Bezahlbare Elektromobilität durch Industrie 4.0

Premiere auf dem Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium AWK 2017: Mit dem e.GO Life wird das erste Industrie 4.0-Serienauto vorgestellt.
e.GO Life – erstes Industrie 4.0 Serien-Elektrofahrzeug entwickelt auf dem RWTH Aachen Campus © e.GO Mobile AG
Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen University Beitrag

Der e.GO Mobile AG ist es gelungen, auf dem RWTH Aachen Campus ein besonders günstiges Elektrofahrzeug zu entwickeln. Damit zeigen die Produktionsforscher um Prof. Günther Schuh, CEO der e.GO Mobile AG, Direktor des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT, dass mit Industrie 4.0 eine besonders kostengünstige Kleinserienproduktion möglich ist. Der e.GO Life ist das erste mit Industrie 4.0 entwickelte Elektrofahrzeug, das ab April 2018 in Serie produziert wird. Bis dahin werden derzeit 55 Vorserienfahrzeuge auf dem RWTH Aachen Campus gebaut. Die Entwicklung erfolgt gemeinsam mit einem großen Netzwerk aus Wissenschaft und Wirtschaft. Bosch liefert beispielsweise den 48-Volt-Antriebsstrang und übernimmt zusätzlich den After-Sales-Service, der unter anderem  die In-Car-Fahrzeugdiagnose, Werkstatttechnik oder Reparaturen über das Bosch-Werkstattnetzwerk umfasst. Die kostengünstige und schnelle Entwicklung des e.GO Life basiert auf einer agilen Produktentwicklung, die auf einer gemeinsamen, internetbasierten Plattform stattfindet, über die der aktuelle Stand jeder Komponente in Echtzeit zugänglich ist. Die Teams können so unmittelbar Änderungen nachvollziehen, die andere Entwicklungs-Teams vorgenommen haben. Das ist gerade für den Prototypenbau wichtig, da hier eine schnelle und fehlerfreie Umsetzung von Produktänderungen sowie das Zurückspielen von Fehlern aus der Produktion notwendig sind. So können durch Prototypen Lerneffekte erzielt und schnelle Fortschritte in der Entwicklung ermöglicht werden.


In der frühen Phase der Produktentwicklung sind die Anforderungen an ein Produkt oft unklar oder volatil. Klassische phasenorientierte Entwicklungsprozesse, wie der Stage-Gate-Prozess, kommen dabei schnell an ihre Grenzen. Produktänderungen, die in einer späten Entwicklungsphase auftreten, können nur noch schwer berücksichtigt werden. So sind klassische Entwicklungsansätze geprägt von Suchen und Warten. Anders ist das bei agilen Entwicklungsansätzen, wie sie beispielsweise aus der Softwareindustrie bekannt sind. Auf die Entwicklung mechatronischer Produkte angewandt, stellen sie einen vielversprechenden Ansatz dar, um diese Randbedingungen handhabbar zu machen. Hierfür wurde am WZL der RWTH Aachen eine eigene Methodik entwickelt, nach der die Definition der so genannten User Story Startpunkt der Entwicklung ist. So kann ein Lösungsraum für Innovationen gezielt an den Nutzeranforderungen ausgerichtet werden. In klassischen Entwicklungsprojekten ist hingegen die Vollständigkeit des Lastenheftes zu Beginn eine notwendige Voraussetzung für die Fortsetzung des Projektes. In agilen Entwicklungsprojekten dagegen definiert die Beantwortung priorisierter Fragestellungen ein neues Verständnis von Vollständigkeit. Für die agile mechatronische Produktentwicklung ist es darüber hinaus besonders wichtig, mit der zunehmenden Interdisziplinarität durch eine entsprechende Teamzusammensetzung umzugehen. Kurzzyklische Abstimmungen in Stand-up-Meetings helfen, alle Beteiligten mit den relevanten Informationen zu versorgen und das oft vorhandene Arbeiten in Silos zu beenden. Die Transformation zum agilen, lernenden Unternehmen bricht gewohnte Denkmuster auf und ermöglicht neue Lösungsräume für Innovationen.


