Der schwere Weg

Eine E-Revolution in der deutschen Automobilbranche bleibt aus. Das liegt nicht nur daran, dass die großen Konzerne so schwerfällig sind. Die Mobilitätswende ist höchst komplex.
Illustration: Sören Kunz
Illustration: Sören Kunz
Kai Kolwitz Redaktion

Dyson will auch mitmachen. Das britische Unternehmen hat vor nicht allzu langer Zeit verkündet, man wolle bis 2020 ein eigenes Elektroauto auf den Markt bringen. Bisher war der Konzern zwar vor allem für Staubsauger und Handtrockner bekannt – und eine vollmundige Ankündigung ist noch kein fertiges Produkt. Aber sie illustriert eine Herausforderung, der sich die klassische Autoindustrie stellen muss: Wenn sich Antriebstechnologien ändern, dann können Wettbewerber ins Spiel kommen, die bei Verbrennungsmotoren keine Chance gegen die etablierten Hersteller hätten.

Dass Dinge in Bewegung gekommen sind, lässt sich allerorten spüren. Die diesjährige IAA zeigte Autobauer in der Defensive. Man befinde sich innerhalb eines rasanten Wettlaufs, sagte Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie bei der Eröffnung. Und: Nicht alle Fragen könne man heute schon beantworten.

Da wäre etwa die nach der Zukunft des Diesels, dessen Image ramponiert ist von Abgasaffären und Diskussionen um die Luftqualität in den Städten. Oder die, ob sie denn nun kommen wird, die elektrische Revolution. Zwar wird das Fahren mit Strom von vielen gepriesen. Doch in der Realität sehen die potenziellen Käufer auf Reichweiten, Ladezeiten und Lademöglichkeiten – und entscheiden sich doch wieder für einen Verbrenner, gerne als großes, schweres SUV.

Das, was die deutschen Hersteller auf der IAA zeigten, trägt diesem schwer kalkulierbaren Marktumfeld Rechnung. Zwar sah man allüberall Studien und Prototypen elektrisch angetriebener Fahrzeuge. Doch vor 2019 wird kaum etwas davon auf den Markt kommen, was man auf der Messe sehen konnte, fühlte sich meist merkwürdig futuristisch und jenseitig an. Und bei den in näherer Zukunft kaufbaren Modellen dominierten Fahrzeuge wie BMWs Riesen-SUV X7 oder Mercedes-AMGs limitierter Hyper-Sportwagen Project One. Autos, die mit ihren mehr als 1000 PS so gar nicht in den nachhaltigen Zeitgeist passen wollen.

Deutsche Post geht voran

Wer wahre Innovation erleben will, scheint anderswo nachsehen zu müssen. Bei der Deutschen Post zum Beispiel, wo man gemeinsam mit der Technischen Hochschule Aachen einen eigenen Elektro-Transporter entwickelte – nachdem man mit seinen Wünschen bei den etablierten Herstellern zuvor auf wenig Interesse gestoßen war, wie Verantwortliche die Motivation heute beschreiben.

Dabei ist die Auslieferung von Paketen und Briefen schon heute der perfekte Anwendungsfall für die Elektromobilität. Die Länge der Touren ist bekannt, damit lassen sich benötigte Reichweiten genau kalkulieren. Und jeden Abend können die „StreetScooter“ genannten Gefährte bei der Post an die Ladestationen gehängt werden, bis zum Morgen sind die Akkus wieder voll. Die StreetScooter GmbH berichtet von regem Interesse anderer Kunden. Ermutigt durch den bisherigen Erfolg will man sich nun auch an die Entwicklung eines Pkw mit Elektroantrieb machen.

