Mobilität der Zukunft

Welche Rolle wird das Auto in Zukunft spielen? Wie fördert man Elektromobilität am sinnvollsten? Welches Potenzial hat autonomes Fahren wirklich? Auf dem Weg in die Mobilität der Zukunft sind noch viele Fragen offen.
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Illustration: Wyn Tiedmers
Klaus Lüber Redaktion

Anfang Mai 2016 waren drei renommierte deutsche Mobilitätsforscher in die Radiosendung „SWR2 Forum“ eingeladen, um über die Zukunft der Mobilität zu sprechen. Anlass war das gerade von der Bundesregierung beschlossene Förderpaket für Elektroautos. Aber eigentlich ging es im Gespräch sehr schnell gar nicht mehr nur um die Frage, wie man denn am schnellsten möglichst viele strombetriebene PKW auf deutsche Straßen bringen könnte. Sondern um viel Grundsätzlicheres.

 

Wir müssen, so die Experten, Mobilität als solche neu denken. Allein die Antriebe unserer Fahrzeuge von fossil auf nicht-fossil umzustellen, reiche nicht aus, so der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim, emeritierter Professor der Universität Trier. Das Ziel könne es schließlich nicht sein, aktuell rund 45 Millionen deutsche Verbrennungsmotoren gegen die gleiche Zahl Elektroantriebe einzutauschen. „Wir müssen die Anzahl der Fahrzeuge insgesamt reduzieren. Und das erreichen wir nur, indem wir die Rolle unserer Autos neu definieren.“

 

Das Auto neu denken

 

Bislang meinten wir mit Auto vor allem den individualisierten Privatverkehr, so Monheim. Doch dieses Konzept sei nicht zukunftsfähig. Es sei viel sinnvoller, Autos als eine Form öffentlicher, geteilter Mobilität zu definieren, wie es jetzt schon in Carsharing-Modellen funktioniert. Dem pflichtete auch Weert Canzler, Mobilitätforscher am Wissenschaftszentrum Berlin, bei. Asien und Südamerika, die größten Automobilmärkte der Welt, stoßen schon jetzt an infrastrukturelle Grenzen, so Canzler. „Dort muss man sich schon jetzt die Frage stellen, wie man Automobilität in Zukunft gewährleisten kann, ohne dass noch mehr Menschen ein eigenes Auto besitzen.“ 

 

Natürlich gäbe es auch hierzulande vielversprechende Ansätze, betonte der dritte Experte im Bunde, Willi Diez, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft an der Hochschule Nürtingen-Geislingen, und meinte die Tatsache, dass zwei große deutsche Automobilhersteller ja bereits Carsharing-Konzepte anbieten. Car2go, ein Gemeinschaftsprojekt von Daimler und dem Autovermieter Europcar, sowie Drive Now, ein Joint Venture von BMW und Sixt, sind bereits seit fünf Jahren am Markt. 

 

Und das überaus erfolgreich. Mehr als 580 000 Kunden sind bei Drive Now registriert, bei Car2go sind es weltweit 1,2 Millionen. Car2go ist mit Abstand der größte Anbieter in diesem Markt und inzwischen weltweit vertreten. In 31 Städten sind die blauweißen Smarts präsent, davon die Hälfte in Nordamerika. Selbst nach China will die Firma jetzt expandieren.

 

Mangelhafte Förderkonzepte

 

Trotzdem sind ausgerechnet in Deutschland die Bedingungen für Carsharing noch nicht ideal. International sind die öffentlich geteilten Autos gerade besonders in den Städten erfolgreich, in denen die Autoteilsysteme mit kostenlosen Parkplätzen verbunden sind. In Deutschland sollte ein bundesweites Carsharing-Gesetz eigentlich noch in dieser Legislaturperiode die Rechtsgrundlage für Kommunen schaffen, mit den Mobilitätsanbietern über Freiparkangebote zu verhandeln. Doch ist bislang ein solches Gesetz noch nicht in Sicht. „Jede Stadt fummelt da verzweifelt allein rum“, so Heiner Monheim.