Dieses Vorgehen der agilen mecha- tronischen Produktentwicklung erfordert allerdings, mehrere Prototypen herzustellen, um die geforderten Funktionen auf deren Machbarkeit prüfen zu können. Dabei ist es entscheidend, dass die sich ändernden Produktanforderungen schnell und fehlerfrei an die Produktion übergeben werden. Hierfür stoßen Konstruktionsänderungen – sogenannte Change Requests –  Änderungen am Produkt während der Entwicklung oder nach bereits erfolgter Freigabe zur Herstellung an. Heute ist die Umsetzung dieser Change Requests jedoch noch von zu vielen Schnittstellen im Prozess zwischen Entwicklungs- und Produktionsabteilungen geprägt. Informationen sind in unterschiedlichen proprietären Systemen gespeichert, auf die nicht alle Anwender zugreifen können. Aktuell sind Unternehmen noch nicht in der Lage, einen schnellen und gleichzeitig qualitätsgesicherten Change Request durchzuführen. Soll eine Änderung möglichst schnell umgesetzt werden, scheitert es häufig an nicht nachvollziehbar dokumentierten Informationen.


Um Change Requests zukünftig fehlerfrei bearbeiten zu können, wird eine weitestgehend automatisierte Informationslogistik benötigt, die sich mit der Bereitstellung der benötigten Daten und Informationen in adressatengerechter Form befasst. Die drei Erfolgsprinzipien hierzu sind ein fehlerfreier Zugang zu allen benötigten Informationen, konsistente Daten trotz mehrerer Bearbeiter und die Priorisierung von benötigten Informationen. Dazu wird eine neue Infrastruktur für die Daten der Produktionstechnik benötigt – das Internet of Production. Das Internet of Production ermöglicht produzierenden Unternehmen, Daten verschiedener proprietärer Systeme zu verknüpfen, und befähigt sie außerdem, fundierte Entscheidungen auf Basis von Daten und Informationen aus den unterschiedlichen Domänen der Produktionstechnik zu treffen. Hierfür müssen sowohl Daten aus der Entwicklung und Produktion als auch produktionstechnisches Vorwissen durch Experten verfügbar gemacht werden. Dann nämlich ermöglicht das Internet of Production eine echtzeitfähige, sichere Informationsverfügbarkeit zu jeder Zeit an jedem Ort. Generierte Informationen werden zum digitalen Schatten der Produktion verdichtet, der über kontinuierliche Datenanalysen Mustererkennungen ermöglicht. So entsteht eine Prognosefähigkeit für die beherrschte Produktion. Der Wettbewerbsvorteil durch aggregierte Informationen in Echtzeit ermöglicht neue Dimensionen der Agilität.


Das Internet of Production wird auf dem Aachener Werkzeugmaschinenkolloquium AWK 2017 detailliert vorgestellt. Unter dem Leitthema „Internet of Production für agile Unternehmen“ bieten die Aachener Produktionstechniker des Werkzeugmaschinenlabors WZL der RWTH Aachen und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT am 18. und 19. Mai 2017 Plenums-Vorträge, Keynotes und einzigartige Fachvorträge. Diese werden von Wissenschaftlern und Praktikern zusammen zur aktuell möglichen Transformation hin zu Industrie 4.0 und zum Internet of Production erarbeitet. Am 18. Mai 2017 wird zudem das Cluster Produktionstechnik auf dem RWTH Aachen Campus – das größte produktionstechnische Forschungscluster in Europa – eröffnet. Weiterhin wird das erste Industrie 4.0 Serien-Elektrofahrzeug – der e.GO Life – präsentiert. Das AWK ist die bedeutendste Wissensdrehscheibe der Produktionstechnik und alle drei Jahre Treffpunkt für mehr als 1.000 Experten aus dem In- und Ausland. Abgerundet wird das Programm durch eine begleitende Industrieausstellung, umfangreiche Institutsbesichtigungen und Breakout Sessions auf dem RWTH Aachen Campus.

Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Günther Schuh

 

www.awk-aachen.de
www.e-go-mobile.com
www.agile-produktentwicklung.com

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