Die Spur der Innovation

Die Hauptstadt Berlin gilt vielen auch in Sachen Innovation als Vorreiter. Aber stimmt das wirklich? Wie misst man Innovation? Und: Was macht Regionen innovativ?

Juliane Moghimi Redaktion

Einen Index zur Bewertung der Innovationskraft von Standorten hat das Team von der ING-DiBa um Carsten Brzeski entwickelt. Wichtigste Kriterien: der Anteil an jungen Menschen, der Anteil an hohen Bildungsabschlüssen, die Zahl der Patentanmeldungen und die Verfügbarkeit schneller Internetverbindungen. Gemessen an diesen Faktoren ist Berlin bundesweit Sieger. Von den Autoren der Studie wird die Hauptstadt gar als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung gefeiert.

Für Maik Hammerschmidt von der Georg-August-Universität Göttingen ist das zu kurz gedacht. Der Professor für Marketing und Innovationsmanagement findet, bei dieser Bewertung liege der Fokus zu stark auf dem Input. Wichtig sei aber das Ergebnis der Innovation – wobei man sich nicht ausschließlich auf die greifbaren Objekte wie etwa neue Produkttechnologien beschränken dürfe: „Oft sind heute für Unternehmen Managementinnovationen der zentrale Erfolgsfaktor, also innovative Geschäfts- und Erlösmodelle oder unkonventionelle Ansätze, um Mitarbeiter zu führen und zu motivieren. Dabei helfen weder Patente noch Internetkabel – und auch nur begrenzt junge Menschen.“

Die ING-DiBa-Studie lässt noch etwas außer Acht. Berlin ist zwar auch laut Gründungsmonitor der KfW mit 26 Gründungen je 1000 Einwohner Gründerhauptstadt. Aber bei etwa der Hälfte aller Neugründungen in Berlin handelt es sich um Notgründungen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit. „Solche Unternehmen bringen weniger radikale Innovationen hervor, beschäftigen weniger Mitarbeiter und haben größere Probleme, langfristig am Markt zu bestehen“, so die Erfahrung des Innovationsexperten Maik Hammerschmidt.

Anders gestaltet sich die Situation im Innovationscluster Hamburg. Zwar liegt die Stadt mit 25 Gründungen pro 1000 Einwohner zahlenmäßig auf Platz zwei, aber hier ist der Anteil von nebenerwerblichen Gründungen deutlich höher als in Berlin. Laut Statistik-Amt machen sie knapp die Hälfte aller Neugründungen aus. „Unter solchen Bedingungen konzentrieren sich Gründer mehr auf echte Marktneuheiten, die ein höheres Erfolgspotenzial haben als inkrementelle und möglicherweise kurzlebige Innovationen“, ist sich Hammerschmidt sicher. Ähnliches gelte auch für die Innovationscluster Rhein-Ruhr, Heidelberg-Karlsruhe-Stuttgart und München.

Der Reiz eines Innovationsindex besteht darin, dass er suggeriert: Innovationskraft kann von außen verordnet werden. Doch so einfach ist es nicht. Denn das, was an Technologien und Personal an einen Innovationsstandort verpflanzt werden könnte, bezeichnen Experten wie Hammerschmidt als „Hygienefaktoren“ - selbstverständliche Grundvoraussetzungen.

Interessant wird es, wenn Wissen ins Spiel kommt. Innovationen beginnen mit der Ausbildung der Fachkräfte, und zwar nicht nur in den technischen Bereichen. „Statt Over-Engineering brauchen wir Wissen über das systematische Management von Innovationsprozessen und darüber, wie Innovationen langfris-tig vermarktet werden können“, erklärt Hammerschmidt. Um Innovativität anzuregen, muss demnach eine Wissens-Infrastruktur bestehen, die Unternehmen, Hochschulen, Forschungsinstitute und Wirtschaftsförderungsgesellschaften miteinander vernetzt. Solche strategischen Kooperationen entstehen jedoch organisch und lassen sich kaum von außen verordnen.

Eine Stärkung strategischer Vernetzungen müsste auch die Bundesregierung betreiben, um die Innovationskraft in Deutschland voranzutreiben – etwa, indem sie Innovationsmanagement als universitäres Fach stärkt und den klugen Köpfen aus der Forschung für die Vermarktung ihrer Ideen gezielt Praktiker zur Seite stellt. Auch Geld spielt natürlich eine Rolle: In Deutschland wird nach wie vor viel zu wenig in Innovation investiert. Zudem müssen die Zugänge zu bestimmten Finanzierungsquellen dringend erleichtert werden. Sicher erhält die Bundesregierung dann im „Deutschen Startup Monitor“ eine bessere Note für ihr Engagement als das derzeitige „Ausreichend“.

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