Innovationsweltmeister Deutschland?

Das deutsche Innovationssystem hat einen guten Ruf. Dennoch gibt es Verbesserungspotenzial in den Bereichen Gründungskultur, Verwertungsstärke und Zukunftstechnologien.
Innovationsweltmeister
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Klaus Lüber Redaktion

Mit einem umfassenden Förderprogramm will die Bundesregierung das Land nun auf Kurs bringen. Werden wir demnächst Innovationsweltmeister? Ein Gespräch mit dem Innovationsforscher Rainer Frietsch.

 

Herr Frietsch, darf ich Ihnen zu Beginn eine vielleicht naive Frage stellen: Was heißt eigentlich Innovation?

 

Sehr gerne. Und ich finde die Frage auch überhaupt nicht naiv. Im Gegenteil. Der Begriff ist zwar mittlerweile fast überpräsent in unserem Alltag, ständig ist irgendjemand oder irgendetwas innovativ. Dabei wird das Wort in der Regel einfach als Synonym für „neu“ oder „toll“ verwendet. In der Innovationsforschung ist das aber höchstens ein Teil seiner Bedeutung. 

 

Was meinen Sie?

 

Es reicht nicht, einfach nur eine gute Idee zu haben, um innovativ zu sein. Nehmen wir an, Sie sind ein genialer Erfinder und haben in Ihrem Privatlabor eine fantastische Entdeckung gemacht. Solange sich niemand dafür interessiert, handelt es sich nicht um eine Innovation. Erst wenn Ihre Erfindung, Ihre Invention, andere Menschen begeistern kann und einen Markt findet, wird sie zur Innovation. Solange Ihre Idee niemanden interessiert, ist sie auch nicht innovativ.

 

Aber ist es nicht gerade ein Merkmal einer wirklich guten Idee, dass sie Interesse weckt? 

 

Das hat man tatsächlich lange gedacht. Die klassische Innovationsforschung, wie sie der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter Anfang des 20. Jahrhunderts begründete, ging vom Idealbild des kreativen Entrepreneurs aus, des genialen Unternehmers, der ohnehin die Kompetenz und das Interesse hat, seine Ideen auch zu vermarkten. Daraus entwickelte sich dann in der Folge die Haltung: Wenn man nur genug in Forschung und Entwicklung investiert, ergibt sich alles Übrige automatisch.

 

Und das stimmt heute so nicht mehr?

 

Heute weiß man, dass der Innovationsprozess um einiges komplexer ist. Offensichtlich reicht es tatsächlich nicht mehr, nur noch fleißig zu forschen und auf einen Markt zu hoffen, der die Produkte dann dankend aufnimmt. Wir sehen das zum Beispiel in der Pharmabranche. Dort haben viele Firmen mittlerweile massive Probleme, ihre Produkte zu vermarkten, zum Teil auch deshalb, weil der Markt sehr stark reguliert ist. Zum anderen ist es gar nicht so einfach, Innovationen überhaupt als solche zu erkennen.

 

Wirklich? Beim iPhone waren sich doch alle einig, oder?

 

Na ja, also zum einen muss man sagen: Solche sogenannten radikalen Innovationen, die wirklich alles verändern, die ganz eigene, neue Märkte erschaffen, sind relativ selten. In der Regel findet Innovation in sehr vielen kleinen Schritten statt. Und im Prozess des Innovierens ist das Neue, Spektakuläre oft gar nicht ohne Weiteres zu erkennen. Und zum anderen war ja auch beim iPhone zu Beginn längst nicht so klar, wie es beim Kunden ankommt.

 

Warum ist es eigentlich für eine Volkswirtschaft so wichtig, innovativ zu sein?

 

Wir innovieren, weil wir damit unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Und über diese Wettbewerbsfähigkeit können wir Einkommen generieren, das uns unseren Wohlstand sichert. Genau das versteht man unter der sogenannten Innovationsrente: Sie können einen Preis dafür verlangen, dass Sie etwas qualitativ besser oder auch anders machen oder dass Sie etwas anbieten, das ein anderer so nicht kann. 

 

Wie gut funktioniert das bei uns in Deutschland? 

