Derzeit gibt es ein besonders heißes Thema am Kapitalmarkt: Saudi-Arabien hat seinen staatlichen Ölkonzern Saudi Aramco an die Börse gebracht – oder zumindest einen Teil davon – und wird vermutlich einen Rekord nach dem anderen kassieren. Laut dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman soll sich der Wert des Unternehmens auf zwei Billionen US-Dollar beziffern – echte Billionen, nicht die amerikanischen.
Gleichzeitig ist aber auch sicher: Anleger, denen Umwelt- und soziale Themen sowie die Unternehmensführung wichtig sind, schauen sich die Saudi-Aramco-Aktie nicht an. Denn erstens ist das Unternehmen laut Zahlen des Climate Accountability Institutes der mit Abstand größte CO2- und Methan-Emittent der Welt. Zweitens weiß die internationale Gemeinschaft spätestens seit der Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul vor rund einem Jahr, wie es die Regierung mit Menschenrechten hält. Und drittens meidet man für den IPO des staatlichen Ölkonzerns wohl bewusst eine Börse nach westlichen Standards, um strengere Aktionärsrichtlinien zu umgehen.
Zum Glück, muss man da fast sagen, steigt die Anzahl eben dieser Anleger kontinuierlich, denen nachhaltige Kriterien bei der Geldanlage wichtig sind. 474 Milliarden Euro sind alleine in Deutschland, Österreich und der Schweiz nachhaltig investiert, wie aktuelle Zahlen des Forums Nachhaltige Geldanlage (FNG) belegen. „Das Wachstum nachhaltiger Geldanlagen erreicht neue Rekordhöhen und eine nie gekannte Dynamik. So sind Wachstumsraten von mehr als 40 Prozent bei Fonds und Mandaten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu verzeichnen“, betont Claudia Tober, FNG-Geschäftsführerin.
Das ist ein gutes Zeichen, denn es zwingt immer mehr Unternehmen zum Umdenken. Werte, Moral und die freie Marktwirtschaft wachsen damit zwangsläufig immer stärker zusammen. Auch, weil Vertrauen die Grundlage für gute und tragfähige Geschäftsbeziehungen ist, wie Daniela Knieling, Geschäftsführerin von respACT – austrian business council for sustainable development, erklärt. Für Knieling sind es die Stakeholder – also etwa Anleger, Kunden und Angestellte – die die eigentliche Macht haben, die Moral auf Unternehmensseite zu erhöhen: „Mitarbeiter, die einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen und etwas zum großen Ganzen beitragen möchten, können mit ihren Ideen und ihrer Arbeitsweise ethisches Wirtschaften aktiv vorantreiben. Anleger haben die Möglichkeit, den Finanzmarkt von Morgen in eine nachhaltige Richtung zu lenken, genauso wie Kunden, die bei ihrer Wahl des Produktes den Markt mitbestimmen. Nachhaltige Unternehmen, Investments und Produkte gibt es in nahezu jedem Bereich – es liegt in unser aller Hand, diese vorzuziehen und so eine gesamthafte Änderung zu bewirken.“ Einen Widerspruch zwischen ethischem Verhalten und der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens sieht Knieling nicht, was internationale Unternehmen, die ehrlich und anständig Gewinne erzielen und diese verantwortungsvoll in Hinsicht auf die Auswirkung auf Umwelt und Gesellschaft reinvestieren, beweisen würden: „Andernfalls würde das ja bedeuten, dass man nur unanständig und auf Kosten anderer zu wirtschaftlichem Erfolg kommen kann – und das würden sehr viele Unternehmer zu Recht verneinen.“
Deutlich schwieriger ist hingegen die Frage, wie Anleger Unternehmen erkennen, die sich nachhaltig, ethisch und moralisch verhalten. Zum einen ist unethisches Verhalten nicht immer so deutlich zu erkennen wie im Fall von Saudi Aramco. Und zum anderen greifen die ESG-Kriterien, die Umwelt-, soziale sowie Aspekte der Unternehmensführung umfassen, eben auch sehr weit, was einen gewissen Interpretationsspielraum bei der Bewertung zulässt. Beispiel Elektromobilität: Für viele ist sie ganz sicher eine nachhaltige Lösung, deren Ausbau vorangetrieben werden soll. Allerdings kann man die seltenen Erden durchaus kritisch bewerten, die für die Herstellung der Batterien benötigt werden. Sie sind eine knappe Ressource und die Abbaubedingungen sind vielfach schlecht. Die Behauptung, die Kritiker dann gerne ins Feld führen, dass die Bewertung von Nachhaltigkeit und Ethik deshalb beliebig sei, ist jedoch auch nicht richtig. Sie anhand von Kennzahlen zu messen, ist tatsächlich schwierig. Ethisches und nachhaltiges Verhalten müssen definitiv differenzierter betrachtet werden. Sie lassen sich aber anhand von Fragen vergleichen – auch über Branchen hinaus. Wie positioniert sich ein Unternehmen zu ethischen Fragen? Sind diese Themen in der Unternehmensstrategie verankert? Wie werden Compliance-Verstöße verhindert? Starr ist eine solche Betrachtung natürlich nie. Und mit immer neuen Vorfällen, Gesetzen und Entdeckungen wird die Bewertung von Wirtschaftsethik und nachhaltigen Kriterien wohl stets dynamisch bleiben.
Und dann gibt es ja auch noch die drei As, anhand derer man nachhaltig investieren kann, indem man entweder ausschließt, auswählt oder anspricht. Konkret heißt das, von vornherein bestimmte Branchen wie die Glücksspiel- oder Ölindustrie aus dem Anlageuniversum auszuschließen. Oder aber man sucht gezielt nach Unternehmen, die bestimmte Kriterien erfüllen. Und zu guter Letzt ist es auch möglich, sich als Anleger aktiv zu engagieren, etwa über sein Stimmrecht als Aktionär, um Veränderungen zu bewirken.
Im Fall von Saudi-Arabien ist das Ansprechen langfristig vermutlich der nachhaltigere Weg. Geschäftsbeziehungen einfach nur abzubrechen, bewirkt selten eine Veränderung. Vielmehr gilt es, die Werkzeuge, die einem als Stakeholder zur Verfügung stehen, auch zu nutzen. Beispielsweise könnten Unternehmen NGOs unterstützen, die sich im Land für die Pressefreiheit einsetzen. Denn ethisch und nachhaltig ist es, die Bedingungen dort zu verbessern.