Gemeinsam stark

Die digitalisierte Wirtschaft benötigt wissensbasierte Hightech-Cluster zu ihrer Entfaltung. Der richtige Standort ist entscheidend.
Illustration: Mario Parra
Mirko Heinemann Redaktion

Die Industrie hat sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker in ländliche Regionen verlagert. Viele Unternehmen des produzierenden Mittelstands sitzen heute abseits der großen Städte in Westfalen oder Baden-Württemberg. Nun aber könnte sich eine Veränderung abzeichnen: „Die Standortmuster der Industrie justieren sich neu“, schreiben die Autoren einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der TU Berlin und des Beratungsunternehmens Sustain Consult, die von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird.

Ihre These: Mit der Digitalisierung könnte die Industrie wieder in Städte und Metropolregionen zurückkehren. Die Wissenschaftler haben untersucht, wo in Deutschland Industrie-Start-Ups gegründet wurden. Die höchste Gründungsintensität weist demnach Berlin auf. So sehe etwa in der Hauptstadt Berlin die Entwicklung bei industriellen Start-ups derzeit besser aus als in vielen bestehenden Industrieunternehmen. Auch die Regionen München, das Rhein-Main-Gebiet, Leipzig und Dresden sowie die Metropolen an Rhein und Ruhr schneiden gut ab. Die Wissenschaftler erklären dies einerseits mit der räumlichen Nähe zu Forschungseinrichtungen. Ebenfalls eine Rolle spielt offenbar die Nähe zu zahlungskräftigen Kunden.

Vorbei die Zeit, da man die Digitalisierung vor allem mit dem Merkmal der Freiheit verband. Die Digitalisierung und das Internet ermögliche es, dass man von überall aus arbeiten kann, hieß es damals. In der Tat kann man heute von überall kommunizieren und ist mit seinem Unternehmen über das Internet verbunden. Letztlich hat dies die Zahl der Dienstreisen noch erhöht, weil sich erwiesen hat, dass der persönliche Kundenkontakt doch entscheidend ist für die Anbahnung einer nachhaltigen und vertrauensvollen Geschäftsbeziehung. Für die Mitarbeiter gilt ähnliches: Man findet sie eben nicht am besten über das Internet, sondern über den persönlichen Kontakt – und damit über die Vernetzung von Wissensbereichen, Hochschulen, Universitäten mit der Industrie.

Standorte sind entscheidend: Es kommt es darauf an Cluster zu bilden und sich bestmöglich zu vernetzen. Messen, Hochschulen, Demografie, Verkehrsanbindung, Lebensqualität spielen eine immer wichtigere Rolle. Nicht umsonst reagiert der Prothesenhersteller Ottobock auf die Herausforderungen der Digitalisierung, indem er seine Produktion zwar nach wie vor in dem niedersächsischen Ort Duderstadt belässt – zugleich aber errichtet der visionäre Geschäftsführer eine Entwicklungsabteilung im Herzen der Hauptstadt Berlin, um nah zu sein an den Start-ups, den Hochschulen und den Talenten, die er braucht, um Produkte der Zukunft zu entwickeln. Mit dem „Open Innovation Space“ haben Ottobock und Fab Lab Berlin dort einen Ort der Begegnung für Kreative aus aller Welt geschaffen, die Zugang zu 3D-Druckern, Lasercuttern, CNC-Fräsern und CAD-Software suchen, um ihre Ideen in Prototypen zu verwandeln.

Die Grenzen dieser Entwicklung liegen derzeit dort, wo man sie auf den ersten Blick nicht vermutet: in der galoppierenden Entwicklung der Lebenshaltungskosten in den Städten. Einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PwC zufolge haben immer mehr Berliner Start-ups Schwierigkeiten bei der Mitarbeitersuche. Dabei sei das größte Problem nicht der Mangel an Fachkräften, davon gibt es in Berlin offenbar genug. Die meisten Gespräche scheitern an den Gehaltsvorstellungen der Bewerber. Sie sind schlicht zu hoch.

 

Nächster Artikel