Als Mogli beinahe gefressen wurde

Unser Autor fährt seit über vier Jahren mit dem Motorrad durch Asien. Immer mit dabei ist seine Katze Mogli.
Illustration: Marie Urbin
Illustration: Marie Urbin
Martin Klauka Redaktion

Ich war vor einigen Jahren mit meinen Freunden auf dem Rückweg von einer Motorradreise durch Marokko, als wir am Straßenrand auf ein junges, verwahrlostes Kätzchen stießen. Vermutlich hatte es der Hunger in die kalte Nacht getrieben. Von der Mutter oder ihren Geschwistern fehlte jede Spur. Als ich sie rief, kam sie sofort auf mich zugetapst und kroch auf meinen Arm. Von dem wollte sie dann auch nicht mehr herunter. Später erfuhr ich, dass ihre Mutter von einem Auto überfahren wurde. Es lag nun an mir, über Leben oder Tod des Kätzchens zu entscheiden.

Am nächsten Morgen kam die Feuerprobe – eine Testfahrt auf dem Motorrad. Dem Kätzchen schien das nichts auszumachen. Ich hatte einen Entschluss gefasst. Ich nannte das kleine Findelkind Mogli und nahm es mit nach Deutschland.

Seit langem hatte ich davon geträumt, dem starren deutschen Alltag zu entfliehen. Sechs Monate, nachdem ich Mogli gefunden hatte, sollte es endlich soweit sein. Ob mich Mogli begleiten würde, war anfangs noch ungewiss. Bis dahin gab es jedenfalls noch viel zu üben und zu lernen! Ich nahm sie also so oft wie möglich mit. Mal mit dem Fahrrad, da reiste sie auf meiner Schulter, mal mit dem Motorrad, mal im Auto. Sie wusste bald, wo im Supermarkt das Katzenfutter steht und welche meiner Arbeitskollegen mit ihr spielen würden, was es heißt eine Nacht im Zelt zu verbringen und dass es wichtig war, in meiner Nähe zu bleiben. Und auch ich hatte eine Menge an Erfahrungen gesammelt. So stand der großen Reise – mit Sozius, der Beifahrerin Mogli, nichts mehr entgegen!

Am 24. August 2017 begann unser größtes Abenteuer: Wir brachen zusammen mit dem Motorrad, einer Honda Africa Twin XRV 750 aus dem Jahre 2000, in Richtung Dubai auf. Was danach passieren würde, wollte ich dem Universum überlassen. Mogli reiste in einem Tankrucksack, den ich extra auf ihre Bedürfnisse hin zurechtbastelte und den ich als Fahrer ständig im Blick hatte.

Mogli war eine erfahrene Co-Pilotin, hatte alle Impfungen und besaß sogar einen eigenen Reisepass. Dennoch lief längst nicht alles reibungslos ab. Zuerst ging es durch die Länder des ehemaligen Jugoslawiens. Dort durften wir nicht zusammen in Einkaufsläden hinein, um unsere Vorräte aufzustocken. Da ich Mogli aber auch nicht einfach vor der Tür anleinen konnte, musste ich improvisieren. Ich baute ihr eine kleine Höhle im Einkaufswagen und hoffte, dass sie nicht vor lauter Neugier herauskommen und sie jemand entdecken würde. Wenn das nicht klappte, dann bat ich andere Kunden mir etwas mitzubringen, oder kurz auf Mogli aufzupassen.

Glücklicherweise sah das in der Türkei ganz anders aus. Auf dem Weg dorthin wurden wir zwar noch wegen Mogli aus unserer Kabine auf der Fähre geworfen, aber spätestens ab dem Moment, an dem wir das Land betraten, zauberte die kleine Prinzessin jedem ein Lächeln ins Gesicht. Und anstelle uns den Eintritt in die Restaurants zu verweigern, erkundigten sich die Mitarbeiter teilnahmsvoll, ob Mogli auch wirklich genug gefressen hätte. Einmal bekam sie sogar ein Omelette vorgesetzt. Sie verschmähte es aber, und ich schämte mich ein wenig dafür, dass sie so wählerisch war.

