Digitalisierungsspezialist Tim Brauckmüller erklärt, warum jetzt konsequentes, zukunftsorientiertes Handeln gefragt ist und wie die zügige Transformation von Deutschlands Bildungseinrichtungen gelingen kann.
Für Tim Brauckmüller , den geschäftsführenden Gesellschafter der atene KOM aus Berlin, ist es ein besonderes Anliegen, digitale Bildung zu fördern und den Akteuren in der Bildungspolitik entsprechende Handlungsempfehlungen zu geben. Deshalb engagiert sich die atene KOM GmbH als Mitglied in der Initiative D21, zu deren Gesamtvorstand Tim Brauckmüller gehört. In diesem Rahmen ist bereits 2014 eine Studie zum Stand der digitalen Medienbildung an deutschen Schulen entstanden. Brauckmüller meint, dass nur eine Kombination aus digitalem und klassischem Lernen zukunftsweisend sein kann.
Herr Brauckmüller, nicht zuletzt durch die Schulschließungen während der Pandemie ist klargeworden: Schulunterricht muss digitalisiert werden. Ist eine komplette digitale Transformation unserer Schulen realistisch?
In der Tat ist das eine große He-rausforderung für Deutschland und seine Schulen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind viele verschiedene Schritte notwendig: Zuerst müssen Technik, Betrieb und Wartung sichergestellt sein. Wir müssen den IT-Betrieb einer Schule genauso ernst nehmen, wie den eines Unternehmens. Außerdem müssen wir die Lehrkräfte stärker einbinden, motivieren und qualifizieren. Und es braucht angepasste didaktische Werkzeuge und Methoden. Insgesamt ist das eine Menge, aber wenn alle zusammenarbeiten, kon-sequent planen und umsetzen, dann ist das leistbar.
Die technische Ausstattung und der digitale Betrieb sind das eine, die zu vermittelnden Lerninhalte das andere. Wo sollen diese dringend benötigten, digitalen Lerninhalte für alle Unterrichtsfächer sämtlicher Jahrgangsstufen und Schultypen plötzlich herkommen?
Es gibt bereits immens viele digitale Lerninhalte und unzählige Plattformen von privaten und öffentlichen Anbietern. Viele Bundesländer haben digitale Lernplattformen mit Unterrichtsmaterialien zur Verfügung gestellt. Es ist also im Prinzip genug vorhanden. Ich glaube nicht, dass es an den Inhalten mangelt, sondern nur an dem Wissen „wo kriege ich die besten Inhalte für meinen eigenen Unterricht her“ und an Einheitlichkeit. Man muss jetzt letztendlich entscheiden, welches das richtige Unterrichtsmaterial zur passenden Didaktik ist.
Sie sprechen die Lehrer an, die nun plötzlich vor einer besonderen Herausforderung stehen. Wie sollen sie am besten an diese neue Situation herangehen?
So plötzlich kommt das für die Lehrkräfte eigentlich nicht. Das Konzept des „Blended Learning“ oder auch die Herausforderung, neue didaktische Konzepte zu entwickeln, gab es in den letzten Jahren auch. Schule muss sich permanent erneuern, muss sich den neuen Rahmenbedingungen, den neuen Berufsfeldern anpassen. Das ist für einen Lehrer nichts Neues, das ist für Schüler nichts Neues, das ist für Eltern nichts Neues. Die Herausforderung besteht jetzt darin, eine neue Form der Organisation zu finden, angepasste Strukturen, weil alles eben auch von Zuhause gehen muss. Ich glaube, dass dort sehr viel Lehrerfortbildung notwendig ist, gar nicht mal, weil die Lehrer nicht wissen, wie sie den Unterricht gestalten, sondern weil sie nicht alle Möglichkeiten der neuen Technik kennen. Ergänzend werden sicherlich Multiplikatorenausbildungen erforderlich sein und die Verankerung digitaler Unterrichtsinhalte im Studium.
Ein sehr wichtiges Thema ist die Sicherheit. Wie kann man es schaffen, dass Kinder bei digitalem Unterricht zuhause vor Cyberkriminalität oder Datenmissbrauch geschützt werden?
Das ist eine sehr vielschichtige Frage, weil wir verschiedene Herausforderungen zu bewältigen haben. Zunächst können die Internetprovider mit speziellen Versionen für Schulen und Schüler für eine grundlegende Sicherheit sorgen, indem Viren-Schutz oder das Filtern bestimmter Inhalte voreingestellt sind. Datenethik ist jedoch auch ein wichtiger Punkt. Sie müssen abwägen können, welchen Inhalt ein Schüler in welcher Altersstufe kennen soll und an welchen Stellen es gefährlich wird. Es gibt dazu eine relativ umfangreiche datenethische Diskussion – auf Regierungsebene genauso, wie in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Zum Beispiel versucht die Initiative D21 auf breiter Ebene, die Unternehmen und andere gesellschaftliche Gruppen zu vereinen und genau diese Dinge zu diskutieren. Letztendlich liegt es aber in der Verantwortung der Lehrer und vor allem auch der Eltern, die Kinder nicht allein zu lassen. Wir brauchen Aufklärung auch im Unterricht, das sollte aus meiner Sicht Gegenstand von E-Learning-Inhalten und des Rahmenlehrplans sein. Es gilt tatsächlich genau hinzuschauen, um die Gefahrenstellen altersgerecht für jede Jahrgangsstufe aufzubereiten. Das ist mühsam, aber wird sich lohnen. Egal, was wir tun: Wir, und damit meine ich auch uns als Eltern, sind in der verpflichtenden Verantwortung, darauf genau zu achten.
Was meinen Sie, wie sieht die Schule 2030 aus?
Ich glaube, dass wir 2030 ein ausgewogenes Maß haben werden zwischen den Dingen, die Schüler im Selbstlernen, also sprich beim Lesen, sowie durch interaktive Medien und Tools vermittelt bekommen, und der tatsächlichen praktischen Erfahrung. Wir brauchen „Blended Learning“, also die Mischung aus digitalem und klassischem Lernen. Das ist eine Herausforderung für die Schulen und die Lehrkräfte, aber bestimmt auch ein großer Mehrwert für alle.