Welche Plattform passt?

Um in der digitalen Fabrik Maschinen, Anlagen und Fertigung miteinander zu vernetzen, braucht es mehr als Sensoren, einen Rechner und eine Software.
Illustration: Agata Sasiuk
Illustration: Agata Sasiuk
Mirko Heinemann Redaktion

Stellen Sie sich ein produzierendes Unternehmen vor. In einer  Ecke werden Werkstücke aus Metall von CNC-Maschinen gefräst. Daneben steht eine Metallsäge aus den 1960er-Jahren. An einer Maschine führt ein Werksarbeiter per Hand Bohrungen aus. Daneben steht ein IoT-fähiger Roboter der neuesten Generation. In vielen Betrieben werden sehr heterogene Arbeiten von ganz unterschiedlichen Maschinen ausgeführt, sie schneiden, sägen, bohren, fräsen, beschichten oder lackieren.

Die Versprechungen der digitalen Transformation locken. Die Digitalisierung soll effizientere, automatisierte Prozesse ermöglichen, eine höhere Qualität und eine noch besser verzahnte Logistik. Wie schwierig aber die Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette ist, zeigt schon ein Blick auf den Maschinenpark. Die Maschinen sind nicht nur unterschiedlich alt, sondern stammen auch von verschiedenen Herstellern. Zu den Werkzeugmaschinen kommen Assets wie Krane, Gabelstapler, Lager und weitere Produktionsanlagen. Dazu die vielen Werkstücke, die eingebunden und gesteuert werden sollen. Und die Verwaltung, die mit einem Warenwirtschaftssystem arbeitet. Dort werden Aufträge angenommen, berechnet und weiterverarbeitet, die gesamte Logistik organisiert und das Lager gepflegt.   

Der erste Schritt zur Digitalisierung der Wertschöpfungskette ist die Auswahl der Plattform. Ohne sie geht es nicht. Nur eine stabile und zugleich flexible wie hoch skalierbare Plattform kann gewährleisten, dass Maschinen, Anlagen und Fertigung sich verstehen, dass alle Sensoren, Softwares und Rechner miteinander kommunizieren können. Die Plattform ist quasi das Stammhirn der digitalen Fabrik. Sie führt alle Prozesse zusammen und ermöglicht damit deren Visualisierung, Analyse und Steuerung. Der MIT-Professor Michael Cusumano hat die entscheidenden Vorteile der Plattform so erläutert: Sie nutze ein externes System, um ergänzende Produkt- oder Dienstleistungsinnovationen zu generieren und ermöglicht ein Feedback zwischen den Beteiligten. Dieser Effekt eröffne ein deutlich größeres Potenzial für Innovation und Wachstum, als sie ein einzelnes produktorientiertes Unternehmen alleine generieren könne.
 

Eine Plattform, um alles zu steuern


Der Begriff der Plattform-Ökonomie kommt aus der Consumer-Welt des Internets. Die Plattform hat einstmals kleine Unternehmen so mächtig gemacht, dass sie das Potenzial haben, viele andere Geschäftsmodelle infrage zu stellen. Gestartet als Flohmarkt im Netz, wie Ebay, oder als private Zimmervermittlung, wie Airbnb, hat sich das Konzept des Teilens als riesiger Wachstumsmarkt entpuppt. Die Idee von der Vernetzung erwies sich als brillantes Format für eine marktwirtschaftliche Optimierung und wurde von etablierten Anbietern übernommen – von Amazon mit seinem „Marketplace“ bis zur Mitfahrplattform „Uber“, welche die Mitfahrzentrale professionalisierte.

„Die Plattform-Ökonomie wird ähnlich zum B2C-Umfeld auch im Maschinenbau eine neue Epoche einläuten“, erklärt Volker Schnittler vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. „In Zukunft wird ein wichtiges Element der Differenzierung von Maschinenbauern der Mehrwert sein, der über digitale Services und Geschäftsmodelle zur Verfügung gestellt wird. Eine Positionierung in der Plattformökonomie muss deshalb essentieller Bestandteil eines jeden Maschinen- und Anlagenbauers werden.“

In der Tat ist die Plattform-Ökonomie enorm erfolgreich deshalb, weil sie endlos skalierbar ist und sich selbst optimiert. Auf die Industrie übertragen sind Plattformen eine Art Dienstleister, die auf Grundlage von cloudbasierten Daten, zusätzliche Leistungen anbieten. Ein Plattformanbieter kann beispielsweise neue Geschäftsmodelle und somit mehr Umsatz aus Daten generieren. Zu den größten Anbietern gehören Amazon und Microsoft. In der Industriewelt ist es recht unübersichtlich geworden. Hier tummeln sich inzwischen Hunderte von Plattformanbietern. Die größten heißen Bsquare, Hewlett Packard, Cisco, Samsung, IBM oder PTC. Allen gemein ist, dass sie cloudbasierte Plattformen für die vernetzte Fabrik anbieten, umfassende Lösungen für das Industrial Internet of Things (IIoT).

Die Vernetzung einer Fabrik ist kein Kinderspiel. Es beginnt bereits damit, dass es keine Standardschnittstelle, kein einheitliches Protokoll gibt, welches von allen Maschinentypen aus unterschiedlichen Epochen verstanden wird. Um eine durchgängige Digitalisierung zu bewerkstelligen, muss man eine digitale Sprache finden, in der alle beteiligten Dinge kommunizieren können.
 

