Deutsche Klimahelden

Sie sind jung, dynamisch und wortwörtlich angetreten, die Welt zu retten: ClimateTech-Start-ups. Was die aufstrebenden Unternehmen aus dem Energieumfeld in petto haben, macht Hoffnung.

Illustration: Josephine Warfelmann
Illustration: Josephine Warfelmann
Julia Thiem Redaktion

Mit der Erderwärmung steigt der Bedarf an Kühlgeräten – und damit der Bedarf an Energie und Kühlmitteln. „Die meisten Menschen wissen nicht, wie energieintensiv und unsicher Kühlung ist“, sagt Timur Sirman, CEO und Mitbegründer des Darmstädter Unternehmens Magnotherm. Die Kühlbranche steuere heute bereits über sieben Prozent der globalen Treibhausgase bei. Magnotherm will mit einer innovativen Lösung dagegenhalten. Konkret setzt das Unternehmen auf eine Kombination aus so genannten magnetkalorischen Materialien, Magneten und Wasser, um einen Kühleffekt ohne Kompressor und Kühlmittelgase zu erreichen. Stattdessen verwendet die Technologie bei atmosphärischem Druck Magnete und magnetisch aktive Metalle zum Kühlen und überträgt dann die Kälte mithilfe einer wasserbasierten Flüssigkeit in den Schrank. 

Der Mechanismus ist nicht neu, die Lösung jedoch so revolutionär, dass die Jury der diesjährigen SET-Awards für ClimateTech-Start-ups überzeugt war, dass sie die Kühlung weltweit verändern wird. Denn die Technologie von Magnotherm steigert die Effizienz um bis zu 40 Prozent und verzichtet vollständig auf Kältemittelgase, wodurch direkte Treibhausgasemissionen vermieden werden.
 

TOP-3-INNOVATIONEN FÜR DIE ENERGIEWENDE


Deutschland hat als Wissenschafts- und Forschungsstandort nach wie vor einen exzellenten Ruf auf der Welt. Wohl auch deshalb, weil aus dem universitären Umfeld immer wieder neue Innovationen kommen. Dafür ist Magnotherm ein Beispiel. Das Unternehmen hat sich in einem insgesamt starken internationalen Wettbewerb durchgesetzt: Jedes Jahr veröffentlicht die Innovationsplattform Start Up Energy Transition (SET) eine Liste der 100 besten ClimateTech-Start-ups weltweit, und 2024 gehörte Deutschland mit 52 von insgesamt 430 Bewerbungen hinter den USA (64) und Indien (31) zu den Top-3-Ländern. Von Softwarelösungen für die effiziente Nutzung erneuerbarer Energien über neue Ideen für die Energiespeicherung, Predictive-KI, neue Technologien für Brennstoffzellen bis hin zu innovativen Ansätzen der CO2-Entfernung ist an Ideen und Unternehmungen alles dabei. 

Das unterstreicht einmal mehr, dass die in Deutschland relativ früh eingeleitete Energiewende Einfalls- und Ideenreichtum im Land ankurbelt. Und genau das spielt vielen deutschen Energie-Start-ups in die Karten. Denn gegenüber vielen anderen Ländern mit starker Innovationskultur hat Deutschland den Vorteil, dass mittlerweile überproportional viele Start-ups ihre Produkte schon so weit entwickelt haben, dass sie für einen größeren Markt und eine breitere Kundenbasis bereit sind. So können Verbraucher den „nachhaltigen Kühlschrank“ von Magnotherm bereits im Einsatz erleben: Im Edeka-Center Patschull in Darmstadt verrichten seit Anfang August zwei magnetkalorische Getränkekühlschränke direkt an den Kassen ihren Dienst.
 

HOHER KAPITALBEDARF


Bis es derartige Innovationen wie in diesem Fall bis in den heimischen Supermarkt schaffen, ist vor allem eines nötig: Kapital. Im aktuellen Fortschrittsmonitor 2024 vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung EY rechnen die Experten vor, dass der Investitionsbedarf für die Energiewende in Deutschland bis 2030 bei über 721 Milliarden Euro liegt. Bis 2025 sogar bei 1,2 Billionen Euro – nur in Deutschland. 

