Rätselhafte Reaktionen

Vor allem in den Industrienationen schnellt die Anzahl der Allergiker in die Höhe, jeder dritte Deutsche zählt bereits dazu. Die Medizin arbeitet fieberhaft an Prävention und Therapie.
allergien
Illustration: Maria Martin
Julia Thiem Redaktion

Bei mir fing alles im Urlaub an: Im Hotel gab es dieses gut riechende Bio-Shampoo, von dem ich mir gleich einen Vorrat bestellen wollte, weil ich so begeistert war. Mein Körper war es offensichtlich nicht. Denn nach etwa drei Tagen bekam ich Ausschlag im Gesicht. Dass es tatsächlich eine allergische Reaktion auf das Shampoo war, genauer gesagt auf eines der Tenside im Shampoo, sollte ich allerdings erst rund ein Jahr später erfahren. So lange dauerte es, bis sich endlich ein Arzt die Mühe machte und mit mir auf Spurensuche nach der Ursache für meine immer wieder anschwellenden Augen ging. 

 

Allergien sind nicht neu. Überlieferungen zufolge litt schon Britannicus, der Sohn des römischen Kaisers Claudius, unter einer Pferdehaarallergie, die sich mit rotem Hautausschlag im Gesicht bemerkbar machte. Doch was früher eine Seltenheit war, hat sich insbesondere in den Industrienationen in den letzten Jahrzehnten zu einer Volkskrankheit entwickelt. Allein in Deutschland leiden laut Schätzungen zwischen 25 und 30 Prozent der Bevölkerung an einer Allergie. Besonders hoch sind die Zahlen bei Kindern und Jugendlichen, wo mittlerweile etwa die Hälfte eine so genannte Sensibilisierung aufweist. Diese muss zwar nicht zwangsläufig auch zu Symptomen führen, dennoch sind die Zahlen alarmierend. 

 

Ursache unbekannt

 

Auf die Frage, warum vor allem in den Industrie-nationen immer mehr Menschen an Allergien leiden, hat auch die Forschung noch keine eindeutigen Antworten gefunden. Es wird vermutet, dass sowohl genetische Parameter als auch Umweltfaktoren eine Rolle bei der Verbreitung von Allergien spielen. 

 

Als „Detektivarbeit“ bezeichnet auch Dorothea Wieczorek ihren Job. Die Oberärztin an der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie der Medizinischen Hochschule Hannover weiß, wie wichtig es ist, sich Zeit für die Patienten zu nehmen und dabei die richtigen Fragen zu stellen: „Wir hatten schon Patienten, die auf die Beschichtung ihres Golfschlägers oder auf Substanzen im Innenpolster eines Fechthelms reagiert haben. Darauf müssen Sie erst einmal kommen.“ 

 

Solche Kontaktallergien gehören zu den so genannten Typ-IV-Allergien, auch Spättypallergien genannt, da die Symptome in der Regel erst zwei bis drei Tagen nach dem Kontakt zur allergieauslösenden Substanz, dem Allergen, einsetzen. Genau das macht es so schwierig für Arzt und Patient, das Allergen auch wirklich zu identifizieren. Hat man einen Verdacht, kann die Typ-IV-Allergie dann mit Hilfe eines Epikutantests nachgewiesen werden. Hierfür werden verschiedene Allergenlösungen auf den Rücken aufgetragen, um dann nach 48 beziehungsweise 72 Stunden zu schauen, welche Substanzen eine Reaktion ausgelöst haben. 

 

Allergene meiden

 

Für die Betroffenen ist es meist eine Erlösung endlich zu wissen, welches Allergen die unangenehmen Symptome verursacht. Etwas gegen diese Überreaktion des Immunsystems tun können sie aber nicht. Einzige Option für Typ-IV-Allergiker ist, das Allergen zu meiden. In meinem Fall heißt das etwa, Shampoos und Seifen mit einem bestimmten Tensid nicht mehr zu benutzen. Für manche Patienten kann es aber bedeuten, dass sie sogar ihren Job nicht mehr ausüben können, wie Dorothea Wieczorek erklärt: „Ekzeme sind tatsächlich die häufigste gemeldete Berufserkrankung in ganz Europa. Besonders gefährdet sind Berufsgruppen, die häufig mit Metallen, Duft- und Farbstoffen oder Chemikalien in Kontakt kommen.“ 

 

Neben der Typ-IV-Allergie tritt die Typ-I-Allergie besonders oft auf. Zu diesem Soforttyp zählen rund 90 Prozent aller Allergien, darunter auch die bekanntesten gegen Pollen, Hausstaub oder Tierhaare. Bei einer Typ-I-Allergie bildet das Immunsystem das Immunglobulin E als unmittelbare Reaktion auf das Allergen. Das ist ein Antikörper, dessen eigentliche Aufgabe es ist, Parasiten im Inneren des Körpers abzuwehren. Das Immunsystem antwortet also auf eine vermeintlich harmlose Substanz mit einer unverhältnismäßigen Schutzreaktion, die sofort zu den typischen Beschwerden wie Juckreiz oder geschwollenen Schleimhäuten führt. 

 

Hyposensibilisierung als Therapie

 

Auch für Typ-I-Allergiker gilt: Der beste Schutz ist, das Allergen zu meiden. Bei Hausstaub oder Pollen ist das natürlich kaum möglich, weshalb es neben der symptomatischen Therapie mit Antihistaminika oder Akupunktur als alternativer Methode auch die Möglichkeit einer Hyposensibilisierung gibt. Hierfür wird das Allergen entweder in steigender Dosis subkutan unter die Haut gespritzt oder sublingual als Tropfen oder Tablette unter die Zunge gelegt oder geträufelt. Ziel ist es, dass sich das Immunsystem an das Allergen gewöhnt und die Bildung der Antikörper reguliert. Eine vollständige Heilung ist aber auch mit der Hyposensibilisierung nicht möglich. Sinnvoll kann sie trotzdem sein, da so nicht nur die Beschwerden gelindert werden, beziehungsweise für einen gewissen Zeitraum vollständig verschwinden können, auch der von Medizinern als Etagenwechsel bezeichnete Übergang zum allergischen Asthma kann mit einer Hyposensibilisierung vermieden werden. 

 

An der medizinischen Universität Wien sucht man unterdessen nach Wegen zur Allergie-Prophylaxe. Ähnlich wie in der Transplantationsmedizin ist es den Forschern dort gelungen, im Tiermodell Allergene an körpereigene weiße Blutkörperchen zu binden, um bei einem nächsten Kontakt mit dem betreffenden Allergen eine Toleranzreaktion auszulösen. Die Mäuse, deren weiße Blutkörperchen mit den jeweiligen Allergenen verbunden wurden, blieben auch nachhaltig gegenüber der Allergie resistent.

 

Bis der Mensch von diesen Erkenntnissen profitiert, wird es wohl noch eine Weile dauern. Bis dahin empfiehlt Dorothea Wieczorek eine möglichst frühe Prävention: „Wenn es möglich ist, sollten Säuglinge in den ersten vier Monaten ausschließlich gestillt werden. Und auch wenn es fast selbstverständlich ist, sollten Kinder vor Schimmel, Zigarettenrauch und Abgasen geschützt werden. Wenn eine genetische Prädisposition vorhanden ist, sollte man sich zudem überlegen, ob der Kontakt zu Felltieren nicht eher gemieden wird, um das Allergierisiko nicht unnötig zu erhöhen.“

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