Auf dem Weg zur lebenswerten Stadt

Urbane Regionen profitieren im besonderen Maß von Digitalisierung und Vernetzung. Stadtplaner erhoffen sich einen verbesserten Umweltschutz, eine effizientere Nutzung von Ressourcen und eine höhere Lebensqualität.
Illustration: Mario Parra
Illustration: Mario Parra
Olaf Strohm Redaktion

Jedes Jahr untersucht die Wirtschaftsberatung Mercer mehr als 200 Metropolen weltweit und vergleicht sie hinsichtlich ihrer Lebensqualität. 2018 kürte sie München zu der deutschen Stadt mit der höchsten Lebensqualität. Im internationalen Vergleich konnte München sogar Platz Drei erringen, zusammen mit Auckland/Neuseeland. Zürich kam auf Rang Zwei, an der Spitze liegt Wien. Immobilienkäufer, Unternehmenslenker und Investoren schauen sich diesen Index an, bevor sie ihr Portfolio umschichten oder neue Filialen gründen.

Interessant ist die Frage, was eigentlich Lebensqualität in den Städten ausmacht. Zur Beurteilung der Lebensqualität jeder Stadt hat die Beratungsgesellschaft 39 Kriterien analysiert, die aus Sicht von Mitarbeitern, die ins Ausland entsandt wurden, eine zentrale Rolle spielen. Diese Merkmale schließen politische, soziale, wirtschaftliche und umweltorientierte Aspekte ein. Hinzu kommen Faktoren wie Gesundheit und Bildungsangebote. Für München sprach, dass die bayerische Hauptstadt große Anstrengungen unternommen habe, um Talente und Unternehmen anzuziehen. Sie habe kontinuierlich in Hightech-Infrastrukturen investiert und kulturelle Einrichtungen gefördert, so die Mercer-Experten.

Wichtige Faktoren für die Lebensqualität einer Stadt sind aber auch Hygiene und die Entsorgung. Dazu gehören neben der Abfallbeseitigung und der Abwasserinfrastruktur auch Luftverschmutzung sowie die Wasserverfügbarkeit und -qualität. In diesem Jahr hat Mercer ein separates Ranking zu dieser Thematik erstellt. Diese Rangliste führt Honolulu an, mit sehr guter Infrastruktur bei der Abfallbeseitigung sowie eine der besten Luftqualitäten der Welt. Auf Platz Zwei folgen Helsinki und Ottawa. Mit Nürnberg, Düsseldorf und München liegen drei deutsche Städte unter den ersten 30.

Städte sind eben längst keine Zweckzonen mehr, um Arbeitskraft zu bündeln, sondern Lebensorte. Mit dem Wandel zur emissionsarmen Industrie, der wachsenden Bedeutung von Forschung und Dienstleistungen, ist auch die Rückeroberung der Stadt verbunden. Einstmals zersiedelte Räume verdichten sich und werden zu Metropolregionen.

Bürger genießen die kurzen Wege zur Arbeit und zu Naherholungsgebieten, zur Kultur und Unterhaltung. Unternehmen suchen die Nähe zu Wissenspools, zu Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Bündelung von Kompetenzen macht Ballungsräume zu Exzellenz-Clustern.

Zugleich wachsen sie. Jeder Zweite weltweit wohnt derzeit schon in einer Metropolregion. Im Jahr 2030 wird dieser Anteil nach UN-Angaben auf 60 Prozent steigen. Um mit den Herausforderungen des Wachstums fertig zu werden und zugleich konkurrenzfähig im Wettbewerb um junge, gut ausgebildete Talente zu sein, setzen Städte zunehmend auf Digitalisierung und Vernetzung ihrer Infrastruktur. Dabei stehen sie im Wettbewerb - und zwar weltweit, wie die Mercer-Experten betonen. „Der Wettbewerb fordert die Entscheidungsträger der Städte auf der ganzen Welt heraus, sich über die weltweiten Standards informiert zu halten und innovative Ideen voranzutreiben, um Menschen und Investitionen anzuziehen“, so Slagin Parakatil, Principal bei Mercer und verantwortlich für die „Quality of Living“-Studien. „Dies ist der Schlüssel zur Zukunft einer Stadt.“

Im Fokus der Städte liegt deren Infrastruktur. Wie die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen sind, erforscht die so genannte „Morgenstadt Initiative“ des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation. Bei einem branchenübergreifenden Dialog gemeinsam mit dem Digitalministerium des Landes Baden-Württemberg und 350 Akteuren jeglicher Disziplinen wurde klar, dass es nicht ausreicht, einzelne Infrastrukturbereiche wie Mobilität, Energie oder Wasserversorgung zu optimieren. Vielmehr müsse ein interdisziplinärer Bauplan her, um Städte nachhaltig und lebenswert zu gestalten.

Kern des Ansatzes ist ein modulares Prinzip, in dem Städte urbane Systemlösungen für sich herausgreifen können - mit einzeln skalierbaren Komponenten. So konnte man im Workshop Straßenerhaltungsmanagement 2.0 Einblicke gewinnen, wie Kommunen über automatisierte Zustandserfassung ihrer Straßen digitale Daten gewinnen und anwenden können, um ihre Instandhaltungsmaßnahmen intelligent zu steuern. Das sorgt nicht nur für eine rechtzeitige, sondern vor allem kosteneffiziente Pflege und Wartung des Straßennetzes.

Die „Smart City“ ist als Leitbild der Stadtplanung jedoch nicht unumstritten. Eine Infrastruktur, die auf komplexen elektronischen Systemen basiert, könnte sich als anfällig erweisen für Ausfälle, aber auch für Sabotage. Auf der anderen Seite würde eine Dezentralisierung auch die Ausfallsicherheit erhöhen. Zum Beispiel Energie: Hier hat sich die Zahl der Akteure speziell auf Seiten der Produzenten vervielfacht.

Im Verkehr sinkt zwar der Ausstoß klimaschädlicher Autoabgase bei Neuwagen aus deutscher Produktion, aber die Debatte um Dieselfahrverbote zeigt, dass es um die Luftqualität in den deutschen Städten nicht gut bestellt ist. Zugleich hält die innerstädtische Verkehrsflut an, auch durch einen zunehmenden Lieferverkehr wegen individualisierterer Güterströme. Intelligente Leitsysteme, die digitale Daten in der Cloud sammeln, verarbeiten und an die Verkehrsteilnehmer weitergeben, können zur Stauvermeidung beitragen. Integrierte Mobilität verknüpft verschiedene Fortbewegungsmittel im Nahverkehr, etwa Car-Sharing-Angebote oder Mobilitäts-Apps, die Vorteile vor Augen führen, in dem sie aufzeigen, wie man schneller, preiswerter und stressfreier ans Ziel kommt als mit dem Auto. Für Warenlieferungen können innerstädtische Umschlagplätze für Entspannung sorgen, von denen aus die Sendungen per Lastenfahrrad zum Kunden gelangen. Ein solches System wird derzeit in Berlin erprobt.

Die Wärme macht für private Haushalte in Deutschland rund drei Viertel des Energiebedarfs aus. Sanierung und Wärmedämmung kommen manchmal an ihre Grenzen. Umso wichtiger sind nachhaltige Lösungen wie Fernwärme aus Kraftwerken, die aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Oder Wasser: Hier ist die effiziente Nutzung besonders wichtig, damit nicht wesentliche Mengen des kostbaren Elements ungenutzt versickern.

 

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