 

Was bereits bestehende Fördermaßnahmen angeht, beispielsweise das im letzten Jahr beschlossene Elektromobilitätsgesetz und nun die aktuelle Kaufprämie für Elektroautos, gaben sich Monheim, Canzler und Diez kritisch. Ein Durchbruch sei erst dann zu erwarten, wenn man gleichzeitig aufhöre, den Verbrennungsmotor weiter zu fördern. „Wir brauchen ein Verbrenner-Ausstiegsprogramm, so wie wir einen Kohleausstieg brauchen“, sagte Canzler. „Föderprogramme alleine bleiben wirkungslos, wenn wir sie nicht kombinieren mit einer restriktiven Politik gegenüber dem Verbrenner.“ Wobei die Bedingungen für eine solche Trendwende, gab Canzler auch zu bedenken, in Deutschland bislang nicht gerade ideal waren. Es sei natürlich klar, so Canzler, dass sich eine Industrie, die seit Jahrzehnten sehr viel Geld damit verdient, die besten Verbrennungsmotor-Fahrzeuge der Welt zu bauen, etwas schwer damit tut, in alternative Antriebstechnologie zu investieren.

 

Automobilbranche im Strukturwandel

 

Anderseits haben die deutschen Automobilhersteller wohl gar keine andere Wahl, als sich auf einen grundlegenden Strukturwandel einzustimmen. Am deutlichsten wird dies bei VW, das aufgrund der Dieselaffäre auch aus Imagegründen besonders bemüht ist, das eigene Geschäftsmodell zu reformieren. Seit März 2016 hat der ehemalige Apple Manager Johann Jungwirth als Leiter Digitalisierungsstrategie bei VW die Aufgabe, den Konzern für die Mobilität der Zukunft vorzubereiten. Es geht darum, so Jungwirth, einen Wandel vom Autohersteller zum Mobilitätsanbieter zu vollziehen. Künftig werde man nicht nur Autos zum Kauf oder Leasen anbieten, sondern nachhaltige Mobilität – mit Elektrofahrzeugen und selbstfahrenden Fahrzeugen.

 

Das sahen auch die Experten im SWR2-Talk so. Weert Canzler betonte dabei die Vorreiterrolle von Tesla. Schon heute, so Canzler, verkaufe Tesla ja nicht nur Elektroautos, sondern auch gleich das Solarpanel und einen Stromspeicher für zuhause. „Die deutsche Automobilindustrie mit ihren Zulieferern muss sich massiv neu orientieren“, so Willi Diez. „Automobilhersteller werden immer mehr zu Dienstleistungsunternehmen, die Mobilitätsdienstleistungen anbieten und nicht mehr nur die klassische Hardware, sondern auch die entsprechende Sofware.“

 

Automobile Strukturen

 

Auch dass autonomes Fahren in Zukunft eine große Rolle spielen wird, war für alle drei Wissenschaftler klar. Willi Diez sprach von einem vollkommen neuen Konzept von Mobilität. „Das Auto wird neue innere Werte bekommen. Wir werden arbeiten, lesen, wir werden Gymnastik machen, schlafen.“ Keine Einigkeit dagegen herrschte bei der Frage, wann genau mit einem flächendeckenden Einsatz der neuen Technologie zu rechnen ist und was dies für den Individualverkehr bedeuten wird, der nach Meinung der Wissenschaftler nie ganz verschwinden wird.

 

Dass diese Frage so schwierig zu beantworten ist, hatte für Willi Diez auch damit zu tun, wie wichtig das Auto in seiner Rolle als privates Fortbewegungsmittel für unser Leben war und ist. „Das Auto ist ja mehr als ein Fahrzeug, es ist immer noch ein Statussymbol, ein Zeichen von Unabhängigkeit und Freiheit. Und es gibt ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das der öffentliche Nahverkehr noch nie und wenn überhaupt, immer weniger bieten kann.“ Das sieht auch Weert Canzler: „Unser moderner Alltag ist immer noch tief geprägt von automobilen Strukturen. Die meisten Menschen haben einen großen Teil ihres Lebens um das Konzept des privaten Autos herum organisiert.“

 

Regeln für autonomes Fahren

 

Auch was die Technologie des autonomen Fahrens angeht, sind noch viele Fragen zu klären. Und nicht alle haben mit Technik zu tun. Immer noch ist der Rechtsrahmen für selbstfahrende Verkehrsteilnehmer unklar: Wer entscheidet in extremen Momenten, wer trägt die Verantwortung und wer haftet, wenn der Mensch das Lenkrad an einen Autopiloten abgibt? Für den Verbraucher sind solche Fragen wichtig, wie eine Umfrage des Hightech-Verbandes Bitkom im vergangenen Jahr deutlich machte. Damals sprachen sich zwar 41 Prozent dafür aus, dass selbstfahrende Autos bald in Deutschland zugelassen werden. 86 Prozent forderten aber zugleich die Politik auf, offene Haftungsfragen rasch zu klären.