In Kurdistan konnten wir aufgrund von politischen Spannungen nicht mehr im Zelt übernachten, sondern mussten ins Hotel. Außerdem wurden wir nun auch von vielen Menschen umringt, sobald wir irgendwo anhielten. Vor allem die Kinder waren völlig außer sich, ein großes Motorrad zu sehen, und als dann auch noch Mogli herauskam... Ich konnte mit Mogli nun auch nicht mehr Gassi gehen. Ein Schuhkarton schaffte Abhilfe, und mittlerweile habe ich sogar eine Toilette für sie dabei.

Der Iran stellte uns vor die bisher größte Herausforderung. Denn obwohl es das Land ist, aus dem die berühmten Perserkatzen stammen, waren dort Haustiere anscheinend bis vor kurzem gänzlich illegal. Den Menschen fehlte, trotzt überschwänglicher Gastfreundschaft mir gegenüber, jeglicher Bezug zu ihnen. Oft haben sie sich sogar vor Mogli gefürchtet! Das Schmunzeln konnte ich mir nur selten verkneifen, in Hotels wurden wir aber trotzdem nicht gelassen.

Aber im Iran ist der Gast ein König, ganz gleich ob persönlich oder der des Landes. So dauerte es nicht lange, bis uns Leute Schlafplätze in ihren Wohnungen anboten. Obwohl auch das im Iran leider illegal ist und hart bestraft werden kann. Aber trotzdem: Die Gastgeber schliefen auf dem Boden, während Mogli und ich in ihren Betten schliefen. Widerrede war zwecklos!

Die Grenzbeamten der Vereinigten Arabischen Emirate, unserem ersten großen Ziel, waren die ersten, die sich für Moglis Papiere interessierten. Und sie entschlossen sich, sie wegen eines fehlenden Gesundheitszertifikates nicht ins Land zu lassen. Nach ein paar bangenden Stunden schien die kleine Prinzessin mit ihrem glänzenden Fell genügend Eindruck auf die Zöllner gemacht zu haben. Jedenfalls durften wir dann doch einreisen. Schwein gehabt! Denn wir hätten auch nicht in den Iran zurückgekonnt. Dafür hätte ich zuerst ein neues Visum benötigt.

Das Universum meinte es gut mit uns. Nach sieben Monaten in Dubai setzten wir unsere Reise fort. Mein Traum, es bis ins Himalaya Gebirge zu schaffen, war zum Greifen nah. Aber erst mussten wir noch mehrere heiße Wüsten durchqueren. Und das wurde zu unserer größten Herausforderung! Unsere Tage begannen früh um 5 oder 6 Uhr. Über die Mittagszeit ruhten wir uns dort aus, wo es Schatten gab. In Pakistan mussten wir uns allerdings nach den Begleitfahrzeugen richten, die uns zwangsverschrieben wurden. Mir blieb dann nichts anderes übrig als Mogli Schatten zu spenden und sie ständig mit Wasser zu kühlen. Wenn es irgendwo Eis zu kaufen gab, habe ich ihr Eisbeutel unter ihre Decke gelegt. Außerdem habe ich ihren Tankrucksack etwas modifiziert, um die Sonnenstrahlen abzuschirmen. Mittlerweile habe ich ihr dort sogar eine kleine Klimaanlage eingebaut.

Etwa ein Jahr nach unserer Abfahrt ging mein Traum in Erfüllung. Wir erreichten das sagenumwobene Himalaya-Gebirge. Die enorme Höhe – wir fuhren bis auf knapp 5500 Meter hoch – machten der Prinzessin anscheinend nichts aus, aber dafür lauerten hier andere Gefahren auf sie. Eines Abends stattete uns ein Leopard einen Besuch ab und versuchte sich Mogli zu schnappen! Zum Glück war sie nicht draußen, sondern bei mir im Hotelzimmer, der Leopard riss nur ein Loch in das Fliegengitter. Ich starrte eine Sekunde lang in die Augen dieses faszinierenden Geschöpfes, bis ich vor Schreck aufsprang.

Wir setzten unsere Reise nach Nepal fort, bevor wir zum südlichsten Zipfel Indiens aufbrachen.

Zurzeit sind Mogli und ich wieder im Norden Indiens. Wir stehen in den Startlöchern für den Rückweg, der uns über Russ-land führen soll. Wir sind gespannt: Wie die Leute dort wohl auf Katzen reagieren werden?

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