Go Global!

Der deutsche Mittelstand ist auf dem internationalen Parkett der Weltwirtschaft angekommen. Dabei wandeln sich die Rahmenbedingungen derzeit in hohem Tempo.
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Illustration: Giulio Castagnaro by Marsha Heyer
Mirko Heinemann Redaktion

Gewissheiten von gestern werden morgen in Frage gestellt. Die kleinen und mittleren Unternehmen reagieren flexibel und mit steigender Professionalisierung auf die Anforderungen.

 

Stresstest für den internationalisierten Mittelstand: Das China-Geschäft droht einzubrechen. Dazu kommt eine Krisenstimmung in vielen Schwellenländern, die als viel versprechende Absatzmärkte für Produkte „Made in Germany“ gelten: Brasilien, dem die Kanzlerin im Sommer einen Kurzbesuch abstattete, versinkt in einer Depression. Russland schadet mit seinem Boykott europäischer Produkte zwar vor allem sich selbst. Aber durch das Embargo der Europäischen Union ist auch hier das Geschäft massiv eingebrochen.

 

MITTELSTAND REAGIERT FLEXIBEL

 

Erstaunlicherweise sind diese Entwicklungen für den globalen deutschen Mittelstand kein großes Problem. Wie flexibel er reagieren kann, konnte man im September sehen: Der Durchbruch bei den Atomgesprächen mit dem Iran war kaum erzielt, die Empfehlung der Vereinten Nationen zur Aufhebung der internationalen Sanktionen kaum ausgesprochen, da machten sich schon deutsche Mittelständler auf den Weg in den Mittleren Osten. Die erste Wirtschaftsdelegation kam aus Baden-Württemberg. Sie wurde angeführt vom Landeswirtschaftsminister Nils Schmid persönlich. 

 

Mehr als 40 Vertreter von Mittelständlern wie Liebherr, Voith oder ZF Friedrichshafen schlossen sich an. „Baden-Württemberg war vor dem Sanktionsregime ein wichtiger Handelspartner des Iran“, erklärte Nils Schmid. 2004 wurden Waren im Wert von 474 Millionen Euro nach Iran exportiert, besonders gefragt waren Produkte aus dem Maschinen- und Anlagenbau, der Automobilbranche, chemische, elektronische und optische Erzeugnisse. „Daran möchten wir anknüpfen“, so der Minister. 

 

Die Chancen stehen gut. Jedes vierte kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) ist laut KfW-Mittelstandspanel 2015 bereits auf internationalen Märkten aktiv, mit steigender Tendenz. Die Unternehmen übertragen ihre Erfolgsgeschichte aus Deutschland auf das Ausland. Vor allem die Zulieferer der großen Konzerne aus der Auto-, Maschinenbau- oder Konsumgüterindustrie folgen ihren Auftraggebern nach Osteuropa, Asien oder nach Amerika. Schwer im Trend liegt auch Indien: Auf dem Subkontinent wird massiv in die Infrastruktur investiert. Unter manchen Ökonomen wird das Land bereits als das „neue China“ gehandelt.

 

Wirtschaftsverbände gehen davon aus, dass sich das Exportvolumen aus Deutschland von derzeit 2,4 Milliarden Euro innerhalb von zwei Jahren verdoppelt. Mittelfristig rechnen sie mit einer Steigerung auf zehn Milliarden Euro. Die Erschließung des alten, neuen Markts Iran kommt zur rechten Zeit. Denn in einem anderen Markt sieht es derzeit nicht so gut aus: China. Nach der Abwertung der chinesischen Währung Renminbi im Sommer griff die Furcht vor einem Einbruch der Gesamtwirtschaft um sich. Für Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums im Kieler Institut für Weltwirtschaft, kein Grund zur Panik. Zum einen gleiche die Entwicklung in Märkten wie USA oder Europa bislang die Einbrüche in China aus. Zum anderen sei der deutsche Mittelstand flexibel genug, mit solchen Herausforderungen fertig zu werden. „Schon die Tatsache, dass der weltmarktorientierte Mittelstand sich einst nach China ausgerichtet hat, zeigt seine enorme Flexibilität“, so Kooths. „Wer hätte vor 20 Jahren an China gedacht? Man war in der Lage, dort Kooperationspartner zu gewinnen und Märkte zu erschließen, was nicht einfach war. Das wird auch anderswo gelingen.“

 

NÄHER AN DIE LOKALEN MÄRKTE

 