 

Immerhin legte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt Ende Mai ein Strategiepapier namens „Digitale Souveränität: Wir schaffen den Regelbetrieb für das Auto mit Autopilot“ vor. Dobrindts Vorschlag: Autofahrer sollen bei der ordnungsgemäßen Benutzung von autonomen Fahrzeugen zumindest teilweise von Sorgfaltspflichten – und damit ihrer rechtlichen Verantwortung – befreit werden. Außerdem wurde die Gründung einer Kommission mit Vertretern aus Wissenschaft, Autoindustrie und Digitalwirtschaft angekündigt. Sie sollen „klare Leitlinien für Algorithmen“ entwickeln, die die Reaktion des Fahrzeugs in Risikosituationen bestimmen.

 

 

Für das autonome Fahren wie für andere neue Mobilitätskonzepte gilt: Sie müssen sich nahtlos in den Alltag integrieren lassen. Besonders für den ländlichen Raum gibt es hier nach Meinung von Heiner Monheim eklatanten Nachholbedarf. „Was wir dringend bräuchten, wäre eine effiziente Systemförderung für neue Mobilitätskonzepte im öffentlichen Verkehr.“ Stattdessen würde, so Monheim, im Rahmen des aktuellen Bundesverkehrswegeplans weiterhin vor allem die automobile Infrastruktur gefördert. „Nach wie vor ist ein Drittel des
deutschen Schienennetzes nicht elektrifiziert.“

 

Intelligente Apps

 

Was den urbanen Raum angeht, beurteilten die Experten die Situation etwas positiver. Hier habe das Konzept der sogenannten intermodalen Mobilität tatsächlich das Potenzial, zu einem neuen Verständnis von Mobilität zu führen. Gemeint ist die Möglichkeit, über eine Smartphone-App schnell und bequem zwischen einzelnen öffentlichen Verkehrsmitteln zu wechseln. „Vieles, was früher kompliziert war oder gar nicht möglich, wird jetzt mit intelligenten Apps, mit persönlichen Mobilitätsprofilen, extrem einfach. Es erlaubt das, was beim Auto immer extrem wichtig war: Routinen. Man kann sich hervorragend bewegen, ohne groß nachzudenken“, so Weert Canzler.

 

Eine hohe Funktionalität bieten schon heute Apps wie Moovel, ein Service von Daimler, und Qixxit, das von der deutschen Bahn angeboten wird, und die beide den Anspruch haben, sowohl den städtischen Nah- als auch den Fernverkehr abzubilden. Anfang Mai kündigte Bahn-Chef Rüdiger Grube in einem Interview mit der Wirtschaftswoche die Einführung einer „übergreifenden nationalen Mobilitätskarte“ an „mit der der Kunde alles machen kann: Zug fahren, Räder ausleihen, Busse und Taxis nutzen und bezahlen. Am Monatsende gibt es dann eine Rechnung wie fürs Telefon. Und der Kunde hat die Garantie, dass das System stets den günstigsten Tarif abrechnet.“ 

 

Für Canzler, Monheim und Diez wäre das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, gerade angesichts der Tatsache, dass man es in Deutschland bislang mit einer sehr fragmentierten Mobilitätsverantwortung zu tun habe. Das bekräftigt auch Rüdiger Grube im Wirtschaftswoche-Interview. „Die Kommunen und die Länder sind für den Regionalverkehr zuständig, und viele verteidigen ihre Königreiche, indem jeder seine eigene Mobilitätskarte hat.“ 

 

Noch ist nicht klar, wann das neue Angebot der Bahn für Kunden zur Verfügung steht. „Aktuell sind konkrete Aussagen zur Ausgestaltung und zum Zeitpunkt einer Einführung noch nicht möglich“, so ein Sprecher der Bahn auf Anfrage. Die Zukunft der
Mobilität bleibt spannend.

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