Mehr als Umweltschutz

Wer heute nachhaltig sagt, meint damit oft etwas unscharf den Schutz der Umwelt. Doch der Begriff ist vielfältiger. Ein Blick auf die Ursprünge.

 

Illustration: Laura Neuhäuser
Illustration: Laura Neuhäuser
Jost Burger Redaktion

Wenn man so will, beginnt die Geschichte der Nachhaltigkeit mit dem Wald. Das zeigt zum Beispiel eine Reise in den Schwarzwald. Er macht seinem Namen alle Ehre. Wer das Mittelgebirge zu Fuß, mit dem Fahrrad oder per Eisenbahn erkundet, der dürfte sich vor allem von, nun ja, sehr viel Wald umgeben sehen. Doch das war nicht immer so. Über Jahrhunderte dienten die ursprünglichen Mischwälder des Schwarzwaldes als scheinbar unerschöpfliche Rohstoffquelle. Silber-, Zinn- und Eisenbergwerke brauchten Holz für den Stollenbau und als Brennmaterial für die Verhüttung. Starke und geradegewachsene Tannen (sogenannte „Holländer“) dienten unter anderem Häusern in Amsterdam als Gründung, Köhler zogen mit ihren Meilern von Kahlschlag zu Kahlschlag, große Städte wie Freiburg und Basel benötigten Holz zum Heizen und Bauen. Schon Ende des 18. Jahrhunderts, spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts war deshalb ein Großteil des Schwarzwaldes vor allem eins: kahl. Weide- und Landwirtschaft taten ihr Übriges, um das Nachwachsen von Bäumen zu verhindern.

Eine „unentberliche Sache“

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Schwarzwald mit Fichten aufgeforstet. Dass sie seine Landschaft bis heute prägen (mittlerweile immer öfter abgelöst durch Douglasien, die mit dem Klimawandel besser zurechtkommen), hat auch mit Hans Carl von Carlowitz zu tun. 1645 auf Burg Rabenstein bei Chemnitz geboren, wurde er 1711 zum Oberberghauptmann des Erzgebirges ernannt. Als kursächsischer Spitzenbeamter war er unter anderem für die Holzversorgung der Erzindustrie zuständig. In seinem Werk „Sylvicultura oeconomica“ von 1713 legte er als Erster systematisch dar, wie eine Forstwirtschaft so gestaltet werden kann, dass sie auch zukünftigen Generationen dient. Im Vorblatt des Buches kündigt er eine Beschreibung der Holzwirtschaft auf eine Weise an, „daß es eine continuirliche, beständige und nachhaltende Nutzung gebe“, weil sie eine „unentberliche Sache“ sei, ohne die „das land“ nicht sein könne. Sein Werk bildete die Grundlage weiterer Veröffentlichungen, die eine moderne, eben auf „Nachhaltigkeit“ ausgerichtete Forstwirtschaft etablierten.

Die Grenzen des Wachstums

Im Kern fordert von Carlowitz, mit der Ressource Wald pfleglich umzugehen. Er wendet sich gegen Raubbau und Kahlschlag, gibt Ratschläge zur begrenzten und kontrollierten Entnahme von Holz und liefert Handreichungen zu Aufforstungsprogrammen, die den Wald auch für die kommenden Generationen als Wirtschaftsgut erhalten. Wohlgemerkt: als Wirtschaftsgut, das dauerhaft genutzt wird. Lange Zeit blieb es bei dieser Bedeutung der ökonomischen Dauerhaftigkeit, die den ökologischen Aspekt – nach einer Definition die Lehre von den Wechselbeziehungen zwischen den Lebewesen, also auch den Menschen, und ihrer Umwelt – lediglich als Vehikel zur Durchsetzung wirtschaftlicher Ziele sah.

Der Schutz der Umwelt als Ergebnis- und Handlungsziel an sich rückte erst in den 1970er-Jahren in den Fokus. 1972 veröffentliche der Club of Rome – gegründet übrigens unter anderem von dem italienischen Großindustriellen Aurelio Peccei – seinen berühmten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. Der Bericht unternahm erstmals systematisch den Versuch, die Folgen ungezügelten Wirtschaftswachstums, des Raubbaus an der Natur und des weltweiten Bevölkerungswachstums für Natur und Gesellschaft global darzustellen. Ging es immer noch um (wirtschaftliche) Ressourcen, so beschäftigte sich der Bericht auch mit den sozialen Folgen fehlender Nachhaltigkeit – Armut, das Abgehängtsein ganzer Schichten und Bevölkerungsgruppen, der ungleiche Zugang zu medizinischer Versorgung oder fehlende wirtschaftliche und politische Teilhabe.

