Wettlauf um den Wasserstoff

Auf dem „1. Transferkongress Wasserstoff“ in Berlin wurde deutlich: Die deutsche Wasserstoffwirtschaft steckt noch in den Anfängen. Scharfe Konkurrenz droht aus den USA.

 

Illustration: Danae Diaz
Illustration: Danae Diaz
Mirko Heinemann Redaktion

Die Lausitz hat es der Staatssekretärin offensichtlich angetan. Die ostdeutsche Region zwischen Sachsen und Brandenburg, die über viele Jahrzehnte vom Braunkohleabbau und vom Kohlestrom abhängig war, solle der „Nukleus für eine neue Energieregion werden“, erklärte Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, als sie Ende April den „1. Transferkongress Wasserstoff“ in Berlin eröffnete. Am Standort Schwarze Pumpe soll ein Speicherkraftwerk entstehen, das mit grünem Wasserstoff betrieben wird. Es soll Strom und Wärme für alle Sektoren bereitstellen. Das erneuerbare Gas soll auch in das bestehende Erdgasnetz eingespeist werden.

„RefLau“, so die stylishe Abkürzung für das Referenzkraftwerk Lausitz, ist eines von sieben so genannten „Reallaboren der Wasserstoffwirtschaft“, die auf dem Kongress vorgestellt wurden und mit einer staatlichen Förderung für zunächst vier Jahre ausgestattet sind. In den Laboren sollen die Bedingungen für eine noch zu schaffende deutsche Wasserstoffwirtschaft erforscht werden.

Auf dem eintägigen Kongress in Berlin präsentierten Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Reallabore mit Schwerpunkt Wasserstoff vor 250 Zuhörerinnen und Zuhörern ihre bisherigen Fortschritte, sprachen über Herausforderungen und Perspektiven. Ergänzt wurde das Programm durch Impulsvorträge sowie Workshops zu den drei Themenclustern Regulierung, Normierung und Zertifizierung, Industrie und Wertschöpfungsketten sowie Gesellschaft und Beteiligung. Der Kongress wurde von der Deutschen Energie-Agentur (dena) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) veranstaltet.

„Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ist komplex, alles muss gleichzeitig entstehen“, so Franziska Brantner. Gemeint ist der gesamte Wertschöpfungsprozess – von der Produktion von Wasserstoff, dessen Speicherung,Vertrieb, Verteilung sowie dessen praktische Anwendung in ganz verschiedenen Branchen. Das Problem brachte Dirk Bessau, Geschäftsfeldleiter Energie & Klima beim Projektträger Jülich, auf den Punkt: „Wir brauchen noch Instrumente, die sehr konkret die Projekte in die reale Welt übertragen.“

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland vorn. Von 400 europäischen Wasserstoffprojekten sind allein 63 deutsche. Allein elf Prozent aller Patente rund um Wasserstoff werden von Deutschen gehalten. Hier sind die Wasserstoffexperten zu Hause, von hier stammen die besten Elektrolyseure, die Wasserstoff produzieren. Dass man sich auf diesem Pfund nicht ausruhen sollte, zeigen Zahlen, die Miranda Schreurs vorlegte. Die New Yorker Professorin, die derzeit an der TU München lehrt, erläuterte den Inflation Reduction Act der Biden-Regierung. 369 Milliarden Dollar investieren die USA in Projekte für die Energiesicherheit und die Bekämpfung der Klimakrise. Wesentliche Teile davon flössen in den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, so Schreurs. Eines der Ziele sei, den Preis für Wasserstoff auf 1 Dollar pro Kilogramm zu senken. Überdies würden enorme steuerliche Anreize für die Produktion von grünem Wasserstoff und für die Infrastruktur geschaffen, etwa für den Aufbau eines Wasserstoff-Tankstellennetzes.

»Deutschland droht in Sachen Wasserstoff den Anschluss zu verlieren.«

Der Bundesverband der deutschen Industrie BDI warnte bereits vor der scharfen Konkurrenz aus Übersee und mahnte, Deutschland drohe in Sachen Wasserstoff den Anschluss zu verlieren. Mit dem Inflation Reduction Act hätten es die USA insbesondere im Wasserstoffbereich vorgemacht, wie es gehen kann. „Steuergutschriften sind ein pragmatischer Ansatz, um schnell und unbürokratisch klimafreundliche Technik zu fördern und eine hohe Investitionssicherheit zu schaffen“, so der BDI. „So werden die USA zu einem der wettbewerbsfähigsten Orte der Welt für die Erzeugung von grünem Wasserstoff.“  Ohne eine wirksame Antwort drohe Deutschland beziehungsweise Europa beim Aufbau der Wasserstoffwirtschaft den Anschluss zu verlieren, so der Verband weiter. Es bestehe die Gefahr, dass europäische Unternehmen ihre Investitionsvorhaben verlagern, wenn die Politik nicht zeitnah praxistaugliche Rahmenbedingungen schafft.

Was diese Konkurrenz für die Zukunft der deutschen Wasserstoffwirtschaft bedeutet, wie Unternehmen angesichts dieser scharfen Konkurrenz im Land gehalten werden können, soll die Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie beantworten. Darin konkretisiert die Bundesregierung ihre Pläne, das Ziel für die heimische Wasserstoffproduktion auf zehn Gigawatt bis 2030 zu verdoppeln.

Währenddessen werden auf europäischer Ebene die rechtlichen Grundlagen geklärt, etwa zur Frage, was eigentlich grüner Wasserstoff ist beziehungsweise, unter welchen Bedingungen Wasserstoff, wasserstoffbasierte Kraftstoffe oder andere Energieträger „als erneuerbare Brenn- und Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs“ angesehen werden können. Zugleich soll klar werden, dass die aufwendige Wasserstoffproduktion nicht die bestehenden Erneuerbaren Energiesysteme einschränken darf. Hierzu müssen Elektrolyseure zur Erzeugung von Wasserstoff ausschließlich an neue Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen angeschlossen werden. Damit sollen Anreize geschaffen werden, die Menge der im Netz verfügbaren erneuerbaren Energie im Vergleich zur derzeitigen Menge zu erhöhen.

Zwar werde der Strombedarf für die Wasserstofferzeugung zunächst zu vernachlässigen sein, mit dem massiven Einsatz großer Elektrolyseure werde er bis 2030 aber stark zunehmen. Schätzungen der Kommission zufolge werden etwa 500 Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Quellen benötigt, um das für 2030 gesetzte Ziel zu erreichen: eine Erzeugung von 10 Millionen Tonnen grüner Gase. Das entspricht 14 Prozent des gesamten Stromverbrauchs in der EU.
 

Nächster Artikel