Denken in Kreisläufen

Schon seit Langem ist klar: Unser Ressourcenverbrauch ist viel zu hoch. Die Lösung wäre ein umfassendes Wirtschaftsmodell, in dem Ressourcen durch ständige Wieder- und Weiterverwendung so lange wie möglich erhalten bleiben. Doch eine solche Circular Economy zu implementieren, ist komplex. Um zu verstehen, wie es dennoch gelingen könnte, lohnt unter anderem ein Blick nach Finnland.

 

Illustration: Vanessa Chromik
Illustration: Vanessa Chromik
Laura Puttkamer Redaktion

Wer in der nordfinnischen Stadt Rovaniemi lebt, richtet viele seiner Entscheidungen an kaltem Wetter, langen Distanzen und geringem Materialfluss aus. Kein Wunder, dass hier im arktischen Lappland eine Circular Economy entstanden ist, die inzwischen beispielhaft ist. Städte wie Rovaniemi kompostieren ihren Biomüll vor Ort, bieten Möglichkeiten für den Kleider- und Lebensmitteltausch an und unterstützen Unternehmen, die sich der Kreislaufwirtschaft verschrieben haben. Auch der Tourismus ist nachhaltig. So arbeitet die Stadtverwaltung eng mit den Sámi-Gemeinschaften zusammen, um ethische, nachhaltige Produkte für Besucher:innen zu produzieren.

Die Kemi-Tornio-Region grenzt an Rovaniemi an. Hier befinden sich viele Industrien: Etwa 80 Prozent der lappländischen Produktion findet in der Region statt. Mit dem Projekt Green Kemi unterstützt auch dieser Industriestandort die Circular Economy. Urbane Landwirtschaft, Nutzung von Lebensmittelresten, Minimalisierung von Plastik und Optimierung der Recycling-Prozesse sind nur einige der Initiativen, die hier die Wirtschaft umkrempeln sollen. Das Vorhaben wurde bereits mit dem ersten Preis als umweltfreundliche Kommune in Finnland geehrt. Auch Nachbarstädte bis in das angrenzende Schweden nehmen daran teil, die Wirtschaft kreislaufförmiger zu gestalten.

In Lappland spielt die Circular Economy aufgrund der kargen Bedingungen eine besonders wichtige Rolle. Aber auch in allen anderen Ländern fällt der Begriff immer häufiger. Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth erklärt die Circular Economy oder Kreislaufwirtschaft, wie folgt: Ressourcen bleiben für längere Zeit im Kreislauf, was die Treibhausgasemissionen minimiert und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduziert. Auch die Müllproduktion sinkt deutlich, da Wertstoffe recycelt werden.

 
Illustration: Vanessa Chromik
Illustration: Vanessa Chromik

Das Wirtschaftssystem auf den Kopf stellen
 

Die Circular Economy hat also nichts Geringeres vor, als unser Wirtschaftsmodell auf den Kopf zu stellen und effizienter sowie umweltfreundlicher zu gestalten. Dabei geht es auch um einen kulturellen Wandel weg von Produkten mit kurzer Lebensspanne hin zu einer Wirtschaft mit Synergien, Kooperationen, hoher Qualität, langlebigen Produkten, Reparaturen, Sanierungen, Instandhaltungen, Wiederverwertung, Teilen und Leasing.

Im deutschen Sprachgebrauch besteht ein Unterschied zwischen den Begriffen der Kreislaufwirtschaft und Circular Economy: Die Kreislaufwirtschaft meint die Stoffkreisläufe in der Abfallwirtschaft, die geschlossen werden sollen. Dafür erhält die Wirtschaft Abfälle als Sekundärrohstoffe und kann sie wiederverwenden. Diese werden als wertvolle Rohstoffe gesehen, die genutzt werden, um natürliche Ressourcen zu schonen. Die Circular Economy hingegen ist ein umfassendes Wirtschaftsmodell, in dem Ressourcen durch ständige Wieder- und Weiterverwendung so lange wie möglich erhalten bleiben sollen. Dabei werden Abfälle, aber auch Emissionen und Energieverluste auf ein Minimum reduziert. Dies wird möglich durch geschlossene Energie- und Materialkreisläufe.

