Der große Wandel

Wer Talente gewinnen und halten will, kann nicht mehr weitermachen wie bisher. Fünf Faktoren, die Unternehmen jetzt beachten müssen.

Illustratorin: Josephine Warfelmann
Illustratorin: Josephine Warfelmann
Birgit Amelung Redaktion

Das Blatt auf dem Arbeitsmarkt hat sich gewendet: Unternehmen, das erlebe ich in meinem Beraterinnenalltag,  müssen sich mittlerweile bei Kandidat:innen bewerben und nicht andersherum. Der Arbeitskräftemangel erschwert die Einstellung von Talenten und das ist nur ein Teil des Wandels, dem sich Organisationen in diesen Zeiten stellen müssen: Nachhaltigkeit, Diversität, Inklusion, KI – um einige der wichtigsten Fokusthemen zu nennen. Viel ungenutztes Talente-Potenzial liegt bei Frauen, deren Erwerbstätigkeit aktuell mit 46,8 Prozent (2021) immer noch etwa 6 Prozent unter der von Männern liegt. Das könnte vielleicht auch daran liegen, dass nur 17 Prozent der Frauen ihren Arbeitgeber female friendly finden, wie aktuell eine Studie des Marktforschungsinstituts Civey und des Wirtschaftsmagazin Strive zum Thema Frauenförderung ergab. Neben dem Hauptthema Vereinbarkeit zählen mittlerweile aber auch andere Faktoren, vor allem Frauen als zukünftige Mitarbeitende und Führungskräfte zu gewinnen. Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen darum jetzt Umdenken und mutig neue Wege gehen.

1. Wertekompass als Orientierungshilfe

Ein klares WHY und Wertegerüst zu definieren, sollte das Fundament einer jeden Organisation sein. Und damit meine ich keine vom C-Level festgelegten, generischen Wort-Hülsen und Buzz-Words, sondern gelebte Werte. Hier lohnt es sich, mithilfe eines Sparringpartners aktuelle Formulierungen zu hinterfragen und unter Einbeziehung der Mitarbeitenden individuelle, kreative Leitlinien zu definieren, die intern hohes Identifikationspotential schaffen, als strategischer Entscheidungskompass dienen und gleichzeitig auch als Absprungbrett für Branding, Marketing und Kommunikation. Im zweiten Schritt gilt es dann, diese Werte so zu aktivieren, dass sie im besten Fall auch Teil der Kundenerfahrung werden.

2. Ohne Employer Branding geht nichts mehr

Wer jetzt noch nicht in Employer Branding investiert, ist selber schuld. Denn nicht als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, kann sich wirklich niemand mehr leisten. Dabei geht es im Employer Branding – entgegen vieler Annahmen – nicht nur um Recruiting, sondern vor allem auch um die interne Aktivierung, darum, alle im Unternehmen mit auf die Reise zu nehmen. Denn gibt es bessere Testimonials als die eigenen Mitarbeitenden? Ich meine: Nein. Eine fundierte Strategie und Arbeitgeber-Positionierung ist hier der erste Schritt. Das Tolle: In der Kreation und Umsetzung sind hier noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Ich bin überzeugt: Employer Branding ist das neue Marketing.

3. Wer integral denkt, gewinnt!

Produkte, Dienstleistungen und Unternehmenskultur sollten authentischer Ausdruck der Essenz einer jeden Organisation sein. Was ist die Essenz? Was davon schaffen wir zu verkörpern und was blockiert? Genau darum geht es in der integralen Organisationsentwicklung.

Birgit Amelung ist integrale Organisationsentwicklerin (i.A.), mehrfach ausgezeichnete Kreativ-Direktorin und Gründerin der Beratungsagentur AWAKE
Birgit Amelung ist integrale Organisationsentwicklerin (i.A.), mehrfach ausgezeichnete Kreativ-Direktorin und Gründerin der Beratungsagentur AWAKE

Dieser Ansatz sorgt für Verständnis, Klarheit und Weitsicht auf allen Ebenen. Wie müsste der Zustand sein, damit sich das Potenzial voll entfalten kann? Entscheidend ist, dass dafür vier Felder gleichermaßen unter die Lupe genommen werden: Haltung / Fühlen (Innen-Ich), Wissen / Verhalten (Außen-Ich), Werte /Kultur (Innen-Wir) und Strukturen/Prozesse (Außen-Wir). Die Kunst liegt darin mitzubekommen, was wirklich dran ist und nicht nur an Prozessen zu rütteln oder schicke Marketing-Kampagnen auf den Weg zu bringen. Voraussetzung für langfristigen Erfolg und Mitarbeiterbindung ist vor allem eins: sich erstmal dem Innen zu widmen. (Dazu gehören im Übrigen auch auch die Punkte 1 und 2)

4. Lasst es menscheln!

Empathie-Vermögen, Resilienz, Dialog- und Kontaktfähigkeit sind gerade bei Führungskräften nicht mehr wegzudenken. Menschen möchten sich bei der Arbeit wohlfühlen. Laut der letzten Stepstone-Studie zum Thema Arbeitgeberattraktivität ist für Frauen ein schlechtes Arbeitsklima sogar der Hauptgrund für einen Jobwechsel. Kandidat:innen wünschen sich ein Arbeitsumfeld, was zu den persönlichen Wertevorstellungen und Arbeitsweisen passt. Das erklärt auch den anhaltenden Boom von Frauennetzwerken, denn das eröffnet die Möglichkeit für spezifischen Austausch in einem geschützten Raum. Stärkung, Lernen, persönliches und berufliches Wachstum – all das führt dazu, dass Frauen selbstbestimmer werden und ihre Wünsche klarer formulieren. Organisationen sollten sich also auch unbedingt mit frauenspezifischen Themen befassen und unterm Strich gilt für alle: Sozialkompetenz wird in Zukunft entscheidender sein als fachliche Skills.

5. Kreativität als Strategie

Ich plädiere für mehr Mut und Offenheit zur Kreativität – auch in strategisch-analytischen Umfeldern oder Prozessen. Denn um interdisziplinär zu denken, braucht es Kreativität. Stichwort: Connecting the dots. Ein Unternehmen, eine Kultur lässt sich nicht mithilfe von Analyse-Tools oder standardisierten Strategie-Prozessen neu erfinden.

Individualität ist gerade im Hinblick auf KI mehr gefragt denn je, und in Sachen Kreativität ist der Mensch jeder Software meilenweit voraus. Das gilt es zu fördern! Wichtig ist es also für Organisationen, Räume zu schaffen, die unsere Kreativität anregen. Das kann mithilfe von Techniken wie zum Beispiel „Lego Serious Play“ gelingen. Das ist kein Spielzeug, sondern eine innovative Problemlösungs-, Kommunikations- und Kreativmethode und ein höchst effektiver Prozess für Strategie-, Produkt- oder Teamentwicklung. Zum anderen hat auch der physische Raum eine enorme Bedeutung, denn unsere Wahrnehmung zahlt aufs Denken ein. Arbeitsräume sollten daher so konzipiert sein – am besten auch unter Einbeziehung der jeweiligen Teams – dass alle möglichst motiviert, produktiv und kreativ sein können. Denn am Ende beginnt jede Innovation mit einer Idee.

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