Allerdings muss man sagen, dass die Lage für einen Konzern wie Mercedes oder VW komplexer ist als für ein Start-Up in der Nische. Wer viele tausend Arbeitsplätze erhalten will, der kann sich nicht komplett auf eine neue Antriebstechnik konzentrieren, die derzeit noch zu wenige Kunden haben wollen. Und fairerweise gehört auch dazu, dass Verbrauchswerte und Schadstoffausstoß moderner Autos auch jenseits aller unbestreitbaren Tricksereien heute deutlich besser sind als in den Achtzigern oder Neunzigern – von der Sicherheit im Fall eines Unfalls erst gar nicht zu reden. Eine große, schwere Luxuslimousine, die sich auch in der Praxis mit sechs bis sieben Litern Treibstoff auf hundert Kilometern bewegen lässt? Davon konnten BMW- oder Mercedes-Käufer vor 20 Jahren nur träumen.

Die Autobauer sind nicht untätig

Außerdem tun die Autobauer durchaus Dinge, die Mobilität sauberer machen können, wenn sie denn in Serie gehen – auch, wenn nicht alle davon so im Blickfeld stehen wie die Elektromobilität. Mercedes erprobt zum Beispiel vernetzte, selbstfahrende Lkw, die sich auf der Autobahn zu Konvois, so genannten Platoons, zusammenschließen. Die Fahrzeuge kommunizieren, so können die Trucks vorausschauender beschleunigen und bremsen, sie können mit viel weniger Abstand fahren und sind trotzdem sicherer als von Menschen gelenkte Fahrzeuge. Audi betreibt die weltweit erste industrielle Power-to-Gas-Anlage, in der aus Sonnen- oder Windenergie künstliches Methan erzeugt wird, mit dem sich annähernd klimaneutral die Verbrennungsmotoren von Autos antreiben lassen – bei Reichweiten, die denen von Fahrzeugen mit Benzin- oder Dieselmotoren nicht nachstehen.

Mobilitätswende bedeutet mehr, als nur den Verbrenner im eigenen Wagen durch einen Elektroantrieb zu ersetzen. Auf die Frage „Wie komme ich wo hin?“ müssen komplett neue Antworten gesucht werden. Das haben bereits die Bahn, Mercedes und BMW mit erfolgreichen Car-Sharing-Flotten gezeigt. Und Zulieferer Bosch hat in diesem Jahr in Berlin und Paris mit dem Projekt „Coup“ einen ebensolchen gelandet: Das Unternehmen stationierte in beiden Städten Flotten von Elektro-Motorollern, die sich unkompliziert via Smartphone-App entleihen lassen.

Ganz neue Fahrzeuge

Die grau-grünen Gefährte sind im Straßenbild heute allgegenwärtig, sie machen individuell mobil, nehmen dabei aber weniger Platz weg als Autos. Und als Ergänzung zu Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln machen sie in den Metropolen den Verzicht auf ein eigenes Fahrzeug leicht – zumal es mit Apps wie Quixxit oder Moovel (Mercedes) immer besser möglich wird, auf verschiedene Arten zum Ziel zu kommen, sie miteinander zu vergleichen und zu kombinieren. Die von der Bahn unterstützte App „Wohin-du-willst“ soll in Zukunft ihre Stärken auf dem flachen Land ausspielen und dort Sammeltaxis oder Mitfahrgelegenheiten einbeziehen.  

In Sachen Mobilität ist vieles in Bewegung. Deshalb werden die kommenden Jahre für die deutschen Autohersteller entscheidend werden. Man hat Trends verschlafen, gemogelt und Fehler gemacht. Aber komplett untätig war man auch nicht. Jetzt gilt es, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen und Positionen zu besetzen, um im Spiel zu bleiben, wie auch immer sich die Mobilität der Zukunft entwickeln wird. „Es ist unsere Aufgabe, jetzt zu zeigen, dass wir ein Teil der Lösung sind“, sagte Mercedes-Chef Dieter Zetsche auf dem Dieselgipfel in diesem Sommer. Es ist an den Herstellern, zu zeigen, dass das mehr als Lippenbekenntnisse sind.

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