Arbeiten wir zu wenig?

Angesichts der aktuellen Debatte um die Zunahme von Teilzeitbeschäftigungen könnte man den Eindruck bekommen, Deutschland sei ein Land der Faulpelze.

Illustratorin: Josephine Warfelmann
Illustratorin: Josephine Warfelmann
Mirko Heinemann Redaktion

Wieder einmal ging es gegen Lehrerinnen und Lehrer. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, formulierte seine Forderung mundgerecht in der Bild-Zeitung: „Lehrer-Beamte müssen in schwierigen Zeiten wieder in Vollzeit rein!“ Hintergrund: An den allgemeinbildenden Schulen war die Teilzeitquote im letzten Schuljahr auf den höchsten Wert der vergangenen zehn Jahre geklettert: Knapp 41 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer arbeiteten laut Statistischem Bundesamt nicht in Vollzeit, darunter waren besonders viele Frauen. Landsberg weiter: Für ihren Beamtenstatus würden die Lehrer und ihre Familien ein Leben lang alimentiert. „Da darf man erwarten, dass sie sich voll einbringen.“

Tatsächlich ist der Mangel an Lehrpersonal an den Schulen augenscheinlich. Hohe Ausfallraten, Überforderung, hoher Krankenstand – dazu kommt die Verschärfung der Lage durch den fehlenden Nachwuchs. Mehr als 12.000 Stellen sind nach Angaben aus den Ländern bereits jetzt unbesetzt. Da liegt es nahe, sich diejenigen vorzuknöpfen, bei denen noch Arbeitspotenziale zu heben sind.  

Dabei rankt sich die Debatte nicht nur um die Lehrer. Der Anteil der Teilzeitarbeit nimmt in allen Branchen zu, und nicht nur bei den Frauen. In der traditionell eher männlich dominierten IT-Branche arbeiten mehr als ein Viertel der Beschäftigten in Teilzeit. Dazu kommt der zunehmende Arbeitskräftemangel. Unternehmen ringen um die Besetzung ihrer offenen Stellen, vom Handwerker bis zur Akademikerin. Sie preisen familienfreundliche Arbeitszeiten an, die ausgeglichene Work Life Balance, die Option, einen oder mehrere Tage pro Woche im Home  Office zu verbringen, wenig reisen zu müssen oder eben in Teilzeit zu arbeiten. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen von den Möglichkeiten der schönen neuen Arbeitswelt nur allzu gern Gebrauch machen. Für den Boulevard scheint ausgemacht: Die Millenials – das ist die faule Generation.

Nun ist es wahrscheinlich in der Menschheitsgeschichte immer schon so gewesen, dass sich die Älteren über die angebliche Faulheit der Jüngeren beschwerten. „Faulpelz“ – das war früher schon das Lieblingsschimpfwort aller Meister in den Ausbildungsbetrieben. Wer morgens „verschlafen“ hatte, also später als um Punkt Sieben in den Betrieb kam, durfte nach Feierabend die Werkstatt kehren. Heute dürfen Unternehmen sich glücklich schätzen, wenn morgens überhaupt noch jemand kommt. Laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag DIHK war es noch nie schwieriger für die Betriebe, geeignete Azubis zu finden und noch nie haben Unternehmen dafür größere Anstrengungen unternommen. Sie werben um Nachwuchs mit der Aussicht auf flache Hierarchien und modernste IT-Technik. Fast die Hälfte der Ausbildungsbetriebe in der Gastronomie, wo es kein Home Office gibt, wollen ihre Attraktivität durch finanzielle Anreize steigern. Dennoch konnten mehr als vier von zehn Ausbildungsbetrieben 2021 nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. Und von diesen Unternehmen hat mehr als jedes dritte keine einzige Bewerbung erhalten. Gut, in der Corona-Pandemie kamen noch besondere Bedingungen dazu: Berufsorientierung, Berufsberatung und Ausbildungsplatzsuche waren erheblich erschwert. Auch bei den ausgeschriebenen Stellen für Qualifizierte herrscht Flaute. Das Angebot, in Teilzeit arbeiten zu dürfen, ist häufig das letzte Mittel, um überhaupt noch eine offene Stelle zu besetzen.

Aber muss das wirklich so schlimm sein? In der Realität wird reduzierte Arbeitszeit vielfach mit mehr Effizienz und Motivation ausgeglichen. Das Bild vom fleißigen Vollzeit-Bauarbeiter relativiert sich, wenn fünf Männer rauchend um einen herumstehen, der sich in der Grube mit dem Spaten abrackert. Und im Vollzeit-Büro nach der ausufernden Mittagspause nur noch der Ausflug am Wochenende oder der nächste Urlaub geplant wird.

Das soll aber nicht heißen,  dass die Klischees von den faulen Deutschen stimmen: Gearbeitet wird an allen Ecken und Enden. Muss ja. Denn wer keine Handwerker mehr findet, muss die Wohnung oder das Haus selbst renovieren. Dazu passt der Boom der Heimwerker-, Bau- und Gartenmärkte. Wer keinen Gärtner findet, muss selbst schneiden, hacken, schreddern. Und wer sich dieser Tage auf die Suche nach einer Haushaltshilfe, Putzkraft oder Kinderbetreuung begibt, macht den Job besser gleich selbst. Das spart die Zeit der erfolglosen Suche. Macht aber Arbeit, die dann wiederum mittels Teilzeit im Hauptjob aufgefangen werden kann. Ein Teufelskreis.

Immerhin: Klagen über die fehlenden sozialen Kompetenzen und mangelnden schulische Vorkenntnisse der Generation Z, die lange gebetsmühlenartig von den Unternehmen vorgetragen wurden, sind weitestgehend verstummt. Auch die Skepsis gegenüber den Ansprüchen der Millenials, die sich kreative und sinnvolle Arbeit als wichtiges Kriterium bei der Auswahl ihrer Arbeitgebenden ansieht, ist gewichen. Stattdessen sind es die Unternehmen selbst, die sich an Werten ausrichten, die Umweltbewusstsein, soziales Engagement, Gesundheit und Teamgeist groß schreiben. Dazu kommt die „Sinnhaftigkeit“, dieser große Wert, der in Zeiten globaler Herausforderungen wie Krieg und Klimakrise über allem zu schweben scheint.

Über fehlende Sinnhaftigkeit kann im Lehrerberuf wohl kaum geklagt werden. Was kann es Sinnvolleres geben, als der nächsten Generation das Handwerkszeug zu vermitteln, selbstbewusst und kompetent ihr Leben zu meistern? Diese wunderbare Grundmotivation durch Zwang konterkarieren zu wollen, etwa den Zwang, die Teilzeit auszuhebeln, das kann wohl kaum der richtige Weg sein, um Nachwuchs für diesen Beruf zu begeistern.

Vielleicht sollte man vielmehr auf die Arbeitsbedingungen der Lehrerinnen und Lehrer schauen. Auf die häufig maroden Schulen, die schlechte Ausstattung vieler Lehrerzimmer. Den Lärm, den sozialen Stress, das Trommelfeuer der Kommunikation mit Kindern, Eltern, Kolleginnen und Kollegen. Die frühen Arbeitszeiten. Das gern gefütterte Klischee von den langen Ferienzeiten, das in Wahrheit nur eine Konstruktion ist. Dann wird man einsehen, dass man diesem wichtigen Beruf gar nicht genug Wertschätzung, Freiheit und finanzielle Möglichkeiten einräumen sollte, um ihn attraktiv zu machen für diejenigen, die ihn mit Leidenschaft und Hingabe ausüben wollen.

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