Mirko Hilsheimer, China-Experte bei der KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, wendet sich vehement dagegen, den Fernen Osten abzuschreiben. „China wird weiterhin extrem wichtig sein“, so Hilsheimer. „Auch wenn das Wachstum vielleicht in Zukunft nicht mehr so stark sein wird, verfügt China über einen riesigen Markt mit ungenutzten Potenzialen. Deshalb muss die deutsche Industrie auch weiterhin in China präsent sein und sich dort Markanteile sichern.“ Laut Hilsheimer können sich neue Chancen in China für denjenigen ergeben, der ein tieferes Verständnis für die lokalen Bedürfnisse entwickelt. „In Zukunft wird es noch mehr darauf ankommen, die richtigen chinesischen Partner zu finden, aber auch die richtigen Produkte anzubieten“, so Hilsheimer. Statt deutsche Produkte auf den chinesischen Markt zuzuschneiden, könne man mit deutschem  Know-how die Qualität chinesischer Produkte verbessern und so neue Marktanteile erschließen. „Der Trend kehrt sich um: Man sucht sich lokale Partner, um deren Produkte upzugraden.“ 

 

Der BDI lobt die Flexibilität der deutschen Mittelständler. „Die meisten Produkte der deutschen Industrie konkurrieren nicht beim Preis, sondern bei der Qualität“, so BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber. Die Auftragseingänge der deutschen Industrie zeigen zudem: Das schwächere China-Geschäft wird kompensiert durch gute Nachfrage aus den USA, Großbritannien und europäischen Nachbarstaaten. BDI Hauptgeschäftsführer Kerber ruft daher zu mehr Anstrengungen auf, neue Märkte zu erschließen sowie den europäischen Heimatmarkt und die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen zu stärken.

»Internationales Denken hält Einzug bei den Mittelständlern.«

Genau das geschieht bereits: Internationales Denken hält Einzug bei den Mittelständlern, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie mit kleinen Unternehmensporträts zu den Chancen der Internationalisierung unterstreicht. Da erklärt Bertram Kawlath, CEO der Stahlgießerei Schubert & Salzer, die heute in über 40 Ländern tätig ist: „Die Herausforderungen sind gerade für ein relativ kleines Unternehmen vielfältig: Es beginnt bei der Kommunikation in vielen Sprachen, geht weiter bei der komplexen Kontrolle der Zahlen, Verrechnungspreisen und Währungsdifferenzen und endet noch lange nicht in der wichtigen Betreuung der Mitarbeiter und Kunden in aller Welt. Jedes Land hat schließlich seine eigene kulturelle Identität. Damit müssen wir umgehen können, mit Respekt und Offenheit für Neues.“ 

 

Mit der kulturellen Identität in anderen Ländern umgehen können, gehört deshalb heute zu den Basisvoraussetzungen, die international tätige Unternehmen an ihre Mitarbeiter haben. Vielsprachigkeit ist auch im Mittelstand wichtige Kompetenz, die Teams werden internationaler. 

 

NEUE CHANCEN MIT ITK

 

Neben fachlicher Kompetenz legen Mittelständler Wert auf interkulturelle Kompetenz, Soft Skills und sprachliche Kenntnisse, so die Studie „Going Global“ der Personalberatung Boyden Global Executive Search und der EBS Business School. International kompetente Führungskräfte, die fachlich und kulturell perfekt in die Branche passen, sind gefragt. 

 

Und diese Branchen werden immer vielfältiger. Abseits der klassischen Industrie tun sich neue Chancen für deutsche Mittelständler auf. Ausgerechnet die deutsche Informationstechnologie, ein zartes Pflänzchen neben der US-Vorherrschaft durch Giganten wie Google, Apple, Microsoft, punktet derzeit mit hohen Steigerungsraten im Export. So legten laut Digitalverband Bitkom im ersten Halbjahr 2015 die Exporte von ITK-Produkten und Unterhaltungselektronik gegenüber Vorjahreszeitraum um 13 Prozent auf 16,2 Milliarden Euro zu. Hauptabnehmerländer deutscher Hightech-Produkte waren Großbritannien und Frankreich. Als erstes nicht europäisches Land folgen die USA auf dem sechsten Platz. „Das Auslandsgeschäft gibt den ITK-Anbietern in Deutschland derzeit starke Impulse“, so Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Zugleich empfahl er der deutschen IT-Branche, sich stärker international auszurichten. „Zu viele KMUs beschränken sich noch auf nationales oder regionales Geschäft, und Internationalisierung heißt zu häufig allenfalls Österreich und Schweiz.“ 

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