur in Deutschland laufen als große Probleme unserer Zeit quasi nebenher. Aufhalten lassen sich die starken Unternehmerinnen und Unternehmer aber nicht. Sie kämpfen für ihr Unternehmen, ihre wirtschaftliche Existenz und für die Arbeitsplätze ihrer Beschäftigten.

Zwar wurden die nächsten milliardenschweren Entlastungen bereits angekündigt, doch kommen sie nicht immer dort an, wo sie dringend benötigt werden. Stattdessen würden die Unternehmen von einem zentralen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag wesentlich mehr profitieren: einer klaren Strategie zur schnellen und umfassenden Modernisierung des Staates. Ein zukunftsfähiger, digitaler und agiler Verwaltungsapparat, der die Unternehmen von unnötiger Bürokratie befreit, wäre ein echter Konjunktur- und Innovationsverstärker. Gerade in Krisenzeiten sind ein moderner Staat und minimale Belastungen das A und O für wettbewerbsfähige, robuste Unternehmen. Doch stattdessen stockt weiterhin die Modernisierung, Planungsverfahren sind quälend langsam, Bürokratiekosten stagnieren seit Jahren und bei der Strom- und Gaspreisbremse droht die nächste verwaltungstechnische Bremse. Rund 80 Prozent der DMB-Mitglieder fordern einen Belastungsstopp für 2023 – denn dieser ist dringend notwendig!

Neben kurzfristigen Entlastungen muss aber auch mittel- und langfristig in die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen investiert werden. Die wichtigsten Investitionsprojekte für kleine und mittlere Unternehmen sind echte Dauerbrenner: Infrastruktur, (Weiter-)Bildung und der Ausbau von erneuerbaren Energien.

www.mittelstandsbund.de

 

Dezember 2022 Handelsblatt Perspektiven 2023

»Deutscher Wasserstoff- Leitmarkt in Gefahr«

Werner Diwald Vorstandsvorsitzender Deutscher Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, Deutschland zum globalen Leitmarkt der Wasserstoffwirtschaft zu entwickeln. Eine richtige Entscheidung, bei einem Marktpotenzial von 5,4 Millionen neuen Jobs mit einem Jahresumsatz von über 800 Milliarden Euro. Leider fehlt es bis heute an den investitionssicheren gesetzlichen Leitplanken.

Die USA haben mit dem Inflation Reduction Act (IRA) ein wirksames Förderprogramm für den Wasserstoff mit einem bis zu dreistelligen Milliarden Dollar Betrag geschaffen. Die richtige Reaktion darauf ist nicht, zu klagen, sondern zu handeln und effiziente gesetzliche Rahmenbedingungen für den Hochlauf der Wasserstoffindustrie zu erlassen.

Deutschland muss jetzt ein Sprinterprogramm zum Aufbau der Wasserstoff-Stahlproduktion, der Markteinführung von Brennstoffzellen-LKWs, dem Aufbau einer Wasserstoff-Pipeline-Infrastruktur und der Erzeugung von grünem Wasserstoff zur Kraftstoffproduktion sowie als Rohstoff für die Chemie-Industrie umsetzen. So könnten zum Beispiel von den vorgesehenen 250 GW Ausschreibungen für erneuerbare Energien gesetzlich bis zu 20 Prozent (50 GW) außerhalb Deutschlands in der EU ausgeschrieben werden. Der Import dieser Energiemengen ist realistisch nur über Gaspipelines möglich. Mit einer Verordnung, die den Import der erneuerbaren Energien über Pipelines zuließe, könnte die Regierung nicht nur den Hochlauf der Elektrolyseproduktion, sondern auch den Absatz von Windenergieanlagen und die Versorgung der deutschen Industrie mit grünem Wasserstoff kurzfristig sicherstellen.

Vorschläge für ein Sprinterprogramm liegen den Ministerien vor. Es liegt jetzt ausschließlich in den Händen der Regierung, Klimaschutz und Wirtschaftswachstum mit dem Aufbau einer prosperierenden grünen Wasserstoff-Marktwirtschaft zu vereinen.

www.dwv-info.de