Willkommen in der digitalen Fabrik

Auch KMU werden an der nächsten industriellen Revolution nicht vorbeikommen. Industrie 4.0 bietet enorme Chancen.
Digital Arbeiten
Illustration: Christine Rösch
Mirko Heinemann Redaktion

In Kaiserslautern ist die Fabrik der Zukunft bereits heute Wirklichkeit. Dort steht eine intelligente Fertigungsanlage, die bereits vollständig vernetzt ist und durch ihren modularen Aufbau eine hochflexible, automatisierte Produktion ermöglicht. Mit standardisierten Komponenten, Schnittstellen und modernster Informationstechnologie ausgestattet, erfasst die „Smart Factory“ sämtliche Produktionsprozesse sensorisch. Analysesoftware bildet die Prozesse ab und ermittelt, wie Ressourcen effizienter genutzt werden können, wie das Zusammenspiel von Mensch und Maschine verbessert oder die Qualität der Fertigung angehoben werden kann.  

 

Noch ist die Smart Factory in Kaiserslautern nicht in eine industrielle Fertigung eingebunden, gilt aber als  die weltweit erste herstellerübergreifende Industrie 4.0-Anlage in industrietauglicher Ausführung. Realisiert wurde sie von der Technologie-Initiative SmartFactory KL, einem 2005 gegründeten Verein mit inzwischen 40 Mitgliedern aus Industrie und Forschung, darunter BASF, Siemens und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Die Werkstücke sind mit RFID-Chips ausgestattet, die mit dem System digital vernetzt sind, Informationen über Qualität und Bearbeitungszustand aussenden und so den eigenen Produktionsprozess quasi selbst mitsteuern können. 

 

In naher Zukunft werden solche vollautomatisierten Fertigungsstraßen den Standard in der globalisierten Wirtschaft darstellen. Wer die Technologieführerschaft behalten will, muss sich mit den Chancen der vierten industriellen Revolution vertraut machen. Was derzeit in der Wirtschaft unter dem Stichwort Industrie 4.0, Smarte Produktion oder Plattform-Ökonomie diskutiert wird, birgt das Potenzial, disruptive Trends auszulösen und damit ganze Geschäftsmodelle infrage zu stellen. Vor allem der produzierende Mittelstand, die vielfach gepriesene Säule der Wirtschaft, steht vor Anforderungen, die nur mit Hilfe von digitaler Technik gemeistert werden können: immer kürzere Produktzyklen, zunehmende Individualisierung von Produkten, wachsender Kostendruck. 

 

Mit der Vernetzung von Maschinen und Produkten, von „Dingen“, eröffnet sich ein ganz neuer Kosmos: Sie ermöglichen flexible Produktionsprozesse und eine effiziente Nutzung von Ressourcen. Durch den Einsatz so genannter Cyber-Physischer Systeme (CPS) werden die Technologien des „Internet der Dinge“ auf die Fabrik übertragbar: Produkte steuern ihren Fabrikationsprozess selbst und übernehmen ihre eigene Qualitätskontrolle. 

 

Starre Fabrikstraßen werden zu modularen, effizienten Systemen. Drahtlose Kommunikationssysteme werden die traditionelle Arbeitsweise in der Industrie revolutionieren. Die Fabrik der Zukunft wird von mobilen Geräten wie Tablet-PCs oder Smartphones aus gesteuert werden.

 

Die Digitalisierung der Produktionsbetriebe wird auch kleineren Unternehmen den Zugang zur sogenannten „Plattform-Ökonomie“ eröffnen. Auf der Basis von Internetplattformen entstehen neue Geschäftsmodelle, die der traditionellen Wirtschaft Marktanteile streitig machen. So, wie die Hotellerie durch Übernachtungsplattformen unter Druck gerät und wie Mitfahrportale die Taxibranche angreifen, so werden in der „Platform Economy“ der Zukunft alle denkbaren industriellen Prozesse über internetbasierte Plattformen gesteuert. Der Stahlhändler Klöckner & Co etwa gründet nun seine eigene Plattform. Mit „kloeckner.i“ hat der börsennotierte Konzern ein Kompetenzcenter für Digitalisierung gegründet. Statt wie bisher Stahlmengen physisch bereitzuhalten und an denjenigen Interessenten zu verkaufen, der sie gerade benötigt, sollen Kunden künftig alle Stahlprodukte über eine digitale Handelsplattform im Internet bestellen können. 

 

Der Mittelstand hängt dieser Entwicklung hinterher. Im Rahmen einer aktuellen Mittelstandsstudie der Commerzbank wurden Top-Entscheider aus 4000 mittelständischen Unternehmen quer durch alle Branchen zum Thema Digitalisierung befragt. Eine breite Mehrheit von 86 Prozent der Unternehmer und Manager sieht danach in der zunehmenden Digitalisierung eine „große Chance“ für den Industriestandort Deutschland. Dabei verhält sich aber die Mehrheit der Unternehmen eher abwartend: 63 Prozent der Befragten räumten ein, dass der Mittelstand das Thema Digitalisierung derzeit noch eher vernachlässige. Nur jedes sechste Unternehmen in Deutschland zählt heute zu den digitalen Vorreitern. „Das sind Unternehmen, die überdurchschnittlich stark und erfolgreich auf neue Trends der Digitalisierung setzen, zum Beispiel, um Wertschöpfungsketten zu vernetzen oder um ihre Produkte zu individualisieren“, so Markus Beumer, bei der Commerzbank verantwortlich für das Mittelstandsgeschäft. „Diese Vorreiter gibt es in allen Branchen und unabhängig von der Unternehmensgröße oder dem Alter der Manager.“ 

 

Bislang aber stützen sich die meisten Mittelständler auf ihre zweifellos überragende Expertise in den Ingenieurskünsten: exakte Planung von Bauteilen, präzise Fertigung, stetige Verbesserung und langfristige Strategien. Was aber, wenn Betriebe in den aufstrebenden Schwellenländern eine annähernd hohe Fertigungsqualität erreichen? Wenn andere Industrienationen Produkte von vergleichbarer Qualität effizienter herstellen und sie zu niedrigeren Preisen anbieten? Obwohl die Mittelständler das Potenzial der Digitalisierung erkannt haben, zögern viele mit deren Umsetzung im eigenen Betrieb. Um auch die Skeptiker von den Vorzügen der Digitalisierung zu überzeugen, hat die Bundesregierung so genannte „Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren“ ins Leben gerufen. An fünf Standorten, die im ganzen Land verteilt sind, richtet das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie derzeit solche Zentren ein, um aktuelles, praxisrelevantes Wissen zur Digitalisierung „mit der Sprache des Mittelstands“ zu vermitteln, heißt es. Die ersten Kompetenzzentren werden Anfang 2016 ihre Arbeit aufnehmen. Mittelständische Unternehmen und Handwerksbetriebe können hier Know-how erwerben und sich bei der Digitalisierung und Vernetzung betrieblicher Prozesse unterstützen lassen. 

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