Ungebrochener Hunger nach Rohstoffen


In Deutschland verbraucht jeder Mensch laut einer Studie des Naturschutzbunds Deutschland (NABU) etwa 16.000 Kilogramm Rohstoffe pro Jahr, wovon nur 12 Prozent aus einem zirkulären Recycling stammen. Hierzulande ist, ebenso wie in vielen anderen Ländern, ein ungebrochener Hunger nach Rohstoffen zu beobachten. Im Jahr 1970 wurden der Natur circa 27 Milliarden Tonnen Rohstoffe entnommen, 2017 waren es bereits 91 Milliarden Tonnen. Und 2060 könnten es über 160 Milliarden Tonnen sein. Deutschland entnimmt der Erde pro Jahr etwa eine Milliarde Tonnen Primärrohstoffe und importiert 0,7 Milliarden Tonnen und überschreitet mit seinem ökologischen Fußabdruck schon seit vielen Jahren die planetaren Grenzen. Wir benötigten mindestens 2,6 Erden, wenn jeder Staat der Erde so wirtschaften würde. Um den Planeten zu schützen, die Klimaziele zu erreichen und die Artenvielfalt zu bewahren, gilt es, den Rohstoffverbrauch zu reduzieren und Materialkreisläufe zu schließen.

Noch ist hierzulande also eine lineare Struktur in der Wirtschaft zu beobachten. Dies lässt sich über die Circular Material Use Rate (CMU) messen. Sie setzt Abfälle, die recycelt werden, ins Verhältnis zur Gesamtmenge an genutzten Rohstoffen. Dadurch wird deutlich, wie viele Sekundärrohstoffe zum gesamten Rohstoffbedarf beitragen. Dies ist nicht mit der Recyclingquote zu verwechseln, da bei dieser der Bezug zum gesamten Rohstoffverbrauch fehlt.

»In Deutschland verbraucht jeder Mensch etwa 16.000 Kilogramm Rohstoffe pro Jahr.«

Die CMU bietet eine standardisierte Berechnungsmethode. Obwohl nicht alle Abfälle in Sortier- und Recyclinganlagen tatsächlich wiederverwendet werden, handelt es sich um einen wichtigen Anhaltspunkt. Die EU-Kommission nutzt die CMU als einen zentralen Indikator für die Kreislaufwirtschaft. Bis zum Jahr 2030 soll diese Zahl verdoppelt werden. Im Jahr 2020 lag sie im EU-Durchschnitt noch bei 12,8 Prozent. Am höchsten ist die CMU-Rate im Bereich Metallrecycling. Hier werden etwa 33 Prozent der Rohstoffe der Wirtschaft wieder zugeführt. Rezyklate aus Biomasse machen jedoch nur acht Prozent aus und recycelte fossile Brennstoffe stellen mit drei Prozent nur einen kleinen Teil des Rohstoffbedarfs ab.

Mehr als Recycling


In Finnland sind es vor allem die günstigen politischen Rahmenbedingungen, die es den Städten ermöglichen, schon heute deutlich nachhaltiger zu agieren. Dort hat es die Regierung geschafft, durch ambitionierte Ziele unter anderem die private Wirtschaft strengen Vorgaben zu unterwerfen. So sieht das Circular Economy Programme Finland  eine Verdopplung der Ressourcen-Wiederverwertung bis 2035 vor – gemessen am Wert im Jahr 2015. Zudem dürfen im Zieljahr 2035 nicht mehr Rohmaterialien entnommen werden als 2015. So möchte das Land bis zum Jahr 2035 eine kohlenstoffneutrale Kreislaufwirtschaft erreichen.

