Intelligenz erobert die Netze

KI und Blockchain haben das Potenzial, die Energiewirtschaft zu revolutionieren.
J.W. Heidtmann Redaktion

Der Megatrend, der die Zukunft der Energieversorgung wie kein anderer prägt, ist die Fokussierung auf einen zentralen Energieträger: den elektrischen Strom. Er wird in Zukunft immer mehr Funktionen übernehmen. Strom wird Autos antreiben, Lastwagen, Maschinen, Hochöfen. Noch dazu wird er nicht mehr nur in eine Richtung fließen, nämlich vom Erzeuger zum Verbraucher, sondern auch umgekehrt. Immer mehr Verbraucher werden Energieerzeuger – sei es über ihre hauseigene Solaranlage, über einen im Haus installierten Pufferspeicher, über den ans Netz angeschlossenen Akku ihres Elektroautos, eine Biogasanlage, Wärmepumpe, ein Blockheizkraftwerk oder über ihre Beteiligung an einem Bürgerwindpark.


In dieser schillernden und vielfältigen Energiewelt wird es für alle Stakeholder entscheidend darauf ankommen, den Überblick zu behalten. Die vielfältigen Energieströme müssen in die richtigen Bahnen gelenkt werden, damit sie bei den vielfältigen Verbrauchern ankommen – und zwar im richtigen Maß und in der richtigen Zeit. Die Ströme müssen verwaltet und abgerechnet werden, die Stromtrassen, Trafos, Leitungen sowie die Versorgungsinfrastruktur für die elektrische Mobilität müssen betrieben und gewartet werden.    

 

Komplexe Aufgaben – intelligente Systeme

 

Dass aus diesen Anforderungen eine extrem komplexe Aufgabenstellung erwächst, ist ersichtlich. Riesige Chancen eröffnen hier digitale Systeme, die in der Lage sind, sowohl Steuerungs- als auch Verwaltungsaufgaben zu übernehmen, die Verbräuche überwachen, Versorgungsaufgaben automatisieren und die in der Lage sind, technische Ausfälle möglichst frühzeitig vorherzusagen. An dieser Stelle kommt die KI ins Spiel, die Künstliche Intelligenz. Heute schon arbeiten Stromversorger an so genannten  Predictive-Maintenance-Lösungen, um Störungen im Stromnetz vorherzusehen und zu beheben, bevor sie tatsächlich eintreten. Dabei werden technische Daten der Geräte über eine langen Zeitraum gesammelt und von einem Algorithmus ausgewertet. Jedem Ausfall gehen Abweichungen im System voraus. Ein selbstlernender Algorithmus wird mit der Zeit in der Lage sein, aus den Daten einen abzusehenden Ausfall vorherzusagen – und ihn zu melden.


In einer Zukunft, in der Windkraft und Solarenergie die Hauptrolle in der Versorgung spielen werden, ist die „Dunkelflaute“ – ein Zeitraum, in dem kein Wind weht und die Sonne nicht scheint – zum Worst Case Szenario geworden. Künstliche Intelligenz arbeitet bereits an der Auswertung von Wetterdaten, um solche Zeiträume vorherzusagen. Auch, um die besten Standorte für Wind und Solaranlagen zu ermitteln, werden solche Algorithmen eingesetzt. In Zukunft wird das Feld der KI absehbar viel größer: Mit der zunehmenden Digitalisierung der Energiebranche wird eine Vielzahl von Geschäftsmodellen auf neuen Technologien basieren.


Über die Echtzeitdaten aus Smart Metern, vernetzten Hausgeräten und dem Ladestand von Elektrofahrzeugen ließe sich etwa der Energiebedarf in einer bestimmten Region ziemlich genau voraussagen und die Erzeugung entsprechend steuern, prophezeit IT-Experte Oliver Minor von der Unternehmensberatung Accenture. „Auf kurze Sicht realistischer ist der Einsatz von KI, um etwa Lecks in Gas- und Fernwärmeleitungen aufzuspüren oder Manipulationen an der Installation in Haushalten schnell zu entdecken, so Minor, der daraus den Schluss zieht: „IT steht im Hintergrund, im Vordergrund und im Mittelpunkt – nichts geht mehr ohne IT, gerade nicht in der Energieversorgungsbranche.“

 

KI bietet enormes Innovationspotenzial

 

Kein Wunder, dass auch die Deutsche Energieagentur dena der KI verstärkte Aufmerksamkeit widmet. Am 21. Mai lud sie rund 70 Experten aus Unternehmen, Forschungsinstituten, Politik und Verbänden nach Berlin ein, um den Einsatz von KI in der Energiewirtschaft zu debattieren. Darunter waren Vertreter des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung, von IBM sowie von mehreren Start-ups. „Künstliche Intelligenz bietet enormes Innovationspotenzial für die Energiewende“, erklärt Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung, „Nun ist es wichtig, Wissen zum Einsatz dieser Schlüsseltechnologie im Energiesektor aufzubauen und einen systematischen Austausch für Akteure aus allen relevanten Bereichen – Wirtschaft, Forschung, Politik und Start-up-Szene – zu organisieren.“


Dazu gehört auch der Einsatz der Blockchain-Technologie. Blockchain, bekannt durch die Kryptowährung Bitcoin, ist ein dezentraler Ansatz, um Daten sicher und direkt auszutauschen, zu verschlüsseln und zu speichern. So können Parteien Geschäfte direkt miteinander abwickeln, ohne dass eine vermittelnde Instanz wie eine Bank oder ein Händler nötig wäre. Auch für den Energiemarkt eröffnet die Blockchain neue Chancen. Zum Beispiel können Smart Contracts einen direkteren Austausch zwischen dezentralen Energieerzeugern und -verbrauchern ermöglichen.


Da alle bei den Transaktionen anfallenden Daten dezentral auf einer Vielzahl von Computern gespeichert werden, ist es für Cyberkriminelle kaum möglich, an die Daten zu kommen. Sie müssten sich in sehr viele Computer hacken. Allerdings steht die Blockchain bei vielen möglichen Anwendungen im Wettbewerb mit anderen digitalen Technologien, etwa dem Cloud Computing. „Die Blockchain ist vor allem da interessant, wo sie neue Prozesse und Geschäftsmodelle ermöglicht, für die es bisher keine anderen digitalen Lösungen gibt“, so Philipp Richard, Projektleiter bei der Deutschen Energie-Agentur (dena).


Zum Beispiel könnten von Smart Metern erfasste, digitale Energieverbrauchsdaten künftig zunächst  auf die Blockchain übertragen und erst nach der Freigabe durch den Kunden weitergegeben werden. Der Kunde hätte auf diese Weise mehr Kontrolle über seine Daten. „Die Zahl der Interaktionen wäre so groß und sie wären so kleinteilig, dass sich dies mit konventionellen IT-Lösungen wahrscheinlich nicht effizient bewerkstelligen ließe.“


Konkurriert die Blockchain dagegen mit in Unternehmen bereits etablierten IT-Systemen, zum Beispiel aus der Cloud, wird sie es auf absehbare Zeit schwerer haben, diese zu verdrängen, meint Richard. Im klassischen Finanzmanagement oder im Online-Einkauf setzen gerade große Unternehmen aktuell lieber auf zentrale Software-lösungen. Richard: „Blockchain hat sehr viel Potenzial, keine Frage. Aber es wäre vermessen zu sagen, die Blockchain sei der Königsweg zur Digitalisierung des Energiesystems. Ob sie anderen Technologien überlegen ist, hängt von der jeweiligen Anwendung ab.“

 

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