»Banken müssen sich neu erfinden«

Die Digitalisierung erfasst die Finanzwirtschaft. Niedrigzinsen, Regulierungsanforderungen, gestiegene Serviceerwartungen und disruptive Wettbewerbseinflüsse setzen die Branche unter Druck.
Illustration: Friederike Olsson
Illustration: Friederike Olsson
Interview: Klaus Lüber Redaktion

Welchen Herausforderungen müssen Banken und Versicherungen begegnen? Und welche Strategien führen zum Erfolg? Ein Gespräch mit dem Zukunftsforscher und Finanzexperten Dirk Herrmann.
 

Herr Herrmann, in den letzten beiden Jahren wurden in Deutschland 2.200 Bankfilialen geschlossen. Als ein Hauptgrund wird die Digitalisierung angegeben. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Vor 10 Jahren las ich einen Artikel in der FAZ mit der Überschrift, „Das Internet verändert die Fußgängerzonen“. Ist es das Internet? Natürlich nicht. Es ist das veränderte Konsumverhalten der Menschen in einer sich grundlegend verändernden Gesellschaft. Die Bank war für viele Menschen lange eine wichtige Größe im täglichen Wirtschaften. Das hat sich heute grundlegend geändert.

Inwiefern?
Früher ging man in die Bank, um seine Kontoauszüge abzuholen, Überweisungen zu tätigen und Vordrucke wie Schecks und andere Dinge entgegenzunehmen. Die Digitalisierung, und hier insbesondere die personifizierte Digitalisierung über das Smartphone, hat das Bank-Kunde-Verhältnis maßgeblich verändert. Der Zahlungsverkehr ist nahezu digitalisiert, Auszüge werden ausgedruckt und Euroschecks sind seit 2002 abgeschafft. Die Hauptgründe für den Besuch einer Bank gibt es also nicht mehr. Natürlich gibt es noch viele Kunden, welche die Bankfiliale und den persönlichen Kontakt suchen und schätzen, aber deren Anzahl nimmt immer weiter ab.

Man hört immer wieder, die bisherigen Geschäftsmodelle der Geldhäuser würden sich in Zukunft nicht mehr lohnen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Schaut man in die Bilanz einer normalen Bank, finden sich in der Vergangenheit zwei Positionen, welche einen großen Teil des Gewinns liefern: Zinserträge und alles was sich um Zinserträge dreht und Erträge aus dem Zahlungsverkehr. Beide Positionen haben sich mehr als halbiert. Die Luft des bisherigen Geschäftsmodells wird dünn. Ich glaube, dass Banken in den kommenden zehn Jahren an einen Punkt gelangen, an dem sie nur noch 20 Prozent ihrer Erträge mit dem heute bekannten Geschäftsmodell erzielen. Was Banken bisher gewohnt sind, wird verschwinden. Nur die Bank, die bereit ist, sich neu zu erfinden, wird überleben. Wie die neuen Geschäftsmodelle aussehen werden, entscheidet das Konsumverhalten der Kunden, gepaart mit der Innovationskraft der Geldinstitute.

Bisher fand Digitalisierung in Banken sehr stark auf Ebene des Backoffices statt, etwa indem man Bankprozesse wie Zahlungsverkehr oder Wertpapierhandel optimierte. Inzwischen erreicht die Digitalisierung aber auch das Frontend, zum Beispiel in Form von Multichannel-Banking. Haben die Banken diesen Trend erkannt?
Optimierung ist der Feind der Innovation. Wenn es darum geht, sich neu zu erfinden, darf ich Bestehendes nicht optimieren. Banken müssen beginnen, ihren Prozess einmal komplett von der sich veränderten Kundenseite anzuschauen. Die Bedürfnisse, Lebensumstände und die sich verändernde Welt, in der wir leben, wird das Geschäftsmodell Bank verändern. Vor 11 Jahren wurde das Smartphone erfunden und seit etwa fünf Jahren ist es in unserer Welt so richtig angekommen. Eine kleine Bank, die als Fintech mit einer ausgeliehenen Banklizenz in Berlin gestartet ist, ist heute eine erfolgreiche Bank mit mehr als einer Million Kunden in Europa. Mit einem kostenlosen Girokonto und superschnellem und einfachem Onlinebanking hat sie es geschafft, das Thema Banking für die Generation Smartphone ziemlich perfekt umzusetzen. Dies sind die Trends, die den Bankensektor in Zukunft maßgeblich prägen werden.

Wie sollten Banken reagieren, wenn sie die Digitalisierung in ihrem Sinne nutzen wollten?
Banken müssen sich zunächst noch viel stärker als bisher mit den großen Fragen beschäftigen, die außerhalb ihrer Welt passieren, dadurch aber in Zukunft indirekt auch ihre eigene Welt beeinflussen: Was passiert im Handel, im Transport, wie werden wir zukünftig reisen, warum wollen 50 Prozent der heutigen Autofahrer in den kommenden sieben Jahren kein Auto mehr besitzen? Was hat es mit der Sharing Economy auf sich?

Spüren Sie denn eine Bereitschaft zur Veränderung?
Die ist im Augenblick leider noch viel zu wenig vorhanden. Ich arbeite ja viel im Volks- und Raiffeisenbank-, sowie im Sparkassensektor, der inzwischen einen extremen Druck verspürt, auf Phänomene wie das Schließen von Filialen adäquat zu reagieren. Und manchmal denke ich mir in Meetings: Hört ihr eigentlich der Welt nicht zu? Wenn in einer Beziehung der Satz fällt „Schatz, wir müssen reden!“ ist klar: jetzt befindet man sich an einem kritischen Punkt. Ich glaube, der Erfolg von Anbietern wie Paypal, ist zum einen der Einfachheit geschuldet und zum anderen der veränderten Sichtweise von Kunden auf ihre Hausbank. Banken müssen jetzt reagieren.

