Neue Flexibilität

Präsident des Bundesverbandes Onlinehandel e. V. (BVOH)
Juni 2022 Handelsblatt Handel der Zukunft

»Der stationäre Handel in den Innenstädten muss sich neu erfinden.«

Michael Pfefferle Bereichsleiter Smart City & Smart Region Bitkom e. V.

Leere Einkaufsstraßen, geschlossene Geschäfte: Nicht erst seit der Coronapandemie stehen Einzelhändler und andere Gewerbetreibende in den Innenstädten unter Druck. So wirkt die Pandemie vielmehr als Beschleuniger einer übergeordneten gesellschaftlichen Entwicklung. Die Innenstädte als reine Orte des Shoppings haben ausgedient. Während man früher noch für ein paar Erledigungen in die Innenstadt ging, müssen Handel, Bars, Cafés und Plätze heute durch eine hohe Aufenthaltsqualität überzeugen. Das große Ziel muss sein, die Attraktivität der Ortszentren zu steigern. Das heißt auch, neue Mobilitätskonzepte zu etablieren, mehr Platz für Jung und Alt zu schaffen und den urbanen Raum grüner zu gestalten.

 Für den Handel vor Ort bedeutet das, das Kundenerlebnis zu steigern. Kundinnen und Kunden ist es im Grunde egal, ob sie online oder offline einkaufen. Für sie zählt, dass der Einkauf gut informiert, schnell und möglichst bequem erfolgt. Zugleich zeigt eine Bitkom-Studie aber auch, dass Kundinnen und Kunden bewusst den lokalen Handel vor Ort unterstützen wollen. Was den Onlinehandel bereits auszeichnet, können Händler vor Ort mit dem Einsatz digitaler Technologien aufholen – dies unterstreichen auch sechs von zehn Internetusern aus der Umfrage. Weiterhin sagen acht von zehn, dass sich der stationäre Handel in den Innenstädten neu erfinden muss. Dafür benötigen Händler wie auch Kommunen neue Konzepte und Ideen.

Was Kundinnen und Kunden jetzt schon überzeugt, sind Omnichannel-Konzepte. Hierbei verfließen die Grenzen zwischen Online- und Offline-Vertriebskanälen. Somit entsteht ein durchgängiges Einkaufserlebnis, in dem sämtliche Informationen, Produkte und Services auf allen Kanälen gleichermaßen und vernetzt zur Verfügung stehen.

www.bitkom.org

Juni 2022 Handelsblatt Handel der Zukunft

»E-Commerce lehrt der Branche eine neue Flexibilität.«

Oliver Prothmann Die Redaktion befragt Branchenvertreter:innen zu aktuellen Herausforderungen.

Noch vor 20 Jahren waren Kundinnen und Kunden zufrieden und glücklich, wenn im Onlinehandel etwas Gekauftes auch wirklich ankam. Fünf Jahre später wurde der Onlinehandel professioneller und immer mehr Bezahlmethoden waren verfügbar. Auch der Versand wurde zuverlässiger und schneller. Ab 2010 kam die Zeit der Marktplätze, und insbesondere Amazon definierte die Standards im Onlinehandel, was ihn noch zuverlässiger und zunehmend professionell machte. Mit der Professionalität kam auch die Nachfrage nach weiteren Vertriebskanälen, die man dann auch international fand. Cross-Border-E-Commerce nahm Fahrt auf.

Onlinehandel gewann stark an Relevanz, was man primär daran erkannte, dass ihn die Politik ins Visier nahm und immer mehr Regeln definierte. 2020, mit Corona, konnte der Onlinehandel so richtig zeigen, was in ihm steckt. In kürzester Zeit waren die Händler in der Lage, sich auf die Situation im Lockdown einzustellen und den Verbraucher:innen das zu liefern, was sie an anderer Stelle nicht mehr bekommen konnten. Der Onlinehandel konnte seine ganze Stärke ausspielen: Flexibilität. Natürlich ergab sich daraus auch ein starkes Wachstum beim Umsatz, und somit trat der Onlinehandel 2021 in eine neue Entwicklungsstufe ein. Die Finanzwelt identifizierte ein wichtiges Investitionsfeld und stattete etliche Händler mit üppigem Wachstumskapital aus. Plötzlich war es möglich, sein Handelsunternehmen zu verkaufen und dafür gutes Geld zu bekommen.

Aktuell erreicht der Onlinehandel eine weitere Entwicklungsphase. Nach Corona und kurzzeitiger Überhitzung durch die Finanzwelt sehen wir, dass der Onlinehandel sich als stabiler Teil der Handelsbranche etabliert hat. E-Commerce lehrt der Branche eine neue Flexibilität, die der stationäre Handel lange nicht erfüllen konnte.

www.bvoh.de

Juni 2022 Handelsblatt Handel der Zukunft

»Unter dem Eindruck der Krisen den Handel der Zukunft zu gestalten, ist eine Mammutaufgabe.«

Stefan Genth Hauptgeschäftsführer Handelsverband Deutschland

In der aktuellen Zeit der Krisen steht der Einzelhandel vor der Herausforderung, sich für die Zukunft aufzustellen. Die Pandemie hat viele Unternehmen besonders im Non-Food-Sektor hart getroffen und das Einkaufsverhalten der Kundschaft nachhaltig verändert. Bis heute sind die Umsätze und die Kundenfrequenzen nicht auf das Vorkrisenniveau zurückgekehrt. Hinzu kommen die wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine, die Handel und Verbraucher seit Wochen begleiten. Unter dem Eindruck der Krisen den Handel der Zukunft zu gestalten, ist eine Mammutaufgabe.

Dabei erkennt die große Mehrheit der Unternehmen im Non-Food-Handel, wie wichtig Zukunftsinvestitionen sind. Vor allem mit Blick auf die Digitalisierung, Kommunikation und Fachkräftegewinnung sehen Händlerinnen und Händler großen Investitionsbedarf. Doch Krisen bremsen sie aus. Derzeit wird pandemie- und krisenbedingt häufig nur in das Kerngeschäft investiert. Digitalisierung und auch Bereiche wie Klimaschutz sind ebenso gefragt und wichtig. Mehr als ein Drittel der Non-Food-Betriebe sieht in diesem Jahr jedoch keine Chance für große Investitionen, vor allem in kleinen Unternehmen. Häufig besteht nach den zurückliegenden Monaten mit Lockdowns und Zutrittsbeschränkungen kein Spielraum, um in die Zukunftsfähigkeit des eigenen Geschäftes zu investieren.

Damit Händlerinnen und Händler nicht unverschuldet den Anschluss verlieren, müssen Innovationen und Investitionen gezielt unterstützt werden. Energieeffizienzmaßnahmen umzusetzen, die Digitalisierung voranzutreiben und die Attraktivität der Stadtzentren zu erhöhen, ist ein Gemeinschaftsprojekt. Hier zählt das Engagement aller Akteure aus Politik, Handel und Kommunen.

www.einzelhandel.de