Zarte Pflänzchen

Geht es nach der Politik, soll klimafreundlich erzeugter Wasserstoff in Zukunft unsere Wirtschaft stark verändern. Dazu muss aber erst einmal die Infrastruktur geschaffen werden. Erste Projekte weisen den Weg.
Illustration: Daniel Balzer
Illustration: Daniel Balzer
Kai Kolwitz Redaktion

Wird Wasserstoff zum Wunderstoff der Zukunft? In der Öffentlichkeit ist es noch gar kein so großes Thema – doch in Deutschland laufen enorme Anstrengungen, um das Gas zu einer Art Schweizer Taschenmesser der Wende hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Industrie zu machen.


Wasserstoff kann an vielen Stellen Aufgaben erledigen, für die derzeit noch fossile Stoffe verwendet werden – und bei deren Gebrauch entsprechend CO2 in die Atmosphäre gelangt. Wasserstoff lässt sich statt Kohle in Hochöfen verwenden, es kann in der Zement- oder Düngemittelherstellung  ebenso benutzt werden wie dazu, um damit Fahrzeuge anzutreiben oder Gebäude zu heizen.


Und Wasserstoff lässt sich weitgehend klimaneu-tral erzeugen, indem in so genannten Elektrolyseuren mit Hilfe von Wind- oder Solarstrom Wasser in seine Bestandteile Wasser- und Sauerstoff aufgespalten wird. Etikettiert wird auf diese Art produziertes Gas als „Grüner Wasserstoff“.


Im Jahr 2020 hat die Bundesregierung eine nationale Wasserstoffstrategie beschlossen. Und vor etwa sechs Monaten haben Bund und Länder rund acht Millionen Euro Fördermittel bereitgestellt, die in gut 60 einzelne Projekte zum Thema Erzeugung, Transport, Lagerung und Nutzung des grünen Gases fließen sollen.


Wer sich umsieht, der stellt fest, dass im Moment sehr viele Akteure dabei sind, Erfahrungen zu sammeln, um in den kommenden Jahren Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff auf einen industriellen Maßstab hochskalieren zu können. Viele Energieerzeuger und Stadtwerke lassen bereits eigene kleine Elektrolyseure laufen. Strom aus Wind- oder Sonnenenergie wandeln sie in Grünes Gas um, das in der Regel vor Ort genutzt wird: Lokale Industrie wird nach Bedarf versorgt, Fahrzeuge betankt oder Gebäude beheizt.


So hat das Unternehmen GP Joule in Nordfriesland das Projekt „eFarm“ gestartet. In der Nähe von Windparks in der Region wird an fünf Standorten Wasserstoff produziert, mit einer Gesamtleistung von 1,125 Megawatt. Autofahrer:innen können ihn an zwei Tankstellen in Husum und Niebüll tanken. Zwei Linienbusse fahren in der Region mit dem Treibstoff, rund 30 Pkw sind ebenfalls auf den Straßen unterwegs. Die Abwärme aus der Produktion wird in Form von Fernwärme zum Heizen benutzt.


Warum Nordfriesland? Dazu erklärt GP Joule, die Wasserstoffproduktion sei ein gutes Mittel, um an windreichen Tagen überschüssigen Strom sinnvoll zu verwenden, statt Windräder vom Netz zu nehmen. Mit Wasserstoff erhalte man ein Produkt, das sich speichern lasse und das man, neben allem anderen, auch wieder für die Stromproduktion verwenden könne, wenn gerade Dunkelheit herrsche und kein Wind wehe. „Wir bekommen gute Rückmeldungen zum Projekt als Ganzem – und zum Komfort von den Busfahrern im Besonderen“, beschreibt GP Joule die Resonanz. An weiteren Orten, von Klettwitz bis Waiblingen, ist das Unternehmen gerade dabei, weitere eFarm-Standorte zu schaffen.


Mobilität mit Wasserstoff sieht man bei GP Joule gegenüber mit Akkustrom angetriebenen Fahrzeugen als durchaus nicht chancenlos an. Das gilt gerade im Lastenverkehr, wo mit Akkus betriebene LKW sehr viele schwere Batterien an Bord haben müssten. Und der Verkehr hat aus Sicht eines Wasserstoffproduzenten noch einen weiteren Vorteil: Produktion und Abgabe lassen sich je nach Bedarf sehr flexibel skalieren.

Nachfrage schafft Angebot –oder umgekehrt?

Eines zeigt sich beim Blick auf die deutsche Wasserstoffwirtschaft: Was noch kaum vorhanden ist, sind Anlagen, die grünen Wasserstoff in wirklich großem Maßstab produzieren und verbrauchen. „Ein klassisches Henne-Ei-Problem“, heißt es bei GP Joule dazu. Sprich: Nachfrage schafft Angebot schafft wiederum neue Nachfrage. Aber dieser Prozess muss erst einmal beginnen.


Zum Leuchtturm könnte in dieser Hinsicht das Projekt „Refhyne“ werden: Im Juli 2021 ist auf dem Gelände der Raffinerie Wesseling bei Köln ein Elektrolyseur mit einer Kapazität von zehn Megawatt in Betrieb gegangen. Nach Angaben der Betreiber ist er damit der momentan größte der Welt. Der Standort an der Raffinerie hat den Vorteil, dass die Raffinerie den produzierten Wasserstoff gleich selbst wieder verbraucht. Noch übertroffen werden soll „Refhyne“ ab 2023 von einem Elektrolyseur am Standort des RWE-Gaskraftwerks in Lingen. Er soll sogar mit über 100 Megawatt grünen Wasserstoff produzieren. Aus dem Emsland soll dieser per Pipeline Richtung Ruhrgebiet fließen und in der Industrie dort verbraucht werden.
 

»In der Raffinerie Wesseling bei Köln steht der größte Elektrolyseur der Welt.«


Helfen könnten dabei Vorhaben wie der Thyssen-krupp-Steel-Hochofen 9 in Duisburg-Hamborn. Denn mit diesem sammelt man schon seit einigen Jahren Erfahrungen damit, das „Ganz oder gar nicht“-Prinzip zu durchbrechen. Der Hochofen soll sowohl mit Kohle als auch mit Wasserstoff befeuert werden können – was durchaus eine Herausforderung ist, weil das Gas seine Wärme anders freisetzt als Kohle und den Hochofen dadurch auch anders belastet. Seit 2019 wird das Gas hier aber schon verfeuert, in den kommenden Jahren will man Erfahrungen mit dem Hochlauf auf industriellem Maßstab sammeln.


So hat grüner Wasserstoff eine Menge Potenzial, um die Fantasie in Gang zu setzen. Allerdings haben Experten erst gerade gewarnt, dass es mit den ehrgeizigen Zielen der Bundesregierung eng werden könnte. Die hat sich für das Jahr 2030 einen Verbrauch von 76 bis 96 Terawattstunden Leistung an grünem Wasserstoff im Land vorgenommen. In der Studie „Durchstarten trotz Unsicherheiten: Eckpunkte einer anpassungsfähigen Wasserstoffstrategie“, im November 2021 präsentiert unter anderem von TU Darmstadt, Paul-Scherrer-Institut und zwei Fraunhofer-Instituten, wird dazu ein Ausbau der Produktion um äußerst ehrgeizige 70 Prozent jährlich gefordert.


Sprich: Das Potenzial, um Industrie und Verkehr in Deutschland in den kommenden Jahren deutlich zu verändern, hat grünes Gas ganz sicher. Die Revolution könnte etwas später kommen, als projektiert. Aber in Sachen Wasserstoff ist derzeit eine Menge in Bewegung.

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