Es geht voran!

Keine abgegriffene Parole, sondern Motto für das kommende Jahr.
Mirko Heinemann Redaktion

Illustration: Johannes Fuchs

 

In den Talkshows, in den Wirtschaftsmedien, unter Politikern – überall heißt es: Deutschland befindet sich in der Rezession. Faktisch legte das Bruttoinlandsprodukt von April bis Juni nur um 0,2 Prozent zum Vorquartal zu. Für die zweite Jahreshälfte prognostiziert das Institut für Weltwirtschaft (IfW) ein Minus von 0,3 Prozent. Vor allem die traditionell starke Automobilindustrie steht unter Druck.


Sollte dies ein Grund sein, sich vor der Zukunft zu fürchten? Nein, findet BDI-Präsident Dieter Kempf und verteidigt die Autobauer im Interview mit Spiegel Online: „Die deutsche Autoindustrie ist zukunftsfähiger aufgestellt, als mancher denkt. Ich wage die Prognose, dass die Autoindustrie im kommenden Jahr mehr batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge im Angebot haben wird, als Nachfrage da sein wird. Die Industrie muss den Wandel technologieoffen angehen – und das tun die deutschen Hersteller.“


Es sind vor allem die stetig eskalierenden Handelskonflikte, die Kempf als Gefahr für die exportorientierte deutsche Wirtschaft sieht. Trotz verhärteter Fronten zwischen China und den USA schließt der BDI-Präsident eine Lösung des Konflikts nicht aus – weil auch US-Präsident Donald Trump vorzeigbare Erfolge für seine Wiederwahl brauche. Und in der sich abzeichnenden konjunkturellen Schwächephase sei jede neue Investition gut für die wirtschaftliche Entwicklung. Die Energiewende und der Klimaschutz seien dabei eine Chance, glaubt der BDI. Mit dem neuen Klimaschutzgesetz sind Forderungen der Industrie teilweise erfüllt worden. Viele Millionen Euro fließen in die steuerliche Förderung für die energetische Gebäudesanierung und in die Förderung der Elektromobilität.


In Zukunftsindustrien wie der ITK ist derzeit von Rezession nichts zu spüren. Der Digitalverband Bitkom prognostiziert für 2019 steigende Umsätze im ITK-Markt – ein Plus von zwei Prozent auf 170,3 Milliarden Euro. IT-Unternehmen schaffen danach bis Jahresende 42.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Die ohnehin schon guten Erwartungen zu Jahresbeginn werden damit sogar noch übertroffen. „Die zunehmende Digitalisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft treibt das Wachstum in der Bitkom-Branche“, so Bitkom-Präsident Achim Berg.
Er appelliert zugleich an Unternehmen und Verwaltungen: „Gerade wenn sich die konjunkturelle Lage eintrübt, müssen die Unternehmen ihre Prozesse und Geschäftsmodelle überprüfen. Sie müssen effizienter und damit wettbewerbsfähiger werden und auf die wachstumsstarken Digitalmärkte setzen. Jetzt die notwendigen Investitionen in die Digitalisierung zurückzustellen, wäre fatal. Jetzt muss es heißen: nicht reden, sondern machen. Und in aller Konsequenz und ohne Wenn und Aber digitalisieren.“


Eine unterstützende Kraft für Investitionen sind derzeit ausgerechnet die vielfach gescholtenen Negativzinsen der Banken. Zum einen ermöglichen sie es Unternehmen zu günstigen Konditionen Kredite aufzunehmen und in Wachstum zu investieren. Zum anderen werden immer mehr Bürger Aktionäre und damit Anteilseigner an der deutschen Wirtschaft – sie sorgen auf diese Weise dafür, dass weiter inves-tiert werden kann. In der Tat scheint die negative Zinsentwicklung hier etwas bewirkt zu haben. Seit 2015 steigt die Zahl der Aktienbesitzer in Deutschland wieder –nach einer langen Zeit des Niedergangs. Wie das Deutsche Aktieninstitut DAI in einer repräsentativen Umfrage herausfand, stieg in den vergangenen vier Jahren die Zahl der Aktionäre auf 10,3 Millionen. Ende 2018 waren es 1,9 Millionen mehr als 2014.


Vor allem die indirekte Aktienanlage liegt im Trend. „Zuversichtlich für die nächsten Jahre stimmt, dass der Aufwärtstrend der vergangenen Jahre alle Bevölkerungsgruppen erfasst hat und auch die jüngeren Jahrgänge stärker an Aktien interessiert sind“, so DAI-Vorstand Christine Bortenlänger. Dazu kommt: Wer stärker auf Aktien und Aktienfonds setzt, erzielt langfristig höhere Erträge und kann damit leichter Ersparnisse aufbauen und für das Alter vorsorgen. So konnten Anleger, die langfristig in den Deutschen Aktienindex DAX investiert haben, in der Vergangenheit jährlich durchschnittlich Erträge in Höhe von sechs bis neun Prozent erwirtschaften. Und tun damit zugleich etwas für deutsche Wirtschaft. „Win-Win“ heißt so eine Situation in Neudeutsch.


Für nächstes Jahr prognostizieren die Wirtschaftsforscher auch schon wieder Wachstum. Das Essener Forschungsinstitut RWI erwartet für 2020 ein Ende der Rezession und eine erneute Steigerung des Bruttoinlandsprodukts – um 0,9 Prozent. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft IfW prognostiziert sogar ein Plus von 1,0 Prozent – nach einem erwarteten Zuwachs von 0,4 Prozent im laufenden Jahr.


Dazu kommen, 30 Jahre nach Mauerfall, auch gute Nachrichten aus dem Osten des Landes: Die Wirtschaftskraft der ostdeutschen Bundesländer sei von 43 Prozent im Jahr 1990 auf 75 Prozent des westdeutschen Niveaus im Jahr 2018 gestiegen, heißt es im „Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit“ der Bundesregierung. Dies entspreche nahezu dem Durchschnitt der Europäischen Union. Ein noch besseres Bild ergibt sich demnach bei der Angleichung von Löhnen, Gehältern und den verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte. Hier liege der ostdeutsche Wert inzwischen bei 85 Prozent des Westniveaus. Berücksichtige man die in östlichen Bundesländern oftmals niedrigeren Lebenshaltungskosten, sei der Abstand sogar geringer.


Auch auf dem Arbeitsmarkt zeige sich eine zunehmend positive Entwicklung, so der Bericht. In den neuen Ländern sei die Arbeitslosenquote überproportional stark zurückgegangen – von 18,7 Prozent im Jahr 2005 auf 6,4 Prozent im August 2019. Es geht also voran.

Wirtschaft
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