»Es gibt nicht die eine Art zu trauern«

Wie können wir möglichst natürlich mit Tod und Sterben umgehen? Interview mit dem Soziologen Dr. Thorsten Benkel.
Illustrationen: Franziska Schütz
Illustrationen: Franziska Schütz
Interview: Gunnar Leue Redaktion

 

In vielen Lebensbereichen hat es durch die kulturelle Entwicklung einen entspannteren Umgang mit den Dingen gegeben. Tod und Trauern scheinen davon aber ausgeklammert. Warum?

Trauern ist im europäischen Kulturkreis etwas unglaublich Düs-teres, wegen der über Jahrhunderte kulturell eingeübten Muster. Der Schrecken des Todes scheint sogar größer als früher, weil die alte Verheißung des Christentums, dass es nach dem Tod weitergeht, im Himmel oder sonstwie, nicht mehr funktioniert. Die Leute sagen sich, also ist der Tod doch das Ende und das macht ihnen Angst. Was völlig unplausibel ist, weil man vor der Geburt ja auch nicht gelebt hat und das niemanden stört.

 

Halten Sie Trauer, egal in welcher Form, für wichtig?

Das würde ich nicht so pauschal sagen. Wenn jemand nicht trauern möchte, weil er mit allem im Reinen ist und die Dinge zu Lebzeiten so vereinbart wurden: Warum nicht?

 

Kann man lernen richtig zu trauern?

Es gibt nicht die eine Art zu trauern, die für alle gut ist. Unsere ganze Lebensführung ist heutzutage individualisiert. Dann aber zu sagen, im Trauern werden wir uns wieder alle einig, ist illusionär. Es gibt nur ein individuelles Trauern. Manche sind am Boden zerstört, andere sagen sich, okay, der Tod gehört halt dazu. Es hängt von den Umständen ab. Beim Umgang mit Sterben, Tod und Trauer und der Frage, was würdevolle Formen dafür sind, existiert kein gemeinsamer Nenner mehr.

 

Sollte man in der Partnerschaft oder Familie, wenn ein Lebensende absehbar ist, darüber sprechen, wie getrauert wird?

Solche Gespräche werden ja geführt, aber in denen geht es weniger um Trauer, als um Detailprobleme wie die Bestattung. Man kann die Frage nach der Trauer nicht trennen von der Frage des Grabes, weil das der gesellschaftlich vorgesehene Ort fürs Trauern ist. Will man überhaupt ein Grab oder vielleicht eine Seebestattung – daraus speist sich der Umgang mit der Trauer, denn es ist ein Unterschied, ob Hinterbliebene auf den Friedhof gehen und Blumen ablegen oder ob sie die Asche des Verstorbenen als Diamant am Finger tragen. Das sind Entscheidungen, die künftig immer relevanter werden. Aus der Art der Bestattung ergibt sich die Art des Trauerns.
Gespräche über die eigene Bestattung dürften nicht allen Menschen leichtfallen.
Problematisch ist das oft zwischen den Generationen. Die Tochter, 50, will nicht mit dem Vater, 80, darüber sprechen, um nicht den Eindruck zu erwecken, den Tod herbeizureden oder aufs Erbe zu schielen.

 

Sollte man sich Hilfe holen?

Bestatter bieten sich gern als Vermittler an, aber das Angebot wird wenig genutzt. Wenn sich Kinder nicht trauen, mit den Eltern über ihre Wünsche für den Todesfall zu reden, warten sie oft ab und handeln dann, wenn es zu spät ist, nach Schema F. Manchmal ist das allerdings auch ein Segen.

 

Inwiefern?

Es kann hilfreich sein, sich vorher nicht zu sehr den Kopf zu zerbrechen, zum Beispiel wenn jemand eben nicht krebskrank ist, sondern ein fröhlicher, lebensfroher Mensch, der unerwartet stirbt.

 

Was halten Sie vom Angebot der Trauerbegleitung?

Trauerbegleiter sind keine Psychologen, sondern meistens empathische Menschen, die helfen, durch den Trauerprozess zu führen. Die muss man häufig privat bezahlen, und man weiß nie genau, ob es Erfolg bringt – genau wie bei Therapien. Trauer hat ja einen sehr temporären Aspekt, im ersten Moment empfinden Hinterbliebene alles als katastrophal. In dieser Situation fängt einen am besten ein Netz auf, das aus Routinen in der Familie und im Job besteht.

 

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