Dabei ist zu beachten, dass eine Kreislaufwirtschaft bei Weitem nicht nur aus Recycling von Abfall besteht. Würden alle jährlichen Abfälle in Deutschland komplett recycelt werden, ließe sich die CMU-Rate von derzeit zwölf lediglich auf etwa 22 Prozent erhöhen. Das liegt zum einen daran, dass Materialien wie Kohle, Erdgas und Biomasse oft nicht für Recycling geeignet sind, da sie für andere Zwecke gebraucht werden. Zum anderen sind Rohstoffe in Produkten häufig langfristig gebunden, wie etwa Stahlträger in Gebäuden, und stehen nicht für ein Recycling zur Verfügung. Daher braucht es neben dem Recycling auch Ansätze, um weniger Rohstoffe zu verbrauchen. Hier ist die Energiewende besonders wichtig: Mehr erneuerbare Energie aus Wind und Sonne bedeutet, dass weniger fossile Rohstoffe benötigt werden. Bis 2030 ist es möglich, durch die Energiewende den deutschen Rohstoffverbrauch um etwa ein Drittel zu reduzieren.

»Letztlich ist die Circular Economy gar nicht so kompliziert.«

Weitere Ansätze, um den Rohstoffverbrauch zu senken, sind etwa die nachhaltige Nutzung von Produkten durch Secondhand-Kauf, Sharing und Reparaturen, rohstoffsparender Konsum, wie etwa weniger tierische Produkte, sowie weniger Lebensmittelabfälle und eine geringere Wohnfläche pro Kopf. Hinzu kommen der Einsatz rohstoffsparender Technologien durch Leichtbau oder Effizienzsteigerung in der Produktion, die Entwicklung einer einheitlichen Kreislaufwirtschaftsstrategie und die Festlegung verbindlicher Abfallvermeidungsziele. Die NABU-Studie betont jedoch, dass keine dieser Maßnahmen allein ausreicht, um die CMU-Rate signifikant zu erhöhen. Nur durch eine umfassende Kreislaufstrategie für Produktion und Konsum könnte die CMU deutlich steigen. Möglich wären 38 Prozent bis zum Jahr 2050. Dafür ist es nötig, deutlich mehr Rohstoffe zu recyceln und zugleich die insgesamt verbrauchte Rohstoffmenge zu halbieren.

Privaten Sektor zur Verantwortung ziehen


Die deutsche Kreislaufwirtschaft ist in den letzten Jahren stetig angewachsen. So erzielte sie im Jahr 2017 einen Umsatz von 84,1 Milliarden Euro, was einem Zuwachs von fast 20 Prozent im Vergleich zu 2010 entspricht. Über 310.000 Personen sind in der Branche beschäftigt, fast so viele wie in der Energiewirtschaft. Start-ups helfen dabei, technische Herausforderungen zu überbrücken. Und auch international bietet die Circular Economy viele Chancen. Hier kann Deutschland etwa im Bereich „Technik für die Abfallwirtschaft“ punkten.

Ein Blick nach Finnland zeigt, dass für eine gelungene Circular Economy sowohl politische als auch gesellschaftliche Akzeptanz nötig ist. Während das Mülltrennen in Deutschland bereits ohne Frage ein Teil der Kultur ist, müssen auch weitere Aspekte ein höheres Ansehen genießen. Eine Kreislaufwirtschaft benötigt Infrastruktur wie Sortier- und Aufbereitungsanlagen, Abfallbehandlungsanlagen und Deponien.

Eine Circular Economy schont nicht nur den Planeten und reduziert CO2-Emissionen, sondern führt auch zu lebenswerteren Städten, einem stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt und neuen Arbeitsplätzen. Die derzeit noch hohen Kosten müssen gesenkt werden, und Konsum- und Gebrauchsgewohnheiten müssen sich ändern. Finnland zieht insbesondere den privaten Sektor zur Verantwortung, bessere Produkte auf saubere Art und Weise zu produzieren. Dabei hat das Land erkannt, dass die Circular Economy letztlich gar nicht so kompliziert ist: Unsere Vorfahren waren Experten darin, die planetaren Grenzen zu berücksichtigen. Es ist an der Zeit, sich darauf zurückzubesinnen.
 

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