Saubere Sonne

Immer mehr Menschen setzten auf selbst erzeugten Sonnenstrom. Mit ihrer PV-Anlage planen sie die E-Mobilität der Zukunft.

Illustration: Sara Nahid Abtahi
Illustration: Sara Nahid Abtahi
Axel Novak Redaktion

An kaum einem anderen Ort prallen Vergangenheit und Zukunft so aufeinander wie auf der Autobahn zwischen Hamburg und Berlin. Die A24 ist innerhalb weniger Jahre mehrfach saniert worden. Seit kurzem wurde die Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h aufgehoben. Wer jetzt mit Tempo 110 spritsparend Richtung Hamburg fährt, erlebt rasch Begegnungen einer anderen Art: Wie Dinosaurier tauchen im Rückspiegel die Scheinwerfer fossil betriebener SUV auf, die mit geschätzten 200 km/h an einem vorbei rauschen. Das ist die Vergangenheit.

Die Zukunft dagegen liegt links und rechts der Autobahn. Photovoltaik-Module auf Brachen, auf Hallen und auf den Dächern von Einfamilienhäusern erzeugen diskret Energie. Strom für Licht, Wärmepumpen, Waschmaschinen, Industrieprozesse – und irgendwann vielleicht auch mal für diese absurd tonnenschweren Vehikel, die in Deutschland als E-Autos der Zukunft verkauft werden. Irgendwann also treffen auf der A24 Vision und Gegenwart zueinander.

PV-Anlagen lohnen sich

In den vergangenen Monaten sind die Strom- und Energiepreise explodiert. Weil sich Deutschland und die EU aus der Abhängigkeit vom russischen Erdgas lösen, werden die Energiekosten vermutlich weiterhin hoch bleiben oder steigen. Nun tut sich einiges: Der Umstieg auf erneuerbare Energiequellen wird politisch gepusht. Und immer mehr Menschen denken darüber nach, selbst zum Stromerzeuger zu werden, indem sie sich eine PV-Anlage auf das Dach setzen oder an das Balkongitter hängen.

Unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten sind Photovoltaik-Anlagen meist lohnend, vor allem, wenn man den selbst erzeugten Sonnenstrom selbst verbrauchen kann. Außerdem hat die Regierung einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt. So fällt seit Jahresbeginn bei Neuanlagen keine Mehrwertsteuer und auf Gewinne aus kleinen Solaranlagen keine Einkommenssteuer mehr an. Anlagen werden also billiger und lohnen sich schneller.

Viele Menschen haben die Vorteile längst erkannt: 2,2 Millionen Photovoltaikanlagen waren im März 2022 auf Dächern und Grundstücken installiert, mehr als 10 Prozent mehr als im Vorjahr, so das Statistische Bundesamt. Zugleich ist Solarstrom nicht nur eine Energiequelle, sondern bringt auch Gewinne. 174 Euro erwirtschafteten private Haushalte im Durchschnitt im Monat. Dazu kommen noch viele Mini- oder Plug-and-Play-Solaranlagen (Bindestriche), die sich an einer Balkonbrüstung montieren lassen und über die Steckdose Strom einspeisen. Weil viele dieser Balkonkraftwerke nicht angemeldet werden, können Fachleute ihre Anzahl nur schätzen. Sie gehen davon aus, dass eine halbe Million mittlerweile in Privathaushalten die Stromkosten drücken.

Grundsätzlich gilt: Weil die Stromkosten hoch sind und vermutlich bleiben werden, rechnet sich eine Solaranlage umso schneller, je mehr Solarstrom der Betreiber selbst verbraucht. Rechnerisch können Privathaushalte ein Drittel ihres produzierten Stroms selbst nutzen, mit einem Speicher ist sogar ein Eigenverbrauch von bis zu zwei Dritteln möglich. Künftig sollte das noch mehr werden, wenn Deutschland nämlich elektromobil unterwegs ist.

Illustration: Sara Nahid Abtahi
Illustration: Sara Nahid Abtahi

Klimafreundliche Mobilität

Dass bei Verkehr und Nachhaltigkeit etwas geschehen muss, hat schon die vorige Bundesregierung eingesehen. Nun sollen im Jahr 2030 sieben bis zehn Millionen Elektroautos in Deutschland unterwegs sein.

Dabei gibt es durchaus Bedenken. Reicht der Strom auch für Autos? Fachleute beruhigen: Durch den langsamen Anstieg der Stromer wird gerade mal drei bis 4,5 Prozent mehr Elektrizität benötigt. Rechnerisch würde der jährliche Strombedarf um ein Fünftel höher liegen, wenn sämtliche 47 Millionen Autos hierzulande elektrisch fahren, haben Deutschlands Netzbetreiber einmal ausgerechnet.

Auch die Stromnetze werden vermutlich nicht an ihre Grenze gelangen, weil alle Autos zeitgleich geladen werden. Beim Modellprojekt „E-Mobility-Allee“ in Ostfildern hat die EnBW-Tochter Netze BW untersucht, wie sich E-Auto-Besitzer beim Laden ihrer Fahrzeuge verhalten. „Die oft geäußerte Befürchtung, wonach alle E-Autos nach Feierabend gleichzeitig laden und dadurch das Netz überlasten, scheint nach dieser Erfahrung nicht realistisch zu sein“, sagte Selma Lossau, Projektleiterin bei Netze BW bei der Vorstellung des Abschlussberichts.

Dafür bietet die Elektromobilität Privatleuten Chancen, sich dauerhaft günstig und klimafreundlich fortzubewegen. Rechnerisch reichen weniger als zehn moderne PV-Module auf dem eigenen Hausdach aus, um ein Auto ganzjährig mit Strom zu versorgen. Das Kalkül setzt übliche Technik voraus: Ein E-Auto, das im Durchschnitt 2.800 kWh Strom braucht, um eine Fahrleistung von 14.000 km zu absolvieren.

Zwar schwankt die Stromerzeugung mit der Sonne je nach Gegend, Jahreszeit und Wetterbedingungen. Doch weil das E-Auto über seine Akkus als (mobiler) Speicher fungiert, kann ein durchschnittlicher Pkw mit 40 bis 50 kWh Akkukapazität Wolkenphasen mühelos überbrücken und Fahr-Strom für eine durchschnittliche Woche speichern.

Sinkende Stromkosten

Hinzu kommt, dass mehr Elektromobile künftig sogar helfen, die Preise für Haushaltsstrom zu senken. „Die Verbreitung privater Elektrofahrzeuge führt einerseits zu einer steigenden Stromnachfrage, andererseits aber auch zu einer Änderung der Struktur der Stromnachfrage. Das hat Auswirkungen auf die Konzeption der Energiesysteme und auf die Endverbraucherpreise für Strom“, so Judith Stute, die beim Fraunhofer Institut für Energieinfrastrukturen und Geothermie den Einfluss der Elektromobilität auf die Stromnetze untersucht hat. Denn Elektrofahrzeuge, die zeitlich gesteuert laden, verringern den Netzausbau und lasten bestehende Netze gleichmäßiger aus. Deshalb können die hohen Netzentgelte sinken. Außerdem verringern Batterien von Elektroautos die Treibhausgasemissionen im gesamten Energiesystem und senken so die Beschaffungskosten im Strommarkt.

Sogar auf den Autobahnen, der A24 beispielsweise, wird diese Entwicklung spürbar werden. Spätestens dann, wenn die fossilen Dinosaurier durch elektrische Nachfolger ersetzt werden. Die werden nämlich für niedrigere Geschwindigkeiten abgeregelt. Weil hohes Tempo einfach zu ineffizient ist.

Nächster Artikel