Welche Möglichkeiten haben sie denn dazu ganz konkret?
Zum Beispiel, indem sie einen Service für Geschäftskunden anbieten, der Banking und Buchführung verknüpft. Mein Schornsteinfeger erzählte mir neulich, er wolle jetzt zu einer finnischen Online-Bank wechseln. Die bieten nämlich ein Geschäftskonto an, das direkt mit einem Buchführungssystem verbunden ist. Wenn Sie wie mein Schornsteinfeger jedes Jahr mehrere Tausend Rechnungen schreiben, ist das natürlich eine ungeheure Erleichterung. Den Privatkunden kann man abholen, indem man ihm Zusatzdienste anbietet, die gar nicht originäres Bankgeschäft sind, wie etwa eine freundliche und hochwertige Beratung.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Thema Open Banking? Die neue Zahlungsrichtlinie PSD 2 erlaubt es künftig Drittanbietern, Zugriff auf Kundendaten zu erhalten. Im Augenblick scheinen vor allem Fintechs das Potenzial zu erkennen. Verschlafen große Häuser den Trend?
Das Thema PSD 2 wird neue Wettbewerber in den Markt bringen, welche mit immer neuen Innovationen das bisherige Geschäftsmodell der Banken auf die neuen Bedürfnisse der Kunden anpassen. Die Frage dabei ist nur, wer ist smarter und schneller? Die Banken oder die Fintechs? Auch hier werden sich die Lösungen durchsetzen, die den veränderten Kundenbedürfnissen Rechnung tragen. Noch einmal das Beispiel Paypal. Was macht den Dienst so erfolgreich? Es sind Zusatzdienste, wie zum Beispiel der Käuferschutz, der in der Regel gut funktioniert. Das ist nur ein Beispiel für eine innovative, kundenorientierte Lösung.

Ein Dauerthema im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Finanzwelt ist die Sicherheit digitaler Geschäftsprozesse. Wie ist Ihre Meinung hierzu?
Also ich finde, das Thema Sicherheit wird vor allem hier in Deutschland latent überbewertet, vor allem aus der Sicht der Banken. Mein Eindruck ist, dass in den vielen Strategiemeetings der Banken zum Thema oftmals krampfhaft versucht wird, Antworten auf Fragen zu bekommen, die der Kunde sich vielleicht so gar nicht stellt. Grundsätzlich vertraut der Kunde in puncto Sicherheit ja den Banken. Und dass selbst neue Player sich diesen Status aneignen können, beweist ein Beispiel wie Paypal. Wenn Apple seinen Dienst Apple Pay hier anbieten würde oder sogar eine Banklizenz hätte oder wenn Facebook mit einem Bezahldienst auf dem deutschen Markt einsteigen würde, dann wäre die allgemeine Kundenakzeptanz hier wahrscheinlich weitaus größer, als die Banken glauben.

Ist das vielleicht auch ein psychologisches Problem – die berüchtigte German Angst?
Ich glaube schon. Was die gesellschaftliche Akzeptanz neuer Zahlungsmöglichkeiten angeht, sind wir, zumindest im Vergleich zu anderen Ländern, noch recht zurückhaltend. Nehmen Sie die Möglichkeit, Bargeld an Supermarktkassen abzuholen. Eine sinnvolle Geschäftsidee, da den Markt das Abholen von Geld ja selbst Geld kostet. Da ist es mir neulich passiert, dass ich einen Barcode meiner Internetbank einlösen wollte. Das funktioniert kontaktlos beim Kaufvorgang. Ihr Einkauf wird abgezogen und der Restbetrag ausgezahlt. Das war der Kassiererin aber so unheimlich, dass sie sich weigerte. Und in der Schlange hinter mir: überwiegendes Unverständnis.

Lassen Sie uns am Ende noch über einen weiteren wichtigen Akteur der Finanzbranche sprechen, der gerade ebenfalls mit veränderten Kundenansprüchen konfrontiert wird: die Versicherungen.
Ja, das ist korrekt. Ähnlich wie Banken müssen auch die Versicherungen stärker die Kundenperspektive einnehmen und entsprechend ihre Produkte anpassen. Beispiel Haftpflichtversicherung. Hier gibt es einen Anbieter aus Norddeutschland, der einen innovativen Ansatz gefunden hat, die in der Versicherungsbranche enorm hohen Vertriebskosten zu deckeln und dadurch ein sehr günstiges und effizientes Produkt anzubieten. Ein Kunde wirbt neue Kunden und beide erhalten einen Bonus. Die Schadensabwicklung funktioniert vollständig über das Smartphone. Schaden fotografieren, Daten des Geschädigten eingeben, fertig. Oder ein anderes Beispiel aus Österreich: Hier hatte ein Versicherer die Idee, einen Vertrag mit einem Mobilfunkanbieter abzuschließen. Wenn Sie dann als Skiurlauber über die Grenze fahren und sich in das Netz des Anbieters einbuchen, erhalten Sie ein Angebot, tageweise eine Unfallversicherung abzuschließen. Der Erfolg ist natürlich abhängig von der Bekanntheit des Versicherers, das ist klar. Aber grundsätzlich geht das in die richtige Richtung: Den Wunsch des Kunden analysieren und daraus ein innovatives Geschäftsmodell entwickeln.


DIRK HERRMANN ist Zukunftsdenker und Innovator. Zuletzt Geschäftsführer einer der weltgrößten Fondsgesellschaften, ist er 25 Jahre um die Welt gereist, um Antworten auf die wichtigen Fragen der Welt zu finden. Herrmann ist einer der gefragtesten Keynotespeaker zum Thema Zukunft in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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