Integration eines Warenwirtschaftssystems
 

Dazu gehören nicht nur Maschinen, sondern außerdem Logistik-Prozesse und ein Enterprise-Resource-Planning-System (ERP), also ein erweitertes Warenwirtschaftssystem, das in der Lage ist, alle relevanten Daten für die gesamte Ressourcenplanung zu integrieren. Ein ERP kann mit der richtigen Plattform zum Beispiel Auftragsdaten mit Kapazitätsdaten der Maschinen verknüpfen. Es kann ausrechnen, wie sich die Maschinen effizient einsetzen lassen oder wann ein Auftrag erledigt sein wird. Die Intralogistik und die Beschaffung wird ebenfalls integriert. Sie teilt dem Fahrer eines Gabelstaplers mit, an welcher Stelle im Lager er welches Produkt einlagern soll. Ist dies getan, wandern die Informationen wieder zurück ins Warenwirtschaftssystem. So ist man jederzeit im Bilde über die Lagerhaltung, es kann automatisch bestellt und nachkommissioniert werden.

Einen Mehrwert bieten Algorithmen, die mittels Künstlicher Intelligenz neue Erkenntnisse aus den einlaufenden Daten gewinnen. So kann man zum Beispiel den Wartungsbedarf der Maschinen vorhersagen: Predictive Maintenance. Dazu werden etwa Schwingungen, Temperaturen sowie Schmierstoffzustände im Maschinenbetrieb erfasst, um rechtzeitig auf bevorstehende Beschädigungen von Bauteilen wie Risse oder Abnutzungserscheinungen hinzuweisen. Wo und in welcher Geschwindigkeit entwickelt sich ein Problem? Wann muss die Maschine gewartet, wann vielleicht sogar ausgetauscht werden? Je mehr Daten über die Zeit angesammelt werden, desto präziser ist so eine Vorhersage.  

Das Schöne: Ist die Plattform erst einmal installiert, kommt es auf Zahlen und Größen nicht mehr an. Plattformen sind hoch skalierbar, sie wachsen mit. „In Verbindung mit der IoT-Technologie bieten digitale Plattformen die Möglichkeit, Maschinen und Anlagen zu vernetzen und digitale Services mit Skaleneffekten zu nutzen“, so formuliert es die Studie „Plattformökonomie im Maschinenbau“, die der VDMA gemeinsam mit Roland Berger und der Deutschen Messe erstellt hat. Sie sieht in der Plattformökonomie neue Chancen für die Industrie: „Die Plattformlandschaft und in der Folge wachsende Zahl erfolgreicher Anwendungsbeispiele wird der Digitalisierung des Maschinen- und Anlagenbaus einen deutlichen Schub verleihen, weil neue Services günstiger und leichter eingesetzt werden und schneller ein höherer Kundennutzen erzielt werden kann.“

Die größte Schwierigkeit bei der Auswahl der richtigen Plattform sehen die Unternehmensberater in der Heterogenität der deutschen Industrie. Zu den Charakteristika des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus zähle, dass er „keinen monolithischen Block, sondern eine in sich stark heterogene Branche und Unternehmenslandschaft mit unterschiedlichen Geschäftstypen und Segmentspezifika“ darstelle. Das hat Auswirkungen auf die jeweiligen Optionen in der Plattformökonomie.
 

Mittelstand steht vor großen Herausforderungen
 

Allein im vergangenen Jahr waren mehrere Hundert Plattformen weltweit aktiv – Tendenz ansteigend. Gleichzeitig ist das industrielle Internet der Dinge selbst ein weites Feld, das eine Vielzahl unternehmerischer Optionen eröffnet. Unternehmen des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus, die aktiv werden, ihre begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen aber überlegt einsetzen wollen, stellt das vor enorme Herausforderungen.

Die Digitalisierung erfordert enorme Investitionen, die vor allem den Mittelstand erst einmal schmerzlich treffen dürften. Zunächst einmal muss die gesamte Fertigung mit Sensorik versehen werden, benötigt werden Gateways und Server, um die von den Maschinen und Sensoren aufgezeichneten Daten in der Fabrik teilweise vorzuverarbeiten und an die Plattform weiterzuleiten. Zu den laufenden Kosten zählen die monatlichen Lizenzgebühren und die Betriebskosten der Plattform. Meist zahlt man hierfür einen fixen Betrag pro Monat plus eine Gebühr, die abhängig von der Intensität der Nutzung berechnet wird. Inzwischen gibt es auch Subscription-Modelle, also Abonnements.

Die Unübersichtlichkeit der vielen Plattform-Anbieter hat schon dazu geführt, dass einzelne Unternehmen damit begonnen haben, ihre eigenen Plattformen zu entwickeln. Das mag für einen Konzern sinnvoll sein, der seine Lösung in verschiedenen Geschäftsbereichen implementieren kann und damit einen Mehrwert erzielt. Für Mittelständler ist das keine zielführende Strategie. Sie sollten sich an ihre Verbände wenden, die ihnen bei der Suche nach dem richtigen Partner zur Seite stehen.

 

Nächster Artikel