 

Durchaus gut. Wobei es ganz darauf ankommt, worüber man im Detail spricht. Die Innovationskraft eines Landes ist nämlich gar nicht so leicht zu ermitteln. Es gibt zwar zentrale Kenngrößen wie der Anteil der F&E Investitionen am Bruttoinlandsprodukt. Aber damit ist im Grunde ja nur der Input beschrieben. Wirklich relevant ist am Ende ja aber der Output. Und dieser Output ist wesentlich schwerer zu messen. Man muss sich dann mit Fragen herumschlagen, was zum Beispiel genau ein innovatives von einem nicht-innovativen Produkt unterscheidet.

 

Dann möchte ich die Frage anders stellen: Was funktioniert denn gut im deutschen Innovationssystem und was weniger?

 

In Hochtechnologiebranchen wie Fahrzeugbau, Elektroindustrie, chemische Industrie und Maschinenbau gehören wir zur Weltspitze. Hier zahlt sich eine Spezialität des deutschen Systems aus, um die uns übrigens mittlerweile viele andere Länder beneiden: Die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft. Das ist eine unserer großen Stärken: Wir sind in der Lage, zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft eine Brücke zu schlagen.

 

Und wo liegen die Schwächen?

 

Beispielsweise warnt die Expertenkommission Forschung und Innovation schon seit längerem davor, dass wir neue, besonders zukunftsträchtige Technologien nicht ernst genug nehmen und deshalb nicht genug in Forschung und Entwicklung investieren. Dazu gehören zum Beispiel die Bio-, Nano-, Werkstoff-, sowie die Informationstechnologie. Man muss diese Warnung durchaus ernst nehmen, wobei ich mir hier eigentlich keine wirklich großen Sorgen mache.

 

Warum? Bei Zukunftstechnologien abgehängt zu werden, klingt als Perspektive erst einmal ziemlich beunruhigend.

 

Ja, aber es ist eben auch unsere große Stärke, gerade diejenigen Produkte oder Dienstleistungen, die man selbst nicht zur Verfügung hat, systematisch zuzukaufen und dann am Ende dennoch zu einem qualitativ hochwertigen Output zu kommen. Es mag beispielsweise so sein, dass wir im Bereich Consumer-IT gegenüber anderen Ländern deutlich ins Hintertreffen geraten sind: Wir stellen in Deutschland keine Handys mehr her, und auch keine Computer. Aber so gut wie kein Gerät, nicht einmal eine Küchenmaschine, kommt heute mehr ohne Software aus. Und hier wiederum spielen wir auf dem Weltmarkt sehr wohl eine wichtige Rolle.

 

Das ist interessant, denn immer wird ja davor gewarnt, dass sich umgekehrt andere Länder Expertise bei uns einkaufen und diese dann in erfolgreichen Produkten veredeln.

 

Ja, seit der verpassten Kommerzialisierung der deutschen Erfindung MP3 durch deutsche Firmen haftet uns ja das Image der Verwertungsschwäche an. Das Interessante ist: Eine solche Schwäche ist durch Studien eigentlich nicht nachweisbar, wir haben das vor kurzem selbst untersucht. Unser Output an innovativer Technologie ist nach wie vor sehr gut. Wir waren ja nicht umsonst lange Exportweltmeister.

 

Aber Innovationsweltmeister sind wir noch nicht.

 

Das stimmt zwar. Aber auch hier ist entscheidend, mit welchem Maß man misst. Was den absoluten Output angeht, zum Beispiel an Patenten, steht die USA aktuell an der Spitze und demnächst sicher China. In den Rankings dagegen liegen kleinere Länder wie die Schweiz und Schweden ganz weit vorne. Mit anderen Worten: Auch wir könnten theoretisch Innovationsweltmeister werden, auf die Größe eines Landes allein kommt es nicht an. Innovation ist ein relativer Wettbewerb, denn auch das Ziel des Innovierens, nämlich Einkommen und Wohlstand zu sichern, rechnet sich zunächst pro Kopf und nicht in absoluten Zahlen.

 

Also ist die Ankündigung von Bundesforschungsministerin Wanka, man wolle Deutschland zur Innovationsweltmeisterschaft führen, realistisch?

