Wollen wir elektrisch im Stau stehen?

Sebastian Heise ist einer der Gründer von Graphmasters und freut sich, dass die Branche an effizienten und nachhaltigen Lösungen arbeitet. Hier aber weist er auf ein Problem hin, das bei der Diskussion viel zu kurz kommt.
Sebastian Heise Founder, COO Graphmasters GmbH
Graphmasters GmbH Beitrag

Der Druck auf Flotten, nachhaltiger und effizienter zu werden, wird immer stärker. Die Automobilbranche bemüht sich, den Verbrauch zu senken und Schadstoffe zu reduzieren. Aber reicht das, um für die Zukunft gerüstet zu sein? Wie sieht diese Zukunft aus? Werden wir im elektrischen PKW im Stau stehen, vor uns umweltfreundliche LKW, die auch nicht vorwärts kommen?

Mit der wichtigen und notwendigen Weiterentwicklung von Antrieben kann man viel erreichen, aber eins ändern sie nicht: Da ist am Ende immer noch ein Auto auf der Straße, das einem anderen Auto den Platz wegnimmt. Alle Verkehrsteilnehmer konkurrieren um einen Platz auf der vermeintlich besten Strecke. Das führt zu Staus, Produktionsausfällen und verspäteten Lieferungen, mit einem geschätzten Schaden von 100 Milliarden Euro alleine in Deutschland.

Leider sieht es bei den meisten Navigationssystemen nicht besser aus, obwohl sie es eigentlich besser können sollten. Aktuelle Navis – auch die ganz großen mit den vielen Daten – behandeln jeden Autofahrer einzeln und führen ihn sozusagen egoistisch durch das Verkehrsnetz. Entsteht dadurch ein Stau, wird reagiert: Alle erhalten eine Ausweichstrecke. Leider bekommen alle eine ähnliche Strecke und es gibt den nächsten Stau. Das Ergebnis ist also das gleiche wie ohne Navi, es fühlt sich nur digitaler an und der Autofahrer hat das Gefühl, es wenigstens versucht zu haben.
Natürlich gibt es viele Maßnahmen, mit denen versucht wird, das Verkehrschaos zu beseitigen oder abzumildern. Aber kaum jemand betrachtet den Verkehr als Ganzes, um Problemen vorzubeugen. Dabei sitzen wir im Ökosystem Straße alle in einem Boot: Paketfahrer beeinflussen den Berufsverkehr genauso wie LKW, Pendler oder Messebesucher.

Wenn man das erst einmal verstanden hat, will man es anders machen. Unsere Methode heißt „Collaborative Routing“, sie beruht auf einem Straßenkapazitätsmodell und versteht die Verkehrsteilnehmer als Schwarm, bei dem jedes einzelne Fahrzeug einen Slot im komplexen System namens „Straßenverkehr“ erhält.  

Beim Einsatz unserer NUNAV-Technologie in Flotten wie bei Hermes oder der österreichischen Post dienen wir zwei Herren: Die Fahrer kommen schneller und pünktlicher ans Ziel, sie fahren weniger Kilometer und sparen dadurch viel Geld. So weit, so eigennützig. Gleichzeitig profitiert aber die Allgemeinheit, denn die Lieferfahrzeuge tragen durch das Collaborative Routing weniger zur Staubildung bei. Sie sind Teil des intelligenten Schwarms.

Im öffentlichen Verkehrsmanagement wird NUNAV zunehmend als Lösung für das Verkehrsproblem von Ballungsräumen eingesetzt. Im staugeplagten Hannover findet dies seit 2017 statt. Das Ergebnis: Zu großen Events wie der Hannover Messe und der CeBit gelangen 17% mehr Fahrzeuge in der gleichen Zeit zum größten Messegelände der Welt – auf einer Infrastruktur, die für die Expo 2000 geschaffen und seitdem kaum erweitert wurde. Dahinter stehen komplexe Algorithmen und eine mächtige Cloud, für den Nutzer stellt sich diese Digitalisierungsmaßnahme aber einfach als kostenlose Navi-App „NUNAV“ auf seinem Smartphone dar. Damit wird sein Auto, egal ob alte Diesel-Familienkutsche oder neuer Hybrid-Dienstwagen, Teil des intelligenten Schwarms. Er kommt schneller ans Ziel und alle anderen auch.

Ich meine: Bei zunehmendem Individualverkehr ist die Abkehr vom egoistischen Fahren unausweichlich. Collaborative Routing muss zum Standard werden. Sonst stehen wir morgen alle elektrisch im Stau – und haben nichts gewonnen.
 


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