Zukunft der Produktion

Wer die Chancen der Digitalisierung nutzen will, muss ihr Veränderungspotenzial richtig verstehen. Besonders der Mittelstand hat hierbei noch Nachholbedarf.
Illustration: Mario Parra
Illustration: Mario Parra
Klaus Lüber Redaktion

Der deutsche Mittelstand hat die Chancen der Digitalisierung noch nicht recht erkannt. Zu dieser Einschätzung jedenfalls könnte man kommen angesichts einer aktuellen Studie von KfW Research zum Einsatz digitaler Technologien für Prozesse, Produkte oder Dienstleistungen in deutschen KMU: Nur jeder vierte der 3,71 Millionen Mittelständler hat zwischen 2014 und 2016 überhaupt in Digitalisierungsvorhaben investiert. Und wenn, dann in vergleichsweise geringem Umfang. 2016 wurden 169 Milliarden Euro in Maschinen, Gebäude, Einrichtungen gesteckt, nur 14 Milliarden Euro flossen in Digitalprojekte.

Eine der Hauptursachen sieht die Studie in einem noch mangelhaften Verständnis dafür, welchen Nutzen digitale Transformationsprozesse für das eigene Unternehmen darstellen könnten. „Digitalisierungsvorhaben werden häufig nur auf die Möglichkeit von Effizienzgewinnen reduziert“, so Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW Bankengruppe, gegenüber dem Portal Produktion.de. Dabei ginge es im Kern um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. „Vor allem die vielen Kleinunternehmen hierzulande scheinen noch wenig Vorstellungen davon zu haben, welchen Nutzen digitale Technologien für ihr Geschäftsmodell haben können.“

Dabei ist genau dieses revolutionäre Potenzial ja schon lange formuliert, kondensiert im inzwischen allgegenwärtigen Begriff Industrie 4.0, der, richtig verstanden, nichts Geringeres als eine neue industrielle Revolution beschreibt. „Wir erinnern uns, die Kerntechnologie der ersten industriellen Revolution war die Mechanisierung, die der zweiten die Massenproduktion, in der dritten industriellen Revolution drehte sich alles um Automatisierung und heute haben wir es mit einer zunehmenden Vernetzung autonom agierender Systeme über das Internet zu tun“, so Henning Banthien, Generalsekretär der Plattform Industrie 4.0.

Wie sich dieser Paradigmenwechsel in der Praxis auswirkt, zeigt etwa das Beispiel des mittelständischen Unternehmens Kaeser Kompressoren. Bislang wurden dort Druckluftmaschinen verkauft. Heute überwachen Sensoren die Druckluftkompressoren beim Kundenunternehmen in Echtzeit und sammeln Daten zu Stromverbrauch, Druckluftqualität und vielen anderen Aspekten. Servicetechniker können mithilfe der Daten Wartungs- oder Reparaturbedarf voraussehen oder frühzeitig erkennen und schneller reagieren. Diese Neuerung ermöglicht Kaeser ein ganz neues Geschäftsmodell: Produkt ist nun nicht mehr das Gerät zur Herstellung von Druckluft, sondern die Druckluft selbst – inklusive des Services, der garantiert, dass der Kunde das Produkt, die Druckluft, jederzeit zur Verfügung hat.

Auch große Konzerne versuchen gerade auszuloten, welche neuen Möglichkeiten sich aus der Interaktion zwischen Kundenwünschen und neuen Fertigungstechnologien ergeben. Ein Musterbeispiel hierfür ist die 2017 gegründete Speedfactory des Sportartikelherstellers Adidas im fränkischen Ansbach. In der vollautomatisierten, von Robotern geführten Fabrik werden die Daten der späteren Nutzer dafür verwendet, die Schuhe in der Produktion optimal an die Designvorstellungen und anatomischen Eigenheiten der Träger anzupassen. Durch die direkte Umsetzung vom Entwurf in die digitalisierte Fertigung, auch unter dem Einsatz von 3D-Druckern, verkürzt sich die Produktionszeit in der Schuhherstellung dramatisch. Das macht Adidas hochflexibel in der Reaktion auf sich verändernde Kundenwünsche. Bisher vergingen etwa 18 Monate zwischen dem Entwurf eines Schuhs und jenem Moment, in dem er erstmals im Laden steht, so Firmensprecherin Mandy Nieber gegenüber der WirtschaftsWoche. In der Speedfactory soll sich die Zeitspanne auf wenige Stunden verkürzen.

Für Henning Banthien ist das Konzept zukunftsweisend. „Es beinhaltet mehrere hochinteressante Facetten: Erstens einen hohen Grad an Individualisierung, zweitens eine sehr schnelle und lokale Produktion. Und drittens: Der Kunde ist gewissermaßen Teil der Produktentwicklung geworden.“ Gestartet als Forschungsprojekt im Technologieprogramm Autonomik für Industrie 4.0 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, produziert die Speedfactory von Adidas heute den nach Maß gefertigten Sportschuh AM4 (Adidas Made For), aktuell etwa 500.000 Paar pro Jahr.

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