Ein Teil dieses Kapitalbedarfs entfällt auch auf Start-ups – wie Magnotherm, die sich 2023 in einer ersten Investorenrunde, einer sogenannten Seed-Finanzierung, 6,3 Millionen Euro sichern konnten. Was Investoren wie Extantia Capital, Revent oder die Beteiligungs-Managementgesellschaft Hessen vielleicht mit überzeugt hat: Sogar Coca-Cola hat bereits fünf der magnetischen Kühlschränke geordert. Magnotherm ist allerdings nicht das einzige Startup, das sich in diesem Jahr in einer der insgesamt fünf SET-Award-Kategorien durchsetzen konnte. Der Geodatenspezialist Vida hat die Kategorie Quality Access & SDG-7 für sich entschieden. Hinter dem Kürzel verbirgt sich das Social Development Goal Nummer Sieben der Vereinten Nationen, nämlich bezahlbare und saubere Energie. Vida hat dafür eine kartenbasierte Geodatensoftware entwickelt, die dazu beiträgt, die Standortrisiken von Energieinfrastruktur auf der ganzen Welt zu bewerten. 

Der Service von Village Data Analytics, wofür Vida steht, ist für Unternehmen, NGOs und Behörden gleichermaßen interessant. Denn das 2018 gegründete Start-up verspricht, die lokalen physischen Klimarisiken bis 2080 abbilden zu können. Auf dieser Basis können dann verlässliche Investitions-, Geschäfts- und politischen Entscheidungen getroffen werden – insbesondere in vielen afrikanischen und asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländern. Vor ziemlich genau einem Jahr gab es dafür die erste größere Investition vom Venture Capital Unternehmen Cusp Capital in Höhe von 3 Millionen Euro. 

„Was mich persönlich wirklich motiviert, ist die Lösung der doppelten Herausforderung von Klimawandel und Entwicklung“, erklärte Tobias Engelmeier, CEO und Mitbegründer von Vida, am Rande des Jurytages zur Bewertung des SET-Preises. Und obwohl Entwicklung bedeute, dass Menschen sehr schnell noch mehr Ressourcen benötigen – Menschen, die zum Klimawandel beigetragen haben – gelte es nun, herauszufinden, wie sich einerseits diese Bedürfnisse befriedigen und gleichzeitig so verändern lassen, dass sie den Klimawandel nicht noch mehr beschleunigen.
 

VIELE FRAUEN IN DEN ENERGIEWENDE-START-UPS


Was Tobias Engelmeier damit auch sagt: Gerade junge Start-up-Gründerinnen und -Gründer im 
 Energiesektor haben ein großes Interesse daran, mit ihren Ideen etwas zu verändern. Neben wirtschaftlichen Zielen – klar, niemand gründet ein Unternehmen und will es dann nicht auch erfolgreich sehen – gehören altruistische und gesamtgesellschaftliche Ziele zu den Dingen, die Unternehmer und Mitarbeitende antreibt und motiviert, Lösungen für die heutigen Herausforderungen ganz neu zu denken. Das lässt auch mit Blick auf den Klimawandel noch hoffen. Denn laut EU-Klimadienst Copernicus lag die globale Durchschnittstemperatur zum ersten Mal über zwölf Monate lang über 1,5 Grad Celsius und demnach so hoch wie nie zuvor. Lösungen wie die von Magnotherm, Vida und die der anderen 98 Unternehmen auf der Top-100-Liste sind also dringend nötig. Und noch etwas stimmt positiv: Bei 41 Prozent aller Bewerbungen für den SET-Preis waren Frauen (Co-)Founder.

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Pascal Schwarz ist Leiter Nachhaltigkeit bei elobau. Die Firma aus Leutkirch im Allgäu entwickelt und produziert Sensoren und Bedienelemente für die Industrie sowie den Off-Highway-Bereich.
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Sensorik- und Bedienelemente sind das Metier von elobau, Nachhaltigkeit das Firmencredo – Pascal Schwarz, Leiter Nachhaltigkeit, beleuchtet die Hintergründe.