Illustration: Laura Neuhäuser
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Agenda 2030

Eine Kritik an dem Bericht lautete schon damals, dass er kommende technische Fortschritte nicht berücksichtige. Viele seiner Forderungen – wie etwa eine globale Geburtenkontrolle – schienen zu radikal, viele seiner Prognosen sind nicht eingetroffen. Doch „Die Grenzen des Wachstums“ legte den Grundstein dessen, was wir heute unter Nachhaltigkeit verstehen: ein Umgang mit den globalen Ressourcen, der ökonomische, ökologische und soziale Aspekte gleichberechtigt und miteinander verschränkt behandelt. Seinen Ausdruck findet das in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. 2015 beschlossen, definiert sie 17 Nachhaltigkeitsziele für die Entwicklung der Menschheit, die „Social Development Goals“ (SDG). Die Agenda 2030 vereint den bereits 1992 auf dem „Erdgipfel“ in Rio begonnenen Prozess zu Umwelt und Entwicklung und die Milleniumsentwicklungsziele der UN.

Schon der Begriff SDG zeigt den Fokus auf die nachhaltige Entwicklung der Menschheit, zu der neben dem Schutz des Lebens im Wasser und auf dem Land und Maßnahmen gegen den Klimawandel auch der Zugang zu sauberem Wasser, die Gleichheit der Geschlechter, Armuts- und Hungerbekämpfung, der Zugang zu bezahlbarer und sauberer Energie oder „verantwortungsvolle Konsum- und Produktions-Produktionsmuster“ gehören. Die Agenda 2030 soll die Blaupause für Maßnahmen bilden, die global, national und lokal ausgehandelt und umgesetzt werden. Über den Stand dieser Umsetzung der Agenda 2030 informiert die UN alle vier Jahre im „Global Sustainable Development Report (CSDR), dessen „Halbzeitsbericht“ für dieses Jahr geplant ist und der von unabhängigen Wissenschaftlern erarbeitet wird. Eng verbunden mit der Agenda 2030 sind auch die Klimaschutzziele des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015, dessen Umsetzung in jährlichen Sitzungen überprüft wird.

Folgenreiches Rahmenwerk

Viele Kritiker bemängeln, dass die Agenda 2030 und die Ziele der Klimakonferenz zu schleppend umgesetzt werden. In der Tat gibt es keine Weltregierung, die ihre Umsetzung anordnen könnte. Und doch hat das Rahmenwerk zu gesetzlichen Maßnahmen und politischen Zielsetzungen geführt, die 1972 noch undenkbar waren. So will die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden, Deutschland schon 2045, so sieht es die 2021 beschlossene Novelle des Klimaschutzgesetzes vor. Wer hätte es für möglich gehalten, dass das Bundesverfassungsgericht im selben Jahr Verbesserungen an der Umsetzung dieses Ziels forderte und dies mit der im Grundgesetz verankerten Verantwortung für künftige Generationen begründete?

In den 1980er Jahren, als die private Stromerzeugung per Photovoltaik erstmals in den Bereich des Machbaren rückte, war schwer vorstellbar, dass im ersten Quartal 2023 rund 50 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland aus erneuerbaren Quellen stammen würde. Die Wasserstoffwirtschaft, und mit ihr die Dekarbonisierung von Industrien wie Stahl- oder Betonherstellung, steht nach Ansicht viele Experten vor ihrem Hochlauf, in jüngster Zeit wurden Technologien zur Marktreife gebracht, die eine Erzeugung grünen Wasserstoffs im Großmaßstab ermöglichen. Übrigens gehört auch das zu den SDG der UN: Die industrielle und technologische Wirtschaftskraft der Industrieländer zu erhalten und für den Know-how-Transfer in den sogenannten globalen Süden zu sorgen, um in einer weltweiten Kooperation mithilfe grüner Technologien den Planeten für die Menschheit zu erhalten.

Mit dem Wandel leben

Grund zur Hoffnung? Das Ziel, die Welterwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird laut einer jüngsten Prognose der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in den kommenden fünf Jahren mit einer 2/3-Wahrscheinlichkeit zumindest zeitweise gerissen. Auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene wird heftig über Maßnahmen gestritten, wie die Agenda 2030 umzusetzen sei. Manche Akteure sprechen bereits davon, sich mit der Unaufhaltsamkeit des Klimawandels abzufinden, Schutzmaßnahmen wie etwa Dämme in überflutungsgefährdeten Gebieten jetzt zu bauen, um die dort lebenden Menschen in Zukunft zu schützen.

