Die Jagd nach dem Einhorn

Unter Finanziers werden Start-up-Gründungen mit hohem Potenzial wie einst die legendären Fabelwesen gejagt. Deutschland ist ein vielversprechendes Revier.
Start-Ups
Illustration: Adrian Bauer
Axel Novak Redaktion

Es ist ein kleines Wesen, wie ein Böckchen, es ist friedlich und ganz sanft. Aber der Jäger kann ihm nicht zu nahe kommen, weil es so stark ist“, heißt es in der frühchristlichen Textsammlung Physiologus über das Einhorn. Heute, mehr als 1800 Jahre später, hat sich am Wesen des scheuen Fabelgestalten kaum etwas geändert. „Unicorns“ – Einhörner – so werden Start-ups bezeichnet, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind – leben im Verborgenen und versprechen trotz ihrer geringer Größe unglaubliche Perspektiven. Der größte Unterschied ist wohl, dass im Mittelalter Jungfrauen ausgesandt wurden, um das Einhorn zu fangen. Heut’ machen sich vor allem junge Männer auf, Einhörner aufzuspüren und auf dem Marktplatz, der Börse, meistbietend zu verkaufen.


Zum Beispiel die Samwer-Brüder von der Rocket Internet AG. Sie sind der wohl bekannteste Finanzier vielversprechender Start-up-Unternehmen in Deutschland und haben so schon manches Einhorn ausfindig gemacht. HelloFresh zum Beispiel. 2012 in Berlin gegründet, liefert HelloFresh Lebensmittel-Tüten mit Rezepten und den passenden Zutaten nach Hause. Mit dieser Idee ist das Unternehmen rasant gewachsen: Im Vergleich zu 2014 stieg der Umsatz in diesem Jahr um 400 Prozent! Nun soll es möglicherweise bald an die Börse gebracht werden. Dafür wird es aktuell mit 2,6 Milliarden Euro bewertet – zwei Milliarden Euro mehr als noch im Februar diesen Jahres. Zum Vergleich: Kuka, einer der wichtigsten Roboterhersteller der Welt, kommt bei einem Jahresumsatz von 2,1 Milliarden Euro auf einen Börsenwert in gleicher Höhe. Willkommen in der Welt der Fabelwesen!



Deutschland ist Gründerland

Traditionelles Wirtschaften scheint in der Startup-Szene nicht zu gelten. Doch die Erfolgsgeschichten innovativer Geschäftsideen sind nur die Spitze eines Eisbergs, in dem viele tausend Unternehmensgründungen unbekannt bleiben. In Deutschland starten jedes Jahr fast 900.000 Menschen in die unternehmerische Selbständigkeit, so die Bundesregierung. Ein knappes Viertel kommt mit einer Neuheit auf den Markt. Doch zum Start-up reicht das noch nicht: Sie müssen außerdem besonders jung und wachstumsorientiert sein, legt der Bundesverband Deutsche Start-ups e.V. (BVDS) als Definition fest.


Die meisten Start-ups kommen aus den Bereichen Servicesoftware (SaaS), E-Commerce und IT-Anwendungen. Anderen geht es um Medien, Finanztechnologien (FinTech), Nahrungsmittel, Spiele oder die Vernetzung im Internet der Dinge. „Start-ups sind nicht mehr aus Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Gesellschaft wegzudenken“, sagt Florian Nöll, Vorsitzender des BVDS.


Wer aber sind die Startup-Gründer? Der Verband hat seine tausend Mitglieder befragt und die Ergebnisse im diesjährigen Startup-Monitor vorgelegt. Jeder zehnte Gründer und mehr als jeder fünfte Arbeitnehmer in Start-ups stammt aus dem Ausland. Start-up-Gründer schauen positiv in die Zukunft und schaffen im Durchschnitt 17,6 Arbeitsplätze, in Berlin sogar 27,7. Sie wollen in den kommenden zwölf Monaten acht neue Mitarbeiter einstellen. Rechnerisch führt das im kommenden Jahr zu fast 50.000 neuen Stellen.

 
Auch die Finanzierung trennt sich Start-ups von klassischen Gründungen: Etwa ein Drittel der Start-ups stützt sich auf Beteiligungskapital, klassische Gründer nur zu fast sechs Prozent.  



Start-ups müssen schnell wachsen – und benötigen entsprechend Geld. Daher will die Förderbank KfW zum Beispiel in den kommenden zwei Jahren mit einer Milliarde Euro und mit Hilfe der EU rund 23.000 junge Unternehmen in Deutschland unterstützen. Startup-Finanzierungen erfolgen meist so genannten „Inkubatoren“ oder „Acceleratoren“, spezialisierte Firmen, die Beteiligungskapital zur Verfügung stellen. Mit kurzfristigen Programmen helfen sie Gründern solange, bis andere Investoren die Beteiligung und damit die Risiken übernehmen. Mittlerweile bietet fast jedes Unternehmen, das irgendetwas mit dem Internet zu tun hat, ein Accelerator-Programm an.


Hat sich das Produkt erfolgreich auf dem Markt behauptet, springen Venture Capital-Gesellschaften ein. Je erfolgreicher die Start-ups werden, desto größer können die Finanzierungsprobleme werden: Ab einem Bedarf von 50 Millionen Euro sind die deutschen Beteiligungsfonds zu klein. Daher will zum Beispiel das „Deutsche Börse Venture Network“ Unternehmen und Investoren zusammenbringen. Seit Juni aktiv, sind im September 40 Wachstumsunternehmen und 64 Investoren auf der Plattform aktiv.



Finanzierung in Millionenhöhe

Und schließlich gibt es noch einen ganz anderen Weg: Das Crowdfunding hat sich in den letzten Jahren zu einer möglichen Finanzierung für Start-ups und Unternehmen entwickelt. Spezialisierte Plattformen sammeln Geld von Privatanlegern ein, investieren in Start-ups. So können auch Privatleute mit kleinem Budget vom raschen Wachstum profitieren, tragen allerdings auch das volle Risiko.


Im internationalen Vergleich steht Deutschland mittlerweile nicht schlecht da. Nur Großbritannien, Schweden und Israel bringen mehr Start-ups hervor. In Deutschland wiederum hat Berlin die Nase vorn. Mehr als 62.000 Menschen sind in der Startup-Szene beschäftigt. Start-ups, so Nöll, „werden der Mittelstand von morgen, und ich bin sicher, dass sich unter den 6.000 Start-ups in Deutschland heute schon Weltmarktführer von morgen befinden“. Doch davor liegen der Ausstieg aus der Gründungsphase und der Einstieg in die klassische Unternehmensfinanzierung. Eine Möglichkeit ist der Börsengang. Und schon in der Vorbereitung dazu werden die Unternehmen mit glänzendsten Perspektiven ausgestattet, um soviel Kapital wie möglich anzuziehen. Übersteigt ihr geschätzter Wert die Milliardengrenze – wie jüngst HelloFresh binnen weniger Wochen –, dann wird aus der Startup ein Einhorn. Aktuell gibt es weltweit nur 122 dieser seltenen Exemplare. 13 davon stammen aus Europa, vier aus Deutschland. Drei von ihnen haben die Jungs von Rocket Internet aufgespürt. Sie müssen nun in der Reifephase beweisen, dass in ihnen tatsächlich magische Kräfte stecken.

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