 

Johanna Wanka hat dies bei der Präsentation der neuen Hightech-Strategie der Bundesregierung gesagt. Man sollte diese Aussage also vor allem als politisches Signal verstehen: Wenn die öffentliche Hand so viel Geld in die Hand nimmt, um Innovation zu fördern – aktuell sind 14,9 Milliarden für das laufende Jahr angekündigt – dann ist das auch eine Botschaft an die Unternehmen, sich weiter zu engagieren.

 

Sie glauben also an die Hightech-Strategie?

 

Als die Regierung 2006 die erste Version des Programms vorstellte, war das tatsächlich ein großer Wurf. Plötzlich gab es die Basis für eine ressortübergreifende Kooperation. Und man hatte deutlich mehr Geld zur Verfügung. Das erste Update 2010 brachte dann die sogenannte Missionsorientierung als Neuerung, ebenfalls ein wichtiger innovationspolitischer Meilenstein, der auch Bestandteil des im letzten Jahr gestarteten EU-Programms Horizon 2020 ist. Es geht um einen Perspektivwechsel von Input zu Output, von konkreten Vorhaben zu gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen. 

 

Was heißt das konkret?

 

Es geht beispielsweise nicht mehr darum, eine Brennstoffzelle oder ein Leichtlaufreifen zu fördern, sondern moderne und effiziente Mobilität. Und mit der letzten Version der Hightech-Strategie sind noch zwei weitere wichtige Aspekte des Innovationsprozesses hinzugekommen: Transparenz und Partizipation. Man stellt sich jetzt den ganz großen Fragen: Was wollen wir überhaupt als Gesellschaft? Wie ist ein gutes Wachstum zu erreichen?

 

Kritiker sagen, das Programm würde mehr das Wollen als das Können dokumentieren. 

 

In dieser Formulierung ist das sicher eine sehr pauschale Kritik, noch dazu an einem politischen Programm, das quasi per Definition hohe Ziele stecken muss. Bezieht man diese Kritik auf die angeblich nicht vorhandene deutsche Innovationskultur, dann muss man auch hier etwas differenzierter hinschauen. Wir haben beispielsweise nach wie vor eine der höchsten Zahlen von Patentanmeldungen je Einwohner. Es stimmt allerdings auch: Risikokapital ist bei uns Mangelware, was eine große Herausforderung gerade für die bereits genannten neuen Technologien darstellt. Allerdings wird nach wie vor die Mehrheit der Innovationen aus dem Eigenkapital und dem Cashflow der Unternehmen finanziert. Außerdem findet bei uns der strukturelle Wandel der Wirtschaft häufiger innerhalb als zwischen Unternehmen statt, weshalb es zum Beispiel unsinnig ist, die Gesamtzahl der Gründungen zum Indikator für die generelle Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft zu machen.

 

Sie meinen Rankings wie den World Competitiveness Report? Dort liegt Deutschland auf einem beeindruckenden 106. von 144 Plätzen.

 

Genau. Das klingt ja erst einmal desaströs. Aber nur so lange, bis man einmal genau analysiert hat, was man daraus eigentlich folgern kann. Man kommt dann zu einem überraschenden Ergebnis: Gründungen sind, wohlgemerkt als Gesamtzahl betrachtet und nicht nur auf den Hochtechnologiebereich beschränkt, gar kein positiver, sondern im Gegenteil ein negativer Indikator. Eine großflächige Gründungswelle gibt es in der Regel nur dann, wenn die Arbeitslosigkeit steigt.

 

Also sollten wir froh sein über unseren 106. Platz?

 

So würde ich es nicht formulieren. Im Hochtechnologiebereich ist eine gesunde Start-up-Szene sehr wichtig. Und hier gibt es in Deutschland sicher noch viel Verbesserungspotenzial. Aber ich sehe auch keinen Grund, panisch zu werden. Sicher würden uns mehr Gründermentalität und eine etwas größere Bereitschaft zum unternehmerischen Risiko guttun. Aber es gibt einfach auch sehr viele Dinge, die sehr gut laufen im deutschen Innovationssystem.

 

Dr. Rainer Frietsch; Leiter des Geschäftsfelds Innovationsindikatoren am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe

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