Stichwort Zukunft: Viele Science-Fiction-Autoren zeichnen das Bild einer Erde, die den Kampf gegen den Klimawandel verliert – und versucht, mit den Folgen zu leben. In Kim Stanley Robinsons Roman „New York 2140“ etwa bewegen sich die Protagonisten in einem New York, das zu großen Teilen unter Wasser steht und dessen Bewohner auf Booten die Schluchten Manhattans befahren. Zugleich ist Robinson eine einflussreiche internationale Stimme in der Klimadiskussion und Autor von „Das Ministerium der Zukunft“, von keinem Geringeren als Barak Obama zu einem seiner Lieblingsbücher für 2020 erklärt. In dem Roman agiert in Genf unter der Ägide der UN eine Art Klimaweltregierung, die die bereits eingetretenen massiven Folgen des Klimawandels zum einen mit utopischen Technologien bekämpft, zum anderen im Geheimen terroristische Aktionen gegen umweltverschmutzende Konzerne vorantreibt. Am Schluss siegt – die Hoffnung.

Nachhaltigkeit im Alltag

Doch die Hoffnung allein muss es nicht richten. Auch für den Einzelnen ist gerade im Alltag so vieles möglich. Verbraucher haben einen erheblichen Einfluss darauf, was und unter welchen Umständen Unternehmen produzieren. Zahlreiche Siegel weisen den Weg zu Produkten, die umweltfreundlich und zu sozialen Bedingungen erzeugt werden. Das Lieferkettengesetz soll dafür sorgen, dass alle Herstellungsschritte eines Produktes nachhaltige Kriterien erfüllen. Nachhaltiger Konsum, das bedeutet auch, auf fast fashion zu verzichten und die Socken zu stopfen, beim Einkauf auf recyclingfähige Verpackungen zu achten und sich dem Gedanken zu öffnen, die anstehende Klimademo mit einem Handy vom Vorjahr zu organisieren. Erholen können wir uns im Urlaub auch auf klimaschonende Weise. Und erschwingliche Technologien zur Strom- und Wärmerzeugung und zu Einsparungen im Haushalt schließlich schonen Geldbeutel, Gewissen und Ressourcen.

Da sind sie schon wieder, die Ressourcen. Der Nachhaltigkeitsbegriff hat sich erweitert, sein Grundprinzip der Ressourcenschonung und der Erhaltung der Welt für nachfolgende Generationen bleibt bestehen. Dass das funktionieren kann, das lässt sich ganz wunderbar bei einer Wanderung durch den wiederaufgeforsteten Schwarzwald beobachten.

 

Die fünf Kernbotschaften – „die fünf P” – der Agenda 2030 der UN

Menschen (People)
Wir sind entschlossen, Armut und Hunger in allen ihren Formen und Dimensionen ein Ende zu setzen und sicherzustellen, dass alle Menschen ihr Potential in Würde und Gleichheit und in einer gesunden Umwelt voll entfalten können.

Planet
Wir sind entschlossen, den Planeten vor Schädigung zu schützen, unter anderem durch nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion, die nachhaltige Bewirtschaftung seiner natürlichen Ressourcen und umgehende Maßnahmen gegen den Klimawandel, damit die Erde die Bedürfnisse der heutigen und der kommenden Generationen decken kann.

Wohlstand (Prosperity)
Wir sind entschlossen, dafür zu sorgen, dass alle Menschen ein von Wohlstand geprägtes und erfülltes Leben genießen können und dass sich der wirtschaftliche, soziale und technische Fortschritt in Harmonie mit der Natur vollzieht.

Frieden (Peace)
Wir sind entschlossen, friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften zu fördern, die frei von Furcht und Gewalt sind. Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden.

Partnerschaft (Partnership)
Wir sind entschlossen, die für die Umsetzung dieser Agenda benötigten Mittel durch eine mit neuem Leben erfüllte Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung zu mobilisieren, die auf einem Geist verstärkter globaler Solidarität gründet, insbesondere auf die Bedürfnisse der Ärmsten und Schwächsten ausgerichtet ist und an der sich alle Länder, alle Interessenträger und alle Menschen beteiligen.

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